Erwachen

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Rauschen

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Rauschen. Das ist das erste, das ich wahrnehme. Gleichmäßiges Branden der Wellen an einen Strand. Sand. Das ist das nächste, das ich fühle. Kühler Sand zwischen meinen Fingern. Dunkel. Das ist alles, was ich sehen kann. Nichts. Möwen kreischen irgendwo über mir. Es muss Tag sein, denn die Vögel schweigen in der Nacht. Dann fühle ich wie etwas über mein Gesicht wandert. Eine warme Hand, die mir die nassen Haare aus der Stirn streicht. Ich höre eine Stimme flüstern, einen Namen, meinen Namen. Ganz langsam öffne ich die Augen. Das Sonnenlicht scheint mir im ersten Moment viel zu grell und ich muss einige Male blinzeln. Ich blicke direkt in zwei tiefe, dunkelbraune Augen in einem von Sorge und Kummer gezeichnetem Gesicht.

» Luna? «, haucht eine mir nur allzu bekannte Stimme. Langsam tasten meine Hände über den Sand und ich versuche, mich aufzusetzen.

» Kaspian? «, versuche ich zu sagen, doch nicht mehr als ein Raunen verlässt meine Lippen.

» Shh, es ist alles in Ordnung «, erwidert Kaspian und stützt mich, indem er seine Arme um meine Schultern legt.

» Was... «, setze ich an, räuspere mich einmal und versuche es erneut,

» Was ist passiert? «. Mit gekräuselter Stirn versuche ich, mich an irgendetwas zu erinnern, doch eine tiefe Müdigkeit macht sich in mir breit und lässt meine Gedanken träge werden. Vor meinen Augen verschwimmt die Welt zu undefinierbaren Formen und beginnt, sich zu drehen. Mein Kopf fühlt sich unendlich schwer an, obgleich er mir im Moment seltsam leer scheint. Der Schlaf ruft nach mir, süß und verlockend. Ich höre Kaspian sprechen, doch verstehe ich seine Worte nicht. Ich kippe nach hinten, aber der König hält mich fest. Meine Augen fallen zu und der Schlaf begleitet mich in seine wirre Welt voller Träume.


Als ich meine Augen das nächste Mal öffne, ist nicht der Himmel über mir. Stattdessen stößt mein Blick an hölzerne Balken. Mit einem Ruck setze ich mich auf und bereue es sofort. Mein Kopf pocht unangenehm. Mit gekräuselter Stirn sehe ich mich um. Ich befinde mich in der Kajüte auf der Morgenröte, die Lucy und ich uns teilen. Helles Morgenlicht fällt durch die Bullaugen herein. Von oben höre ich gedämpfte Stimmen. Niemand sonst ist hier, doch auf dem kleinen, runden Tisch hat jemand eine Schüssel mit frischem Wasser bereitgestellt und ein Tuch danebengelegt. Langsam stehe ich auf. Zunächst schwanke ich etwas unsicher auf den Beinen, finde jedoch schnell mein Gleichgewicht. Über die Schüssel gebeugt, halte ich einen Moment Inne und betrachte mein verzerrtes Spiegelbild. Jemand hat wohl mein Haar gebürstet, denn es fließt in leichten Wellen meinen Rücken hinab. Beinahe wie flüssiges Gold. Vorsichtig tauche ich meine Hände ins Wasser, das daraufhin in Unruhe gerät und an den Schüsselrand schwappt. Nachdem ich mich gewaschen habe, ziehe ich meine Stiefel an, öffne die Tür und trete auf den schmalen Gang hinaus. Die Stimmen dringen noch immer gedämpft an mein Ohr. Viele Stimmen, mehr als gewohnt. Also mache ich mich auf den Weg an Deck. Ein Stück den Gang entlang, dann sieben Treppen hinauf. Das Stimmengewirr wird immer deutlicher. Als ich durch die Luke nach draußen trete, bietet sich mir ein eigenartiges Bild: Auf dem Hauptdeck drängen sich nicht nur die Mitglieder der Besatzung, sondern auch etliche andere Menschen. Viele Frauen und Männer, einige Kinder und wenige alte Leute. In ihrer Mitte steht Tavros und versucht anscheinend erfolglos, Ordnung in das Durcheinander zu bringen. Auf den Planken liegen überall warme Decken. Auf manchen sitzt oder liegt jemand. Links von mir, direkt am Fuß der Treppe zum Achterdeck kniet eine Frau mit einem kleinen Mädchen im Arm. Liebevoll wiegt sie das Kind – es kann nicht älter als fünf oder sechs Winter sein – in den Armen. Als hätte sie gespürt, dass sie angesehen wird, hebt die Frau den Kopf und lächelt vorsichtig. Ich erwidere ihre Geste und ihr Lächeln wird breiter, herzlicher. Dann wandert mein Blick weiter zur Reling und darüber hinaus. Die Morgenröte ankert in der Bucht vor der Insel des Sterns. Wie ist das möglich? Wie lange habe ich geschlafen? Ich erinnere mich an den Sand unter meinen Fingern als ich erwachte...Wo war ich da? Wieso war ich dort und wie bin ich dort hingekommen? Und vor allem, wann war das? Ich weiß nur noch, dass die Sonne zu diesem Zeitpunkt schon hoch stand und der Mittag bereits vergangen war. Jetzt ist es Morgen. Was ist also geschehen? Mit einem Schlag fällt es mir wieder ein. Die Dunkle Insel, der Nebel, die Seeschlange... Ich schüttle unmerklich den Kopf, um diesen Gedanken loszuwerden und richte meine Aufmerksamkeit wieder auf das Geschehen um mich herum. Auf dem Vorderdeck bleibt mein Blick erneut hängen. Dort stehen Drinian, Edmund, Lucy, Eustachius, Reepicheep und Kaspian beisammen und scheinen über etwas zu diskutieren, denn sie gestikulieren wild mit den Armen. Da hebt Lucy den Kopf – sie sah vorher zu Reep hinunter – und entdeckt mich. Die Königin aus der goldenen Zeit ist die einzige in der Runde, die mir direkt zugewandt ist, die anderen stehen mit dem Rücken in meine Richtung. Lucys Augen weiten sich kurz, dann breitet sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Dies scheinen auch die anderen zu bemerken und sie wenden sich um. In ihren Zügen vermag ich vieles zu lesen. Überraschung, Erleichterung, Freude. Nur Kaspian sieht mich einfach nur an, unbewegt. Dann setzt er sich in Bewegung. Mit einem Mal verstummen alle Gespräche und es wird ganz still, sodass man eine Stecknadel auf die Planken fallen hören würde. Wie in Zeitlupe bringt er die Treppen hinter sich und steht auf dem Hauptdeck. Die Menge teilt sich und macht ihrem König Platz. Ich rühre mich keinen Fingerbreit, mein Herz schlägt schnell und in meinem Bauch tanzen die Schmetterlinge. Kaspians Schritte werden nun immer schneller und immer kleiner der Weg zwischen uns. Einen Fuß vor mir hält er schließlich an, unsere Blicke kleben schier aneinander.

Die Reise des Löwen | Eine narnianische GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt