4 | 25. Kapitel

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Dracos kühler Blick traf nun mich, auch wenn er sich nicht vom Fleck rührte. Der Ausdruck in seinen sturmgrauen Augen ließ mich einige Schritte zurückweichen. Es war, als würde er mich aus ihnen anschreien, wie dumm ich doch war. Nur wusste ich nicht, in welchem Bezug.

"Also?" Ich verschränkte die Arme vor der Brust, einerseits um mich vor seinem anklagenden Blick zu verschließen, andererseits um mein Zittern zu unterdrücken. Den stetig fallenden Schnee, der mein wunderschönes Kleid durchnässte und sich sanft auf meine Haare legte, hatte ich bis dahin nicht wirklich wahrgenommen. "Hat dich Moody nicht Anfang des Jahres schon versucht zu lehren, dass man seine Gegner nicht aus dem Hinterhalt angreift? Dass es feige ist, einen Fluch auf jemanden zu schleudern, der dir den Rücken zukehrt?"

"Er hat dich beleidigt. Du hast ihn nicht gehört, aber solche Worte würde ich nicht einmal Granger betreffend in den Mund nehmen." Er war einige Schritte auf mich zu getreten, kleine Schneeflocken in den Haaren, den Kiefer angespannt. Leise Musik drang aus dem Schloss zu uns, gemischt mit dem fröhlichen Geräusch lachender Stimmen. "Er sollte damit nicht ungeschoren davonkommen."

"Verdammt, Draco. Gegen ihn hättest du nicht die geringste Chance. Mal abgesehen von der Tatsache, dass er zwei Klassen über uns ist, ist er ein Durmstrang. Dunkle Magie steht bei ihnen im Stundenplan direkt zwischen Verwandlung und Zauberkunst", feuerte ich umgehend zurück. Konnte er nicht einfach begreifen, dass ich mir nur Sorgen um ihn machte?

Draco trat noch einen Schritt auf mich zu, seine Stimme bebte vor unterdrückten Emotionen. "Du sprichst es aus. Er ist älter als du und beherrscht die schwarze Magie. Ich bezweifele, dass er Zögern würde, sie auch einzusetzen."

"Ich kann mich sehr gut selbst verteidigen. Falls du es vergessen haben solltest, habe ich in Verteidigung gegen die dunklen Künste bisher immer spitzen Noten gehabt." Eine heftige Windböe riss an dem silbernen Schal, den ich mir notdürftig um die Schultern gelegt hatte und wehte mir einige kalte Schneeflocken ins Gesicht. "Ich brauche keinen Beschützer!"

"Manchmal bist du wirklich unheimlich langsam von Begriff", spie er aus. Mit einem großen, unheimlich schnellen Schritt schloss Draco den Abstand zwischen uns, legte eine Hand mit sanften Druck in meinen Nacken und senkte seine Lippen auf meine.

Für einen Augenblick erstarrte ich. Ich hatte den Eindruck, Hitze würde von seiner Hand und seinem Mund ausgehend in mich fließen, eine angenehme Wärme, die mich vor der Kälte abzuschirmen schien – ganz ähnlich wie die Wirkung eines Patronus'. Ich machte keinerlei Anstalten, ihn von mir zu schubsen, sondern überraschte mich selbst, indem ich beide Hände in seinen Nacken legte und den Kuss vertiefte.

Mein Tuch flatterte nun endgültig davon, weggetragen vom Wind, aber ich nahm davon keine Notiz. Zu präsent war Draco, der sich urplötzlich mit einem frustrierten Laut von mir löste und mehrere Schritte vor mir zurückwich. Atemlos sah ich ihn an. Das Licht aus der großen Halle erhellte seine Silhouette und ließ sein blondes Haar wie einen Heiligenschein aufleuchten. "Jetzt weißt du es jedenfalls", sagte er, wobei in seiner Stimme ein bitterer Zug mitschwang, bevor er sich abwandte.

"Draco", setzte ich an, doch da war er schon über durch die großen Flügeltüren ins Schloss verschwunden. Wahrscheinlich hätte das Schneegestöber meine Stimme eh verschluckt.

Ich kehrte nicht zurück in die große Halle – nach Feiern war mir jetzt wirklich nicht mehr zumute – sondern verschwand hinunter in die Kerker und setzte mich mit einem Buch vors wärmende Kaminfeuer direkt auf den Boden. Ich las nicht. Tatsächlich wusste ich nicht einmal, welches Buch ich gewählt hatte.

Mit den Augen behielt ich die kahle Steinwand im Blick, die den Eingang zu unserem Gemeinschaftsraum markierte und durch die, seit Zeiten Salazar Slytherins, niemand getreten war, der nicht seinen Idealen entsprach. Ich erinnerte mich noch gut, wie der Vertrauensschüler, der mich und die anderen Erstklässler vor vier Jahren hier hinuntergleitet hatte, uns strengstens ermahnt hatte, keinen Unwürdigen hier hereinzubringen.

Nach und nach tauchten Slytherins auf, traten durch den schmalen Eingang hindurch und verschwanden in ihren Schlafsälen. Draco war nicht darunter, auch wenn beim Gedanken an ihn meine Lippen anfingen zu kribbeln und ich das Gefühl hatte, immer noch sein weiches Haar unter meinen Fingern zu fühlen.

Unruhig kaute ich auf meiner Unterlippe und knibbelte an dem schon etwas abgenutzten Einband meines Buches herum, doch Draco sah ich an diesem Abend nicht mehr.

Auch an den folgenden Tagen tauchte er nicht auf, bis ich allmählich den Eindruck bekam, dass er mir aus dem Weg ging. Und so peinlich ich es fand dies zuzugeben – hatte ich mich schließlich nie für eins dieser Mädchen gehalten, die Liebeskummer wegen eines Jungen bekamen – nagten Zweifel an mir. Ich fragte mich, was ich falsch gemacht hatte. Aber die noch viel wichtigere Frage im Moment für mich – war ich in ihn verliebt? Ich vermisste ihn, keine Frage, und mir fehlte es auch seine Hand zu halten, war das jedoch Verliebtheit? Gar Liebe?

All diese Bedenken schob ich allerdings in den Hintergrund, als am 23. Februar morgens beim Frühstück Hedwig durch die Halle segelte, sich mit einem eleganten Schlag ihrer Flügel vor mir niederließ und einen schmalen Umschlag auf meinen Teller fallenließ.

Vor Schreck verschluckte ich mich an meinem Kürbissaft und griff hustend nach dem Umschlag, die neugierigen Blicke um mich herum ignorierend. "Danke, Hedwig."

"Wieso bringt dir Potters Eule einen Brief?", erkundigte sich Noreen neben mir interessiert, nachdem sie den letzten Rest ihres Brötchens verschlungen hatte. Ihr forschender Blick machte mir klar, dass ich unmöglich hier in der Halle bleiben konnte, um Sirius' Antwort zu lesen. Mit einem gemurmelten: "Wir sehen uns gleich im Unterricht", erhob ich mich von der Bank und strebte in Richtung Ausgang.

Nur zu deutlich konnte ich die Blicke meines Vaters spüren, die mir ein Loch in den Rücken hätten brennen können. Zaubertränke war noch immer das einzige Fach, welches ich mied wie der Vampir die Sonne. Dass er mich nicht darauf angesprochen hatte, bewies nur ein weiteres Mal, welch schlechtes Gewissen er hatte. Aber vielleicht war es ihm auch schlicht und ergreifend egal.

Stetig wanderte ich zwischen den Bankreihen entlang, darauf bedacht, meine Schritte gleichmäßig zu halten, den Brief unter meinem Umhang verborgen. Niemand sollte ahnen, wie geheim und gefährlich die geschriebenen Zeilen waren.

Kaum einen der schmalen, menschenleeren Kerkerkorridore eingebogen, riss ich das Kuvert auf. Mir fiel ein kleiner Zettel entgegen:

M. E. P.,
morgen ist die zweite Aufgabe des Trimagischen Turniers – ich möchte dich sehen. Schaffst du es, dich ins Dorf zu schleichen? Ich werde dich dort abholen.
Tatze

PS: Wenn nicht, schick mir umgehend eine Eule zurück.

Erleichtert zerknüllte ich den Zettel in meiner Hand. Ich würde keine Nachricht zurückschicken, viel zu gespannt war ich auf das, was er mir zu sagen hatte, welche Fragen er mir beantworten konnte. Irgendwie würde es mir schon gelingen, mich aus der Schule zu schleichen.

Unknown Potter I - Secrets of the PastWo Geschichten leben. Entdecke jetzt