Lina:
Immer noch total aufgelöst stiegen ich und mein Vater nach Verlassen des Krankenhauses in das Taxi, welches uns auch schon hier her gebracht hatte. Der Fahrer lächelte uns freundlich an, merkte jedoch gleich, dass etwas passiert war. Er gab uns ein paar ruhige Sekunden und dann fragte er „Und wo soll ich Sie hinbringen?" Genau das war die Frage gewesen, die mir schon seit einer halben Stunde auf den Lippen gelegen hatte. „Fahren Sie zur Sonnengasse 3a." Dort wohnte Katja. Der Fahrer nickte, und fuhr uns dann zu der gewünschten Adresse. Ich wusste genau, dass er wissen wollte, was passiert war, doch diesmal sagte ich nichts. Zu groß war der Schmerz, der durch meinen Körper schwebte und nach und nach jede kleine Ecke einnahm. Teils war es wegen des Verlustes, teils durch die fehlende Schulter zum Ausweinen. In Gedanken verloren starrte ich aus dem Fenster, wo die leuchtenden Straßenlichter uns den Weg zeigten.
Durch den ganzen Papierkram, um welchen wir uns kümmern mussten, hatten wir viele Stunden verloren und ich wusste nicht einmal genau, wie spät es gerade war, also holte ich mein Handy aus meiner Handtasche und checkte die Uhrzeit. 3:19 Uhr. Morgens. Als ich mein Handy schon wieder wegstecken wollte, bekam ich eine Nachricht von einer unbekannten Nummer. *Hey. That was an intelligent trick you pulled! Writing your number inside the cigarette package. You should have seen the boys' faces when I showed it to them. So, how is it going? How's your aunt? Cal* Wow! Ich hätte nie gedacht, dass die Jungs auch nur daran gedacht hätte, mir zu antworten. Auf gut Glück hatte ich Calum die Nummer 'zugesteckt', aber mit einer tatsächlichen Antwort hätte ich nicht gerechnet. Ich war froh und erleichtert, doch gleichzeitig traurig, denn jetzt musste ich ihnen sagen, was passiert war und ich hatte es noch nicht mal selber begriffen, was im Krankenhaus vor sich gegangen war. Trotzdem antwortete ich sofort *Hey! I bet you were really surprised but I would have never forgiven me, if I hadn't tried everything to stay in contact with you guys. Sadly, my aunt passed away this night. Thanks for writing me! It really means a lot to me. Lina.* Nach ein paar Sekunden kam auch schon die Antwort *Lina, we are so sorry for you! Have you got anyone to talk to about this?* Sofort bereute ich, was ich geschrieben hatte. Ich wollte ihnen nicht schreiben, was zwischen mir und meinem Vater passiert war, denn ich wollte nicht noch mehr Mitleid erregen. Also entschied ich mich dafür, die Nachricht vorerst zu ignorieren und steckte mein Handy wieder in die Tasche. Ich wusste natürlich, dass das eine blöde Entscheidung war, doch im Moment fühlte sie sich richtig an. Diese Situation zwischen mir und meinem Vater machte mich völlig fertig und ich wusste nicht, wie ich das noch länger überstehen sollte, doch ich wollte es alleine schaffen, ohne die Hilfe von Leuten, die höchstwahrscheinlich nur aus Mitleid mit mir kommunizierten.
Nach ungefähr einer halben Stunde kam das Taxi an dem Ziel an. Der Fahrer öffnete den Kofferraum und entlud unsere Sachen. Als mein Dad ihn mit den Scheinen bezahlen wollte, welche er sich aus einem Automaten im Krankenhaus hatte ausbezahlen lassen, winkte der Mann nur ab. „Sie hatten für heute schon genug Aufregung. Behalten Sie das Geld." Dankend legte Peter seine Hand auf dessen Schulter und ich musste mir eingestehen, dass ich in diesem Moment etwas eifersüchtig auf den Taxifahrer war, denn er bekam mehr Zuneigung von meinem Vater, als ich in den letzten Monaten. Immer noch mit einem Hauch von Neid gab ich ihm ebenfalls die Hand, nahm dann meine Koffer und ging in Richtung Tür. Langsam bückte ich mich über die Fußmatte und holte den Schlüssel, welcher sich darunter befand, hervor.
Es war lange her gewesen, dass ich an diesem Ort gewesen war, doch, als ich die Wohnung betrat, war alles noch genau so, wie ich es in Erinnerung hatte. Den Tränen nahe, schlich ich durch den engen Flur entlang, bis ich an mein altes Zimmer kam. Ich drückte die Klinke herunter und die Tür sprang quietschend auf. Zitternd betrat ich das Zimmer, welches sich ebenfalls kein Stück geändert hatte und stellte die Koffer auf dem Boden ab. Ich streifte an den Möbeln entlang und ließ meine Finger darüber gleiten. Es war kein bisschen staubig, was der Ordentlichkeit meiner Tante zuzuschreiben war. Sie hatte immer Wert auf Sauberkeit und Perfektion gelegt, doch das hatte mich nie auch nur im Geringsten gestört. Im Kleiderschrank befanden sich immer noch dieselben Klamotten, welche ich aus Platzgründen damals nicht mitgenommen hatte. Bei dem Gedanken an die Zeit in der ich hier gewohnt hatte, musste ich Lächeln. Dann dachte ich wieder daran, dass die Zeit vorbei war und meine Tante gestorben war und der Anflug von guter Laune war wie weggeblasen. Mit der Hoffnung mich etwas ablenken zu können, hievte ich meine großen Koffer nacheinander auf mein unerwartet frisch gemachtes Bett und begann die Kleidungsstücke einzuordnen, wobei ich die noch im Schrank verbliebenen einfach auf den Boden schmiss. Sie waren mir alle zu klein geworden, weshalb ich sie sowieso nicht mehr gebrauchen konnte. Ich war gerade mit dem ersten Koffer fertig, als mein Dad, ohne anzuklopfen, in den Raum kam. „Was machst du denn da?", fragte er verwirrt. Die röte seiner Augen war so gut wie verschwunden, was mir seltsam vorkam. Normalerweise dauerte es doch eine Weile, bis sich die Haut wieder erholt hatte und ihre normale Farbe annahm. „Wonach sieht es denn aus?", entgegnete ich ihm, jedoch ohne meine Aktion zu unterbrechen. „Du brauchst nicht auspacken, wir bleiben nicht!", erklärte er mir ruhig. Jetzt unterbrach ich mein Tun und starrte ihn fassungslos an. Was hatte er gerade gesagt? Wir blieben nicht? Das war jetzt nicht sein ernst! Katja war nicht mal 6 Stunden tot und er wollte schon wieder abreisen. „Sag bitte, dass das ein Scherz ist!", forderte ich ihn auf. Er schüttelte nur besserwisserisch den Kopf und antwortete dann „Nein! Wir fliegen in ein paar Tagen zurück. Nach der Beerdigung gibt es nichts mehr, was uns hier hält. Also, wenn du dir die Arbeit sparen willst, kannst du deine Klamotten einfach in den Koffern lassen, dann musst du sie später nicht wieder einräumen." Er drehte sich um und stolzierte einfach aus meinem Zimmer. „Ich gehe schlafen, das solltest du auch tun. Wir haben die Nächsten Tage viel zu tun." Er schaute mir noch einmal in die Augen und schloss dann die Tür hinter sich. Ich verharrte einige Zeit noch in der Position, in der ich bei seinem Abgang war. Mein Blick war immer noch auf die Wand gerichtet und mein Mund stand weit offen. Ich konnte nicht genau sagen, wie lange es dauerte, bis ich mich aus meiner Starre lösen konnte, doch irgendwann lief ich ein paar Schritte rückwärts und plumpste neben meine Koffer auf das Bett. Ich konnte nicht mehr. Ich war fertig mit den Nerven. Meine Tante war gestorben, mein Vater ignorierte meine Gefühle und Annäherungsversuche, ohne sich dabei schlecht zu fühlen und ich war höchst wahrscheinlich des Todes geweiht. Vielleicht breitete der Tumor sich schon in meinem Gehirn aus und nahm nach und nach alles ein. Wollte ich wirklich mein Leben weiterhin so vergeuden? Nein! Ich wollte einfach nur noch hier raus. Weg. Egal wohin, einfach von meinem Vater weg. Mir wurde bewusst, dass, obwohl er das Wort „wir" benutzt hatte, es keinerlei Bedeutung hatte. Es gab kein „wir" mehr. Es war auch nicht UNSERE Entscheidung Deutschland wieder zu verlassen, sondern SEINE. Die letzten Jahre zogen vor meinen Augen vorbei und erst jetzt, nach dieser langen Zeit, den vielen Orte, an welchen wir für kurze Zeit „lebten", den zahlreichen Abenden, welche ich allein in Hotelzimmern saß, da der Herr noch Termine hatte, erst jetzt wurde mir bewusst, dass alles, was passiert war, keinerlei Bedeutung für ihn hatte. Nicht nur meine Meinung war ihm egal, nein, ICH war ihm egal. Ich war mit ihm um die Welt gereist, um eine bessere Beziehung zu ihm aufzubauen, weil er behauptete es zu wollen und doch fühlte es sich für mich so an, als wären wir uns ferner denn je. Es ging ihm nicht darum, eine gute Beziehung zu mir aufzubauen. Es war ihm total egal. Er hätte es versucht, wenn er gewollt hätte, doch allem Anschein nach, war es nicht so. Alles, was die letzten Jahre passiert war, war so sinnlos. Ich hatte wertvolle Zeit vergeudet, welche ich mit meiner Tanten hätte verbringe können, in welcher ich Bekanntschaften hätte knüpfen können und Freunde hätte finden können. Ich hätte ein normales Leben führen können und einfach ein normaler Teenager sein können, doch ich hatte alles stehen und liegen lassen. Für nichts. Ich spürte Wut, Trauer und Enttäuschung in mir. Ich konnte spüren, wie diese Gefühle von Sekunde zu Sekunde wuchsen. Doch die Hoffnung, welche in den letzten Monaten wenigstens noch etwas anwesend gewesen war, war weg. Sie war spurlos verschwunden und ich wusste, dass ich sie wohl so schnell nicht mehr wieder finden würde. Ich kam mir so dumm vor. Wie konnte ich nur auf diesen Trick hereinfallen? Wie hatte ich es zulassen können, dass mein eigener Vater in meine Gedanken eindrang und mich total auf den Kopf stellte? All die Jahre dachte ich, ich würde ihm was bedeuten, doch ich war nichts, als eine Art Wohltätigkeitsprojekt für ihn. Er hatte mich wie einen Kunden angelockt und mir Versprechungen gemacht, welche er nicht gehalten hatte und ich war darauf herein gefallen.
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Tag -2301 (5SOS Fan Fiction)
FanfictionLina ist zum Zeitpunkt 'Tag 0' 17 Jahre alt. Nach einem schrecklichen Schicksalsschlag vor ungefähr sechs Jahren, hatte ihr Vater beschlossen sie mit auf Geschäftsreisen zu nehmen, um mehr Zeit mit ihr verbringen zu können. Da er jedoch immer am Arb...