4 | 23. Kapitel

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Zwei Wochen vor Weihnachten lag der Brief an Sirius noch immer unberührt in meiner Tasche, da Hedwig bisher wohl nicht zurückgekehrt war – jedenfalls war sie nicht bei mir aufgetaucht. Überhaupt war ich mit den Gedanken momentan ganz woanders, ähnlich wie die meisten anderen Mädchen sämtlicher Altersstufen, seit vor wenigen Tagen verkündet worden war, dass dieses Jahr an Heiligabend ein Tanzabend, offiziell ein Ball, veranstaltet würde. Nur dass meine Ablenkung wohl nur zum Teil mit diesem kommenden Ereignis zusammenhing. Vielmehr beschäftigte mich das schmale Briefkuvert, welches ich bereits seit heute Morgen beim Frühstück mit mir herumtrug.

Jetzt hier im Gemeinschaftsraum in einem der bequemen grünen Sessel sitzend, fand ich keine weiteren Ausreden mehr, das Lesen irgendwie länger aufschieben zu können. Ich wusste, von wem er kam. Nicht nur kannte ich die schmale, schnörkelige Handschrift, sondern auch die Eule, die ihn mir gebracht hatte. 

Mit einem Seufzen schlitzte ich den Umschlag auf und nahm zögernd das zusammengefaltete Blatt Pergament heraus.

Caitlyn,
ich weiß, dass du dir vermutlich aufs Äußerste betrogen und belogen vorkommst. Und auch wenn ich mir durchaus im Klaren darüber bin, wie sehr du diesen Satz hasst, aber ich hatte keine Wahl.

Manche Sachen sind einfach nicht für Kinderohren bestimmt. Ich war der Meinung, dass es besser wäre, dich in dem Glauben aufwachsen zu lassen, du wärst in Sicherheit. Hättest du gewusst, wer du wirklich bist – die Schwester des Jungen der Überlebte, beide Eltern an den schwärzesten aller Magier verloren – wärst du in schrecklicher Gefahr gewesen. 

Das dunkle Mal wird deutlicher, du hast es so häufig gesehen und ich habe es dich genauso oft vergessen lassen. Sobald Er zurückkehrt, werde ich gezwungen sein, meinen Platz an seiner Seite erneut einzunehmen und dein Bruder wird in größter Gefahr schweben. In den Augen des dunklen Lords bist du tot und daher bitte ich dich im Moment nur um eines: Sorge dafür, dass das so bleibt! Niemand darf wissen, dass du noch lebst, am allerwenigsten Potter. Denn wenn er es erfährt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch der dunkle Lord davon Wind bekommt. Die Potterzwillinge. Er würde alles daransetzten, euch umzubringen.

Lies diesen Brief sorgfältig durch und zerstöre ihn danach. Er ist der einzige schriftliche Beweis deiner Existenz und könnte uns unseren eigenen Strick drehen, wenn er in die falschen Hände gerät.

Professor S. Snape, dein Vater.

Wütend zerknüllte ich das Pergament und starrte in die roten Flammen im Kamin. Er hatte recht, ich sah es nicht als Entschuldigung, dass er mich nur hatte beschützen wollen. Was nicht hieß, dass ich es nicht verstand.

Das dunkle Mal wird deutlicher, du hast es so häufig gesehen und ich habe es dich genauso oft vergessen lassen.

Und trotzdem wollte mir dieser Satz nicht mehr aus dem Kopf. Er hatte mein Vertrauen missbraucht. Nicht nur, dass er mich belogen hatte, nein, er hatte auch noch Zauber auf mich angewandt, um mich vergessen zu lassen. Er hatte an meinen Erinnerungen herumgepfuscht!

Mein Inneres Gefühlschaos hielt die ganzen nächsten Tage an, wenn ich auch mein Bestes gab, mir nichts anmerken zu lassen. Ich ging mit Noreen, Pansy und Millicent zusammen nach Hogsmeade, wo unser Hauptthema der anstehende Weihnachtsball war, besuchte mit Ausnahme von Zaubertränke jeden Unterricht, schrieb sämtliche Prüfungen mit und tat, als würde ich Dimitri, den Jungen aus Durmstrang, nicht bemerken, wenn er sich wieder irgendwo in meiner Nähe aufhielt.

Als Harry mich schließlich einen Tag vor Weihnachten abfing und mir mitteilte, dass Hedwig zurückgekehrt war und auf mich wartete, machte ich mich mit klopfenden Herzen auf den Weg hinauf in die Eulerei.

Draußen war es bitterkalt und ich hüllte mich fest in meinen warmen Slytherinschal, während ich die vereisten Stufen hinaufstieg, wobei ich aufpassen musste, nicht auszurutschen. Kaum war ich oben im runden Turm angelangt, flatterte Felyx auf meine Schulter und begrüßte mich mit einem leisen Schuhuhen. Sanft strich ihr übers weiche Gefieder. "Ich habe dich vermisst. Aber heute bist du nicht diejenige, die ich losschicken werde."

Als Reaktion auf diese Aussage zwickte sie mir unsanft ins Ohr, blieb jedoch sitzen, während ich mich suchend im Turm umschaute, bis ich endlich Harrys Schneeeule entdeckte, die auf einen Pfiff meinerseits zu mir hinunterflatterte und damit Felyx von meiner Schulter vertrieb, die sich mit einem empörten Flügelschlagen ins Gebälk verabschiedete.

"Hallo, Hedwig." Die Eule sah mich still aus ihren klugen bernsteinfarbenen Augen an, als wisse sie, wer ich wirklich war. "Wer weiß, vielleicht tust du das sogar."

Eine Träne lief mir die Wange hinunter und ich trat mit ihr auf dem Arm an eines der großen Bogenfenster heran. Selten war ich mir in Hogwarts so einsam vorgekommen. "Mein ganzes Leben ist ein Scherbenhaufen. Ich weiß nicht mehr, wem ich vertrauen soll, jetzt, wo selbst mein eigener Vater nicht mehr der ist, der er einst war." Eine weitere Träne suchte sich ihren Weg, während ich in die Ferne gen Horizont blickte. "Ich muss mit jemandem darüber reden und dabei kannst du mir helfen -"

"Redet ihr Ängländer immer mit euren Tieren?"

Abrupt wirbelte ich herum, den Zauberstab in der Hand und auf den Eindringling gerichtet. An eine der großen Säulen gelehnt stand Dimitri, beide Hände lässig in seine Hosentaschen gesteckt und grinste mich schief an. Meine Gedanken rasten. Wie viel hatte er gehört? Was genau hatte ich gesagt? Ließ es irgendwelche Schlüsse zu, die mir oder Harry gefährlich werden könnten? "Was machst du hier?"

"Ist es verboten einen kleinen Spaziergang zu machen und dabei die Aussicht zu bewundern?" Sein Lächeln war entwaffnend, dennoch schenkte ich ihm nur einen bösen Blick und wandte ihm wieder den Rücken zu.

"Bring diesen Brief zu ihm", raunte ich der Eule zu und konnte nur hoffen, dass sie wusste, wen ich meinte. Mit einem leichten Fiepen spannte sie die Flügel und schwebte in den Abend davon. "Was möchtest du, Dimitri?"

"Habe ich das nicht bereits gesagt?" Seine Stimme klang dieses Mal näher und ich zögerte einige Sekunden, ehe ich mich zu ihm umwandte. 

Tatsächlich war er bis auf wenige Schritte an mich herangetreten. Ich musste den Kopf heben, um ihm in die dunkeln Augen sehen zu können. Wieso bei Merlin musste ich auch so klein sein? "Da ich nicht wirklich auf schleimige Komplimente stehe, habe ich das einfach ignoriert. Also?" In einem Versuch mich weniger klein zu fühlen, verschränkte ich abweisend die Arme und tippte ungeduldig mit dem Fuß auf den mit Eulenmist bedeckten Boden.

Eine Spur Schalk blitzte in seinen Augen auf. "Woher willst du wissen, dass ich schleimen wollte?", fragte er herausfordernd.

"Komm zum Punkt! Sonst werde ich dafür Sorge tragen und das wird definitiv nicht angenehm für dich werden." Gereizt wollte ich mich an ihm vorbeidrängen, doch er packte mich mit sanfter Gewalt am Oberarm und drehte mich zu sich herum.

"Okay, eigentlich war das jetzt nicht unbedingt so geplant." Nervös strich er sich durch den Nacken und vielleicht war das mit der Grund, wieso ich meine Abwehrhaltung aufgab. "Caitlyn Snape -" Mit einer förmlichen Verneigung streckte er mir die Hand entgegen. "Würdest du mir die Ehre erteilen, mich morgen zum Weihnachtsball zu begleiten?"

Sprachlos starrte ich ihn an, wie er immer noch in einer halben Verbeugung, die Hand ausgestreckt, vor mir verharrte. "Ähm ...", sagte ich. Sollte ich zusagen? Als ich seinen hoffnungsvollen Blick sah, schmolz etwas in mir dahin. Wenn ich die Option hatte, entweder den ganzen Abend im Schlafsaal zu hocken oder zusammen mit Dimitri zum Weihnachtsball zu gehen, würde ich mich definitiv für die zweite Option entscheiden. Auf eine Einladung von Draco hatte ich schließlich lange genug gewartet. Kurz entschlossen stimmte ich also zu.

Unknown Potter I - Secrets of the PastWo Geschichten leben. Entdecke jetzt