~15~ Hoffnungslos (Tag 7)

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Lina:

Ich öffnete die Augen. Vor mir saß mein Vater auf einem Stuhl an der gegenüberliegenden Wand. Er hatte sein Gesicht in seine Hände gestützt und schluchzte leise. Ich blieb noch einige Minuten ruhig auf der Trage, welche sie anscheinend benutzt hatten, um mich aus dem Zimmer meiner Tante zu befördern, liegen, denn mein Kopf schmerzte und gleichzeitig fühlte ich mich wie in einem Traum. „Dad?", flüsterte ich, nachdem ich mein Gehirn einigermaßen zurückerobert hatte. Er schaute auf, sodass ich seine geschwollenen, roten Augen sehen konnte. „Sie haben dir Beruhigungsmittel gegeben, deshalb wirst du erst mal noch etwas benommen sein.", sagte er kühl. Wie sehr hätte ich seine Nähe jetzt gebraucht. „Ich habe mich einigermaßen unter Kontrolle. Was ist passiert? Mit Katja meine ich.", fragte ich, doch er blieb einfach ruhig sitzen und sagte kein Wort. Zögernd setzte ich mich auf und atmete ein paar mal tief durch, was zwei Gründe hatte. Erstens wurde somit das Schwindelgefühl geringer, welche sich gerade in meinem Körper ausbreitete und zweitens konnte ich dadurch die Wut, welche versuchte mich einzunehmen, schmälern. Nachdem die Übelkeit gewichen war, setzte ich erneut an. „Dad?" Obwohl er mir direkt in die Augen schaute, wirkte er abwesend und in seinen Gedanken versunken, weshalb ich noch etwas lauter Sprach. „Dad!" „Sei einfach still!", brüllte er mich an, sodass wir von einige Menschen, welche durch den Gang gingen, erschrocken angeschaut wurden. Ich war etwas zusammen gezuckt, denn mit so einer Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Dann legte er seine Finger an seine Schläfen und bewegte sie in Kreisbewegungen. Er war frustriert, dass konnte ich ja verstehen, aber musste er mich sofort anschreien? Ich wollte doch nur wissen, was mit meiner einzigen Verwandten passiert war. Wieder kam mir ihr Bild ins Gedächtnis. Die viele Schläuche,welche von Katjas Körper zu den Geräten führten und in einem ungleichmäßigen Rhythmus piepsten und ihr weißes Gesicht, welches keinerlei Emotionen zeigte. Alles wirkte so surreal und ich konnte nicht verstehen, wie es dazu gekommen war, dass sie überhaupt hier lag, denn es schien so, als würde mir keiner irgendwelche Informationen geben, welche das hier sitzen vielleicht erträglicher gestalten würden. In diesem Moment kam eine andere Schwester, als die, die uns vorhin zu Katja gebracht hatte, und entfernte die Infusion aus meiner Hand. „Wie geht es Ihnen?", fragte sie mich, während sie die Nadel in eine Schale legte. „Den Umständen entsprechend.", antwortete ich und beschloss dann, die Blondine nach dem Zustand meiner Tante zu fragen. „Was ist passiert? Also, ich meine mit meiner Tante." Sie schaute zu mir auf, schwenkte dann zu meinem Vater, welcher immer noch den Boden anstarrte und dann wieder zu mir. „Sie hatte einen Autounfall. Aufgrund eines Tumors in ihrem Gehirn, welcher ihre motorischen Fähigkeiten einschränkt, verlor sie die Kontrolle über den Wagen und fuhr direkt in eine Mauer. Als der Rettungswagen eintraf, war sie schon nicht mehr bei Bewusstsein und die Ärzte konnten leider nur noch den Hirntod feststellen. Es tut mir sehr leid, aber sie wird nicht mehr aufwachen!" Obwohl ich schon damit gerechnet hatte, war ich geschockt, doch ich konnte die Tränen unterdrücken. Ich wollte nicht schon wieder weinen. Ein paar Sekunden dauerte es, bis ich die Information verarbeitet hatte. Dann ließ ich meine Beine vom Bett gleiten und stellte sie auf den Boden. Wieder kam das Schwindelgefühl, doch ich ließ es diesmal nicht das Steuer übernehmen, sondern schluckte es einfach herunter. „Können Sie uns kurz allein lassen?", fragte ich die Krankenschwester, wobei sich meine Stimme überschlug. Die Schwester nickte und ging. Langsam verlagerte ich mein Gewicht auf meine Beine und meine Füße und stellte mich auf. Anfangs hielt ich mich noch an dem Bett fest, doch dann setzte ich an und lief die wenigen Schritte bis zu den Sitzplätzen und ließ mich auf den freien Sitzplatz neben meinem Vater nieder. Zögernd legte ich meine Hand auf seine Schulter, denn ich wusste nicht, ob er sauer werden würde oder ob er anfangen würde zu weinen oder ob er es überhaupt realisieren würde. Als meine Finger seine Jacke berührte zuckte er zurück, er hatte mich wohl nicht gehört, und zog seine Schulter weg. Ich nahm meine Hand wieder runter und zischte ihn an: „Was ist dein Problem? Warum weist du mich so ab?" Er schnaufte einmal tief durch und fing dann an. „Katja hat einen Tumor." „Ja, ich habe vorhin zugehört!" „Du hast zwar zugehört, aber du hast nicht verstanden! Sie hatte einen unheilbaren Tumor im Gehirn, genauso, wie deine Mutter. Verstehst du?" Ich dachte angestrengt nach, konnte aber einfach nicht verstehen, was er mir vermitteln wollte, also zuckte ich nur kurz mit den Schultern. „Sie hatte denselben unheilbaren Tumor, wie deine Mutter. Haargenau denselben! Sie waren Schwestern und hatten denselben Tumor!" Er schien es eher zu sich zu sagen, als zu mir und langsam konnte ich seine Gedankenzüge nachvollziehen. „Du meinst doch nicht etwa..", setzte ich an, konnte jedoch nicht zu Ende denken, denn er unterbrach mich „Ja, es bedeutet, dass diese Art Tumor vererbbar ist. Es könnte also sein, dass du denselben unheilbaren Tumor bekommst. Deshalb!" Ich schluckte. Verdammt!

„Wie lange wird es dauern?", fragte mein Vater den älteren Arzt im weißen Kittel, welcher vor uns stand. „Es wird sehr schnell gehen. Sobald die Geräte ausgeschaltet wurden, wird ihr Körper nicht mehr arbeiten. Also, sind Sie bereit?", stellte er die Gegenfrage. Ich schaute zu meinem Dad, welcher kurz überlegte und dann erneut nachhakte „Und es ist vollkommen ausgeschlossen, dass sie wieder aufwacht?" „Es tut mir Leid, doch bei einem Hirntod kann nichts mehr gemacht werden. Ihr Körper arbeitet nicht mehr von alleine. Alles wird über die Geräte gesteuert. Wenn wir sie noch länger an den Geräten lassen, zögert das alles nur unnötig lange heraus.", erklärte der Arzt noch einmal. „Okay, dann sind wir bereit.", antwortete mein Vater auf die vorhergehende Frage, ohne mich auch nur anzuschauen. Obwohl ich seiner Meinung war, wäre ich schon gerne gefragt worden, was ich davon hielt. Es ging hier immerhin um eine wichtige Entscheidung. Aber ich wurde nicht gefragt, denn mein Vater hielt es nicht für wichtig, mich nach meiner Ansicht zu fragen. Der Mann nickte nur und ging dann zu jedem Gerät einzeln und schaltete es aus. Mit jedem verstummenden Ton wurde es schwerer für mich zu atmen, ruhig zu bleiben und meine Tränen zurückzuhalten. Ich stand von dem Stuhl auf und ging Nahe ans Bett heran. Ein Gerät wurde ausgeschaltet. Ihr Gesicht war blass und ihre Augen waren geschlossen. Ein weiteres. Das Lächeln, welches normalerweise ihre Lippen zierte, war wie weggewischt. Ein weiteres. Langsam hob sich ihre Brust und senkte sich gleich danach wieder. Dies war das einzige Lebenszeiten, welches noch von ihr ausging. Ein weiteres. Ihre Hände lagen nahe an ihrer Hüfte auf der Decke, welche die Schwestern über ihren Körper gelegt hatten. Ich nahm ihre rechte Hand in meine und drückte sie. Ein weiteres. Eine Träne, die sich meine Wange herunter schlängelte, landete auf dem Bettlaken und hinterließ einen dunklen Fleck. Schnell wischte ich mir über die Backe und über die Augen, um die restlichen salzigen Tropfen zu entfernen. „Sie ist tot!", flüsterte mein Vater. Ich schaute auf den Bauch meiner Tante und merkte, dass er sich weder hob, noch senkte. Der Mann entfernte jetzt den Schlauch des Beatmungsgeräts, welches er schon vor ein paar Sekunden ausgeschaltet hatte. „Ich lasse Sie jetzt alleine, dann können Sie sich noch verabschieden!", kündigte der Arzt an, während er auf seine Uhr schaute und verließ uns dann. Eine kurze Zeit stand ich noch neben ihrem Bett, doch dann merkte ich, wie ich wieder schwächer wurde. Langsam legte ich die Hand wieder dahin, wo sie zuvor gelegen hatte und streifte mit meiner Hand einmal entlang ihres blassen Gesichts. Dann gab ich meiner Ersatzmutter einen Kuss auf die Stirn, so wie meine echte Mutter es früher bei mir immer getan hatte, wenn sie mich ins Bett gebracht hatte und entfernte mich von ihrem toten Körper. Gerade, als ich mich neben meinen Vater setzen wollte, stand dieser auf und murmelte etwas von 'Papierkram', verließ das Zimmer durch die Tür und ließ mich mit meiner toten Tante allein. War ein wenig Zuneigung zu viel verlangt? Das war alles zu viel für mich. Jetzt musste ich mich den Tränen geschlagen geben und hielt mir die Hände vor die Augen, um sie aufzufangen. Meine Tante war Tod und mein Dad, der einzige Familienangehörige, der mir noch geblieben war, versuchte zwanghaft mich zu ignorieren. Es dauerte eine Weile, doch nachdem ich mich wieder einigermaßen beruhigt hatte, ging ich auch aus dem Raum, denn ich konnte es einfach nicht ertragen, alleine mit dem toten Körper der einzigen Person zu sein, welche sich noch für mich interessiert hatte und für mich da war, wenn ich sie gebraucht hatte.


Tag -2301 (5SOS Fan Fiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt