Kapitel 41

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• Sam •

Ich sah ungeduldig auf die Uhr und tippte mit meinem Stift auf dem Tisch herum. Warum war Französisch nur so langweilig? Eigentlich war die Lehrerin nicht so schlimm, doch sie war unglaublich optimistisch und nervte einfach, da sie alles dreißig mal wiederholte.

Genervt sah ich nach hinten, zu Keyla. Sie tippte etwas auf ihrem Handy unter dem Tisch und schien gar nicht aufzupassen.

Wieder sah ich auf die Uhr. Nur noch ungefähr zehn Minuten, dann war dieser schreckliche Unterricht endlich vorbei und ich hatte Sport.

,, Ihr könnt jetzt mit den Hausaufgaben anfangen", lächelte unsere Französischlehrerin und setzte sich hinter das Pult. Ich seufzte nur und fing mit den Hausaufgaben an, als es plötzlich klopfte und bevor jemand die Tür aufmachen oder antworten konnte, wurde sie schwungvoll aufgerissen.

Ich sog aufgeregt die Luft ein und sah nach hinten zu Keyla, die noch an ihrem Handy hang. Ihr Sitznachbar schubste sie an und nun starrte sie ebenfalls auf Alonso, der mit geballten Fäusten am Türrahmen stand und den Raum nach jemanden absuchte. Bei mir blieb er mit seinen Augen stehen und sah mich an.

,, Wie kann ich Ihnen helfen?", fragte unsere Lehrerin.

,, Ich müsste dringend mit Samantha Hanson sprechen."

,, Wie sind mitten im Unterricht!"

,, In zehn Minuten ist ihr scheiß Unterricht sowieso vorbei. Sam, komm kurz raus", knirschte er am Ende mit den Zähnen. Ich stand nur langsam auf und sah kurz durch meine Klasse, die sich fast in die Hosen machte. Okay, Alonso sah wütend aus. Was hätte ich gemacht? Oder was war passiert?

Er schloss die Tür grob zu. ,, Spinnst du eigentlich?"

,, Was ist passiert?"

,, Ich habe heute, von meinem Lehrer erfahren, dass ich die Schule gewechselt habe." Ein kleines Lächeln bildete sich auf meinem Gesicht. Das hieß also, dass er das Stipendium bekommen hatte.

,, Ich will nicht in einer Schule sein, voll mit weißen Snops und meine Cousine alleine in einer Drecksschule lassen. Verstanden?"

,, Denk' doch auch mal an dich!"

,, Hier geht's nicht um mich", fing er an. ,, Es geht darum, dass du diese Mierda hinter meinem Rücken getan hast!"

,, Ich wollte dir nur etwas Gutes tun. Du hast etwas besseres verdient, eine bessere Zukunft."

,, Scheiße, kapierst du es nicht? Ich habe keine Zukunft. Ich bin in einer Gang! Denkst du, dass ich ein Arzt oder Anwalt werde?" Dies traf mich total. Natürlich hatte er eine Zukunft. Er dachte nur zu negativ.

,, Du hast eine Wahl."

Alonso lachte spöttisch auf. ,, Nein, habe ich nicht. Hör auf zu träumen."

Es herrschte Stille. Tränen stiegen in mir, ich wollte doch nicht weinen. Nicht wegen sowas. Aber es traf mich, tief ins Herz. Hieß das also, dass wir auch keine Zukunft hatten?

Keine Sekunde später klingelte es und die Schüler stürmten aus den Räumen. Die Tränen fielen mir auf einmal über die Wange und ich rannte. Ich rannte von ihm weg. Ich rannte von der Realität weg. Ich rannte zurück in meine kleine, heile Welt.

,, Sam!", rief Alonso und ich hörte, wie er auf spanisch fluchte und die Schüler zur Seite schob. Doch ich wollte ihn nicht sehen. War alles also nur auf Zeit? Wenn wir aufs College gingen, war es vorbei?

Ich schluchzte laut, als ich schnell in die Mädchentoilette ging und mich in eines der Kabinen einschloss.

Mein schluchzten war verdammt laut und die Tränen tropften ununterbrochen über meine Wange, sodass ich mir die Hand vor meinen Mund hielt. Ich legte den Klodeckel nach unten und setzte mich drauf. Die fünf Minuten, die wir hatten, um kurz zu unserem Spind und dann zum Unterricht zu gehen, verbrachte ich dann wohl hier.

Scheiße, meine Sachen lagen noch im Französischraum!

Ich seufzte nur und hoffte, dass Keyla meine Sachen mitgenommen hatte.

Träumte ich wirklich? War es so unwahrscheinlich, dass Alonso und ich zusammen blieben? Auch nach der High School?

Ich legte meinen Kopf nach vorne, zog meine Beine an meinen Oberkörper und erneut flossen die Tränen, diesmal jedoch im Stillen. Alleine, auf einer Toilette im Mädchenklo.

Ich wollte nicht, dass es endete mit mir und Alonso. Wir waren so unterschiedlich, doch passten genau zusammen. Gegensätze zogen sich doch an, oder?

Mein Herz schmerzte, als ob tausende Nadeln hineingestochen wurden.

Plötzlich wurde die Tür geöffnet und ich hörte Schritte, die immer näher kamen.

,, Hast du diese Schlampe gesehen?", fragte eine hohe Stimme. War das Audrey? ,, Du weißt schon, die Freundin von Alonso." Meine Augen weiteten sich, als ich das hörte. Sie nannte mich eine Schlampe? War heute Gegenteilstag?

,, Dieses Miststück hat sich ernsthaft ein Gangmitglied geschnappt. Und dazu auch noch ein heißes", lachte sie.

,, Das ist doch peinlich", sagte ein anderes Mädchen. ,, Alonso passt nicht zu ihr. Sie ist so verschlossen, was soll Ramírez denn mit so einer? Bestimmt haben die nicht einmal Sex." Ich ballte mein Fäuste zusammen und spürte die pure Wut in mir. Es klingelte, als Audrey auflachte und beide aus dem Mädchenklo gingen.

Wenige Minuten später stand ich ebenfalls auf und ging an das Waschbecken. Meine Augen waren angeschwommen und Mascara war über meiner Wange verschmiert. Ich lehnte mich an das Waschbecken und stöhnte genervt auf. Dabei ignoriere ich den getrockneten Abdruck meiner Mascara und Tränen. Ich verweilte eine Weile lang so, schnappte mir dann aber schnell ein Tuch und wischte es mit Seife ab.

Als ich fertig war, sah ich zwar besser aus, doch immer noch, als ob ich geweint hätte. Ich atmete tief ein und aus, als ich erneut in mein Spiegelbild sah. Auf einmal wurde die Tür schnell geöffnet und ich sah reflexartig dahin.

Alonso rannte sofort zu mir hin und nahm mich fest in den Arm. Ich legte meine Hände auf mein Gesicht, als er seine Arme um meinen Körper schloss. Ich spürte seinen Atem an meinem Nacken, was mir Gänsehaut bereitete.

,, Princesa", murmelte er in meinen Nacken und küsste mich darauf. Mir wurde urplötzlich warm und nun legte auch ich meine Arme um seinen Nacken und spürte erneut ein angenehmes Gefühl bei ihm. Ich vergaß plötzlich alles und wollte nur bei ihm sein.

Genau das machte mir Angst. Es tat mir unglaublich weh, wenn wir uns stritten. Ich wollte nur ihn. Ich konnte nicht ohne ihn.

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