Lina:
„Katja? Bist du da?", rief ich beim Durchtreten des Türbogens. „Wir sind hier, im Wohnzimmer.", antwortete meine Tante lauthals. Ich trat auf die Dielen meines Zimmerbodens, nahm meine Tasche von der Schulter und legte sie neben mein kleines Bett. Ich zog mein Handy aus der Jackentasche und aktualisierte meine Nachrichten. Wie immer, war nichts neues dabei. Ich hatte nicht besonders viele Freunde, die sich hätten melden können und außerdem kam ich ja gerade erst von der Schule. Ich verließ mein Zimmer und nahm mir beim Vorbeigehen einen Apfel aus der neben dem Herd stehenden Schüssel. Hatte sie gerade „Wir" gesagt? Wir lebten doch alleine. Ich biss einmal in den Apfel und betrat das kleine Zimmer, in welchem nichts weiter, als ein kleiner Fernseher, ein Zweisitzer und ein Sessel standen. In dem Sessel saß meine Tante, Katja, mit einer Tasse in der Hand und strahlte mich an. Sie hatte dasselbe Lächeln wie meine Mutter, Claudia es gehabt hatte. Die Bilder ihrer dunklen Lippen kamen mir wieder in den Sinn. Die strahlend weißen Zähne machten ihr Lachen unbeschreiblich. Jeden Tag beim Aufwachen musste ich an jenen Tag vor etwas weniger als drei Jahren zurückdenken, an welchem ich sie gefunden hatte.
*Flash back
„Hallo. Hier spricht Lina Müller. Ich wohne in der Sternstraße 15 in München. Ich bin 11 Jahre und meine Mama liegt vor mir auf dem Boden. Sie ist tot!" Ich hörte ein leises Atmen am anderen Ende des Hörers. „Helfen sie mir bitte!", flehte ich die Frau der Notrufzentrale an. Jetzt löste sie sich aus ihrer Starre. „Ich schicke sofort einen Notarztwagen zu dir. Bist du alleine oder ist noch jemand bei dir?" „Ich.. Ich bin allein. Naja, alleine mit meiner Mutter. Bitte, bringen sie jemanden her. Ich habe Angst!", antwortete ich stockend. „Kannst du jemanden anrufen, der zu dir kommt? Deinen Vater? Oder die Nachbarn?", fragte sie beschwichtigend. „Mein Papa hat mir aber verboten ihn in der Arbeit anzurufen. Er sagt.. Er sagt ich würde ihn stören.", erklärte ich und merkte wie mir das Atmen wieder schwerer fiel. „Und die Nachbarn, die mögen mich nicht. Sie sagen, ich.. ich sei ihnen zu laut." „Okay. Hör' mir ganz genau zu, und tue das, was ich dir sage. Du legst jetzt dann auf und rufst deinen Vater an.." „Aber er hat mit ver.." „.. ich glaube, er macht hierbei eine Ausnahme. Dann verlässt du den Raum, in dem deine Mutter liegt. Fass' am besten auch nichts an. Mach' dem Notarzt die Tür auf, sobald er da ist. Alles wird gut werden. Verstanden?" „Ja.. Ja ich glaube schon", antwortete ich. „Gut, dann leg' jetzt auf!" „Moment! Eines noch!" „Was denn?", fragte die Frau. „Danke! Vielen Dank, für ihre Hilfe!" „Kein Problem!" Ich legte auf.
*Flash back
Ich schluckte einmal und schüttelte meinen Kopf, um mir zu signalisieren, dass ich im Hier und Jetzt war und nicht vor drei Jahren. Ich blickte auf den Hinterkopf der Person, welche das „wir" ergänzte. Als sich der Mann im Anzug umdrehte und mich nervös anlächelte, klappte mein Unterkiefer herunter und ich musste aufpassen, dass das Stück des Apfels nicht herausfällt. „Dad? Was machst du denn hier? Solltest du nicht in Hong Kong sein? Oder auf Hawaii? Oder sonst wo?" Er kam auf mich zu und gab mir einen Kuss auf die Wange. Diese Zuneigung war ich von ihm gar nicht gewohnt. „Ich dachte, ich überrasche dich und deine Tante mit meiner Anwesenheit. Freust du dich denn nicht?" „Doch doch schon.", antwortete ich, war mir jedoch nicht darüber klar, ob ich das wirklich tat. Ich hatte ihn das letzte mal vor etwas unter einem Jahr gesehen. Am 2. Todestag meiner Mutter, um genau zu sein. Wieder streiften ihre glasigen Augen durch meine Gedanken, doch ich konnte sie verdrängen. „Und was gibt's neues?" Ich setzte mich neben ihn auf die Couch, versuchte aber Abstand zu halten, was durch die geringe Größe des Möbelstücks jedoch nur ansatzweise möglich war. „Nicht viel. Wir haben einen neuen Klienten an Land gezogen und ich hoffe, dass.." Er blickte mich an und stoppte, denn er wusste, dass das nicht das war, was ich hören wollte. Nachdem meine Mutter gestorben war, stürzte er sich voll und ganz in seine Arbeit. Er kam Nachts nicht mehr nach Hause, und war wenn schon, nur am Wochenende da. Er hatte mehrere Beförderungen bekommen, weshalb er nun durch die Welt reisen musste. Da er sich somit nicht mehr um mich kümmern konnte, hat er kurzerhand beschlossen, mich zu meiner Tante zu stecken. Das war jedoch der Fehler. Ich mochte meine Tante, jedoch hätte ich die Nähe meines Vaters gebraucht. In der schwersten Zeit meines Lebens, hatte ich nur mich selbst. Und als er mich dann zu Katja steckte, ist unser Verhältnis nur noch schlechter geworden. Ich liebte ihn, denn er war ja mein Vater, jedoch kannte ich ihn gar nicht. Er hat sich nie Zeit genommen, mit mir über meine oder seine Gefühle zu sprechen. Ich wusste gar nicht, wer er wirklich war. Er war immer wie ein Bekannter, welcher ab und zu mal vorbeischaute, zu dem man aber keine ernsthafte Beziehung aufbauen konnte.
Ich schaute meine Vater erwartungsvoll an. Ich wusste, dass irgendwas vor sich ging und wollte wissen, was das war. „Komm schon Peter. Erzähl es ihr!", warf meine Tante freudig ein. „Okay, ich habe ein Angebot an dich. Und ich hoffe, dass du es annehmen wirst." Er machte eine Pause. Er blickte zu Katja, welche auffordernd nickte und sah dann wieder zu mir. „Ich habe mir gedacht, naja, da du jetzt ja schon größer bist.. und die letzten Jahre waren ja auch nicht ganz ohne und naja..", stammelte er vor sich hin. „Jetzt komm auf den Punkt. Ich werde dir schon nicht den Kopf abreißen.", hetzte ich ihn. „Na gut, also. Ich werde die nächsten Monate viel unterwegs sein und auch nicht nach Hause kommen können. Und da wir uns sowieso so selten sehen, dachte ich, du könntest mich.. naja.. begleiten." Ungläubig starrte ich meinen Vater an. Hatte er das gerade wirklich gesagt? War das Einbildung? Nein! Er hatte mich wirklich gerade gefragt, ob ich ihn auf seiner Weltreise in die Metropolen dieses Planeten begleiten will. Ich war sprachlos. Die Worte waren wie weggeblasen. Abwechselnd schwenkte ich meinen Blick zu meinem Dad und meiner Tante. "Ich brauche.. Ich muss darüber nachdenken.", stotterte ich, dann stand ich auf und ging aus dem Zimmer und letztendlich aus dem Haus. Ohne Ziel vor Augen stolperte ich den Weg entlang.
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Tag -2301 (5SOS Fan Fiction)
FanfictionLina ist zum Zeitpunkt 'Tag 0' 17 Jahre alt. Nach einem schrecklichen Schicksalsschlag vor ungefähr sechs Jahren, hatte ihr Vater beschlossen sie mit auf Geschäftsreisen zu nehmen, um mehr Zeit mit ihr verbringen zu können. Da er jedoch immer am Arb...