K A P I T E L 10

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-Alessio's Sicht-

Ein lautes Klingeln riss mich aus dem Schlaf und mit nur leicht geöffneten Augen tastete ich mein Bett nach meinem Handy ab. Wer rief so spät an? Konnte das nicht warten, verdammt nochmal?
Genervt drückte ich auf den grünen Knopf und nahm einige Sekunden später die Stimme meines Vaters wahr. ,,Alessio..'', murmelte er, und sofort wusste ich, dass etwas passiert sein muss.

,,Er hat dir also echt nicht gesagt, was passiert ist?'', fragte mich Jonas jetzt schon zum dritten Mal, als wir uns auf unsere Plätze im Flugzeug setzten und darauf warteten, dass der Flieger endlich startete. ,,Nein, Jonas. Zum hundertsten Mal, er hat nichts gesagt. Er sagte nur, dass wir sofort nach Italien sollen. Aber ich habe es in seiner Stimme gehört. Es ist etwas schlimmes passiert'', murmelte ich die letzten paar Wörter und hörte die Jungs neben mir seuftzen. Wir hatten gerade mal 6 Uhr morgens, nach dem Anruf hatten wir sofort das Nötigste eingepackt und uns den nächsten Flug genommen. Müde schloss ich meine Augen, als der Flieger abhob und schlief sofort ein.

Wir stiegen aus dem schwarzen Wagen, den jemand zum Flughafen für uns gebracht hatte und liefen in die Villa. Es war still. Etwas zu still. Normalerweise liefen hier mehrere Männer rum. Aber es war keiner in Sicht. Die Haushälterin kam uns entgegen und sah uns mitleidend an. ,,Sie sind alle im Saal. Sie warten auf euch'', gab sie kurz von sich und verschwand in der Küche.
Sofort liefen wir zum Saal und öffneten die Tür. Die wichtigsten Mafiamitglieder saßen dort und sahen uns an. Ich ließ meinen Blick über jeden streifen. Nur einer fehlte.
,,Vater'', sagte ich und ging auf ihn zu. Bei seinem Anblick lief mir sofort ein eiskalter Schauer über den Rücken. Fest nahm er mich in die Arme und ich spürte, wie er sein Gesicht in meinem Hals vergrub. ,,Was ist passiert?'', fragte ich leise. In meinen Gedanken hatte ich die Antwort schon, ich wollte es aber nicht wahr haben. Es konnte nicht wahr sein. ,,Es ist dein Bruder, Alessio. Es ist Manuel'', bestätigte er meine Gedanken und drückte mich noch fester. Meine Finger krallten sich in seinen Rücken. Ob es aus Wut war, oder aus Trauer, ich weiß es nicht. Still liefen mir Tränen die Wangen herunter und ich konnte ein aufschluchzen nicht vermeiden. In anderen Situationen wäre es peinlich, vor allen Männern zu weinen, seine Schwäche zu zeigen. Aber es war mir egal. Mir war in diesem Moment alles egal. Ich wollte nur meinen Bruder zurück. Langsam verwandelte sich meine Trauer in tiefe Wut und ich ließ von meinem Vater ab. ,,Wer war es?'', zischte ich und sah ihm fest in die Augen. ,,Die Portugiesen.''

-Joana's Sicht-

Neben meinem Vater stand ich vor der riesigen Villa, in denen wohl meine ganze Familie und die engsten Mitglieder der Mafia 'lebten'. Ich war bereit dazu, diese Welt kennenzulernen, und vorallem, alle meine Verwandten richtig kennenzulernen. Klar hatte ich ein paar meiner Onkels ab und zu schon gesehen, aber ein wirkliches Verhältnis zu ihnen habe ich nie aufbauen können.
Zusammen betraten wir die Villa und ich sah sofort einige breit gebaute Jungs im Flur rumlaufen. ,,Carlos, sag allen bescheid, wir treffen uns in 5 Minuten im Besprechungsraum'', gab mein Vater den Befehl. Kurz musterte mich der sogenannte Carlos, bevor er die riesige Treppe hochlief um anscheinend allen bescheid zu geben. Meine Hände schwitzten vor Aufregung, als ich neben meinem Vater im Besprechungsraum Platz nahm und nach und nach jüngere Männer den Raum betraten und sich setzten. Später kamen noch ein paar der Älteren dazu, darunter erkannt ich meine beiden Onkel Tiago und Marcelo. ,,Joana, wie hübsch du doch geworden bist!'', rief Onkel Tiago und nahm mich in den Arm. Ich umarmte ebenfalls Marcelo und setzte mich dann wieder. Zuletzt betraten zwei Mädchen den Raum und musterten mich interessiert. Sie mussten ungefähr in meinem Alter sein, so sahen sie zumindest aus. ,,Da nun endlich alle eingetroffen sind, möchte ich euch jemanden vorstellen. Wie ihr wisst, habt ihr alle noch eine Cousine, meine Tochter Joana. Sie weiß seit ein paar Tagen über alles bescheid und ich wäre euch wirklich dankbar, wenn ihr sie herzlich aufnehmen würdet und nett seid!'' Mein Vater klang freundlich, jedoch schwang ein leicht drohender Unterton in seiner Stimme. ,,Natürlich Onkel Malik, wir haben sie schon sehnsüchtig erwartet! Du hättest sie schon vorher hier her bringen sollen!'', rief eines der Mädchen und grinste mich breit an. Ich lächelte meine sogenannte Cousine schüchtern an. ,,Jaja, Aurora, willst du deinem Onkel ein schlechtes Gewissen machen? Vergiss nicht, wer dich letztes Mal betrunken auf der Straße gefunden hat'', meinte mein Vater belustigt und Aurora riss entsetzt die Augen auf. ,,Aurora, darüber sprechen wir später unter zwei Augen'', sagte Onkel Tiago und sah ihr sauer in die Augen. ,,Ach komm schon, Daddy! Onkel Malik übertreibt es mal wieder. Ich war nur ein wenig angetrunken!'', rief sie und alle um sie herum fingen an leise zu lachen. Sie verdrehte nur genervt die Augen und verschränkte ihre Arme vor der Brust. ,,Wie dem auch sei, wie wärs mit einer Grillparty?'', fragte mein Vater in die Runde und alle nickten glücklich.

-Alessio's Sicht-

Ich stand vor der Kirche, in der vorhin die Beerdigung für meinen großen Bruder war und starrte durch die Gegend wie ein Irrer. Ich sah, wie sich jemand neben mich stellte und einen Arm um meine Schultern legte. ,,Wir werden Rache nehmen, Alessio'', flüsterte Luca und zog mich in eine Umarmung. Wieder konnte ich meine Tränen nicht zurück halten. Es war, als ob sich alles wiederholte. Als ob genau dasselbe passierte, wie als sie meine Mutter getötet hatten. Ich hatte gerade gelernt die Leere in mir zu füllen. Und jetzt. Jetzt ist da wieder dieses riesige Loch in mir drin und ich weiß, dass ich es diesmal nicht schließen kann. Wen wollen sie mir noch alles nehmen, bis das alles endlich ein Ende hat?
Luca löste sich aus der Umarmung und sah mich an. Auch er hatte geweint. ,,Wir schaffen es zusammen. Alessio, wir werden diese Zeit zusammen durchstehen. Es wird alles wieder gut, verstehst du?'' ,,Manuel war nicht nur mein Bruder, Luca. Er war mein Vorbild. Seitdem ich klein bin, will ich werden wie er. Ich gebs zu, als er geheiratet hat und ein Kind bekommen hat, habe ich daran gezweifelt, dass ich wirklich werden will wie er. Aber ich weiß es jetzt. Ich will es. Ich wollte es immer. Er war mein größtes Vorbild. Und jetzt, sieh mich an. Sie dir unsere Familie an, Luca! Sie reißen uns auseinander. Schau dir Mia an. Und was soll aus der kleinen Lina werden, wenn sie ohne Vater aufwächst. Muss denn jeder dasselbe Schicksal durchmachen wie wir? Muss jeder jemanden verlieren, der einem wirklich wirklich viel bedeutet. Du weißt doch wie es ist, verdammt Luca, sie haben deinen Vater getötet, meine Mutter, Jonas' Schwester! Und jetzt noch Manuel. Ich kann nicht mehr dabei zusehen, Luca! Ich werde diese Familie vernichten, ich werde deren Mafia vernichten und anfangen werde ich bei deren scheiß Anführer und seiner Tochter. Ich werde bei Joana anfangen.''

Mission IncompleteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt