3 | 22. Kapitel

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"Ich glaub, wir sind in der Heulenden Hütte!", flüsterte Hermine.

Ehe ich mich bremsen konnte, war mir ein ironisches "Ach ne" entschlüpft. Wir standen in einem dunklen Raum, die Tapeten schälten sich von den Wänden; der ganze Fußboden war mit Flecken bedeckt; alle Möbel waren kaputt, als ob sie jemand in einem furchtbaren Wutausbruch zertrümmert hätte.

Kurz: Der Raum spiegelte alle mir bekannten Schauergeschichten der Hütte wider.

"Euch ist bewusst, dass das definitiv keine Gespenster waren?", flüsterte Harry und deutete auf einen Stuhl in der Ecke, dessen Stuhlbeine nur noch zur Hälfte vorhanden waren. Doch noch bevor ich mir einen weiteren Kommentar hätte überlegen können, knarrte es über unseren Köpfen. Wir erstarrten zu Salzsäulen. Im oberen Stockwerk hatte sich etwas bewegt.

"Was war das?" Hermines Stimme klang ungewohnt hoch.

Kurz tauschte ich einen kurzen Blick mit Harry, dann sagte ich leise: "Wir werden es jedenfalls nicht herausfinden, wenn wir hier unten weiter rumstehen. Sollen wir?"

Nach einem einstimmigen Nicken seitens der beiden Gryffindors, auch wenn das von Hermine sehr zögerlich kam, packte ich meinen Zauberstab fester und drang als Erste unserer kleinen Gruppe in den schmalen Flur vor.

So leise wie möglich kletterten wir die schmale morsche Treppe hinauf. Über allem lag eine dicke Staubschicht, nur auf den Stufen hatte etwas Schweres einen breiten, blanken Streifen hinterlassen. Es war nicht viel Fantasie vonnöten, um zu erahnen, dass der Hund Ron hier hochgezogen hatte.

Oben gelangten wir in einen dunklen Korridor. "Nox." Flüsterten wir wie aus einem Munde und die Spitzen unserer Zauberstäbe erloschen. Am anderen Ende des Flurs stand eine Tür einen Spalt offen. Je näher wir ihr kamen, desto deutlicher hörten wir schlurfende Schritte und ein lautes, zufriedenes Schnurren. Noch ein letzter gewechselter Blick, ein Neigen des Kopfes und Harry trat die Tür auf.

Neben einem großen, ehemals sicherlich prächtigen Himmelbett, lag Ron. Mit schmerzverzerrter Miene umklammerte er sein Bein, welches in einem merkwürdigen Winkel von seinem Körper abstand. Umgehend stürzten Harry und Hermine zu ihm hin. Ich trat nur zwei Schritte in den Raum hinein und schaute mich um.

Wie im restlichen Haus waren auch hier die Fenster vernagelt. Der Boden war staubig, nur unterbrochen durch die Schleifspur und riesenhafte Pfotenabdrücke. Wo war der Hund? Als habe Harry meine Gedanken gelesen, stellte er just in diesem Moment die gleiche Frage.

Bei Rons Antwort blieb mir beinahe das Herz stehen: "Kein Hund. Harry, das ist eine Falle."

Während Harry scheinbar noch Zeit brauchte, um Rons Aussage zu deuten, wandte ich mich langsam um die eigene Achse. "Er ist der Hund ... er ist ein Animagus."

Langsam, voller düsterer Vorahnungen, hob ich den Kopf und traf mit meinem Blick auf zwei dreckige Stiefelspitzen. Sie gehörten zu einem Mann, der in eben jenem Moment der Tür einen festen Tritt versetzte. Mit einem lauten Krach fiel sie ins Schloss. Ich zuckte zusammen, doch noch ehe ich auch nur den Arm heben konnte, krächzte er ein "Expelliarmus."

Sowohl Harry, als auch Hermine und mir riss es unsere einzige Waffe aus der Hand. Die Zauberstäbe wirbelten durch die Luft auf den Mann zu, der sie etwas unsicher fing. Sein schmutziges verfilztes Haar reichte ihm bis zu den Ellbogen und sein gesamtes Erscheinungsbild erinnerte eher an eine Leiche, denn an einen Menschen. Die Haut spannte sich stramm und wächsern über seine Knochen. Es war Black. Ein lebendig gewordener Albtraum. Die Augen wie kleine glühende Kohlen fest auf Harry gerichtet, trat er einige Schritte auf uns zu. Ich wich genauso viele Schritte zurück, sodass ich nun genau neben Harry stand.

"Ich wusste, dass du kommen würdest, um deinem Freund zu helfen." Blacks Stimme war heiser und klang, als habe er sie schon seit langer Zeit nicht mehr genutzt. "Dein Vater hätte dasselbe für mich getan. Mutig von dir, nicht erst einen Lehrer zu holen. Ich bin dir dankbar ... es wird alles viel leichter machen."

Das klang gar nicht gut. Wir mussten hier irgendwie raus. Ohne Zauberstäbe allerdings eine Sache der Unmöglichkeit. Neben mir gab es eine rasche Bewegung und Hermine flüsterte: "Nein, Harry."

Ich schob mich vor ihn. Entschlossen hob ich den Blick und funkelte Black an. Ich hatte meine Wahl getroffen. Vielleicht war ich keine typische Slytherin, aber ich glaubte zumindest an einige Ideale meines Hauses. Und dazu gehörte, für seine Freunde einzustehen. "Wenn sie Harry töten wollen, dann müssen sie zuerst an uns vorbei."

Erstaunlicherweise pflichtete Ron mir bei. Seine Stimme klang schwach, offenbar kostete es ihn alle Anstrengung aufrecht zu stehen, als er mühsam hervorpresste: "Sie hat recht. Und wenn sie uns töten."

Der Blick des Mannes hatte sich von Harry gelöst und fixierte nun mich. Kurz meinte ich einen Anflug von Überraschung in seinen schattigen Augen aufblitzen zu sehen, während er mich von oben bis unten musterte. "Leg dich hin", sagte er leise zu Ron, ohne ihn anzuschauen. "Du schadest deinem Bein nur noch mehr."

"Haben Sie uns gehört?" Rons Stimme klang schwach. Ich spürte, wie er einen Schritt nach vorne taumelte und sich angestrengt in meinen Umhang krallte. "Sie müssen uns alle vier umbringen."

"Es wird heute Nacht nur einen Mord geben." Blacks Grinsen wurde eine Spur breiter. Ich konnte nicht umhin zu glauben, dass die Zeit in Askaban ihn vollkommen Wahnsinnig hatte werden lassen.

"Warum das denn?", fauchte Harry. "Das letzte Mal hat's Sie doch auch nicht gekümmert, oder? All diese Muggel abzuschlachten, um an Pettigrew zu kommen, hat Ihnen nichts ausgemacht ... was ist los, haben sie Sie weich gekriegt in Askaban?"

"Harry", wimmerte Hermine. Man konnte ihr ihre Angst deutlich anhören. "Sei still."

"Er hat meine gesamte Familie umgebracht!", brüllte der Junge und riss sich von den anderen beiden los. Auf den heftigen Stoß nicht vorbereitet, schaffte er es, auch mich umzuwerfen. Zum zweiten Mal heute, landete ich hart auf dem Boden und musste benommen zusehen, wie Harry wutschnaubend auf den Animagus zustürmte. Mit einem Anflug meiner alten Ironie, gestand ich mir ein, dass ich sowieso keine Chance gegen den beinahe anderthalb Köpfe größeren Jungen gehabt hätte. Nicht ohne Zauberstab, den Black jetzt in der Hand hielt und einen Bruchteil zu spät hob.

Und das war Harrys Glück. Normalerweise hätte er nicht die geringste Chance gegen den um einiges größeren Mann gehabt, doch durch diese Unachtsamkeit von Black konnte er ungehindert auf ihn einprügeln. Wäre diese Situation alltäglich gewesen, hätte mich diese Gewaltbereitschaft wahrscheinlich zutiefst schockiert, aber in diesem Durcheinander zählte für mich im Moment nur ein Gedanke. Wir mussten hier raus. Und dafür musste ich an meinen Zauberstab.

Strauchelnd richtete ich mich auf, ignorierte den stechenden Schmerz an meinem Hinterkopf und hechtete zu meinem Zauberstab, der, gemeinsam mit Harrys, in der anderen Zimmerecke gelandet war. Ich erreichte ihn zeitgleich mit Harry. "Aus dem Weg", brüllte er und richtete den Zauberstab auf Black. Wir ließen und das nicht zweimal sagen.

Hermine machte einen Sprung zur Seite und stürzte sich auf ihren und Rons Zauberstab. Ron kroch hinüber zum Bett und brach röchelnd darauf zusammen. Sein weißes Gesicht war grün angelaufen und mit beiden Händen umklammerte er das gebrochene Bein. Unterdessen sank ich erschöpft an der Wand zu Boden, dieses Mal freiwillig, sodass ich in einer ganz ähnlichen Position dahockte wie Black.

"Wirst du mich töten, Harry?", flüsterte er.

Der Schwarzhaarige blieb über ihm stehen, den Zauberstab unverwandt auf Blacks Brust gerichtet. "Sie haben meine Eltern getötet. Und meine Schwester gleich mit." Seine Stimme zitterte leicht, aber seine Hand blieb vollkommen ruhig.

"Ich leugne es nicht. Aber wenn du die ganze Geschichte kennen würdest -"

"Die ganze Geschichte?", wiederholte Harry, mit kaum unterdrücktem Zorn in der Stimme. "Sie haben meine Familie an Voldemort verraten, das ist alles, was ich wissen muss!"

"Du musst mir zuhören", sagte Black schon fast flehend. "Du wirst es bereuen, wenn du nicht ... du verstehst nicht."

Wie bei einem Tennismatch verfolgte ich den Wortwechsel zwischen den Beiden. Ich konnte nur ahnen, dass Ron und Hermine dasselbe taten. "Ich verstehe einiges mehr, als Sie glauben. Sie haben sie ja nie gehört, oder? Meine Mum ... wie sie versucht hat, meine Schwester und mich vor Voldemort zu retten ... und Sie haben es getan ... Sie waren es ..."

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