Inzwischen hatte die Dunkelheit das ganze Land überzogen. Selbst meine Augen
konnten nur schwer etwas erkennen, da Wolkenfetzen aufgezogen waren und
teilweise den Mond und die Sterne verdeckten. Ohne das geringste Geräusch zu
machen, näherte ich mich dem Feuer. Über den tanzenden Flammen hing ein Kessel,
dessen Inhalt von der Gruppe aus kleinen Schalen vertilgt wurde. Der Mensch sass
mit dem Rücken zu mir, aber die Gesichter der vier Hobbits wurden vom
Feuerschein spärlich beleuchtet. Neben den beiden braunhaarigen Hobbits sass ein blonder Halbling und leerte fleissig seine Schüssel. Hinter ihm stand das Pony und suchte zwischen der trockenen Heide nach ein paar Büscheln Gras. Der vierte hatte sich etwas ausserhalb niedergelassen. Er hatte schwarze Locken und sah müde aus; selbst im kargen Schein des Feuers konnte ich dunkle Ringe unter seinen Augen erkennen. Ich stand nun rechts neben dem Menschen, jedoch ausserhalb des Lichtkreises, den das Feuer warf. Ich entschloss mich dazu, einfach ins Licht zu treten, anstatt etwas zu sagen, um sie nicht zu erschrecken. Vollkommen lautlos machte ich einen Schritt vorwärts und wartete. Zuerst schien mich niemand zu bemerken, da sie alle zu sehr mit ihren Schüsseln beschäftigt waren. Der dunkelhaarige Hobbit entdeckte mich zuerst. Seine Augen weiteten sich und er schaute mich leicht verängstigt an, was bei meinem Aussehen und dem plötzlichen Erscheinen auch kein Wunder war. Anscheinend hatte der Mensch das Gesicht des Hobbits gesehen, denn er sprang auf und griff blitzschnell nach seinem Dolch. Aber ich war schneller. Noch bevor er seinen Dolch auf meinen Hals richten konnte, hatte ich seinen Arm gepackt und ihn über meine Schulter unsanft auf den staubigen Boden geworfen. Ich atmete einmal überrascht aus und wandte mich dann meinem Angreifer zu; seinen Arm hielt ich immer noch fest zwischen meinen Händen, der Dolch war ihm aus der Hand gefallen und lag neben meinem Fuss auf dem Boden. Aber als ich sein Gesicht sah, erstarrte ich. Hinter mir hörte ich die Hobbits aufspringen und ihre Waffen ziehen, doch ich hatte nur Augen für den Menschen. Es war Aragorn. Eine gefühlte Ewigkeit blickten wir uns in die Augen. Die Hobbits standen ratlos hinter uns. Aragorn brach das Schweigen, indem er laut loslachte. Ich zog meine Augenbrauen nach oben und half ihm wieder auf seine eigenen zwei Füsse. Immer noch laut lachend umarmte er mich. Ein kurzes Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Aragorn war der einzige, der so etwas schaffte. Als er sich wider einigermassen beruhigt hatte, wandte er sich an die Hobbits und meinte: „Steckt die Waffen weg und setzt euch wieder, meine Freunde. Das hier ist nur eine alte Freundin. Ihr Name ist Lossiel." Lossiel. Diesen Namen hatten mir die Menschen gegeben, weil ich immer so kalt war. Er bedeutete Tochter des Schnees und anscheinend war er so zutreffend, dass auch die meisten Elben mich nur noch so nannten. Nicht dass sie jemals meinen wahren Namen gekannt hätten, aber ich hatte mich ihnen unter einem anderen Namen vorgestellt. Wir setzten uns alle ums Feuer und Aragorn stellte mir der Reihe nach die vier Hobbits vor. Die beiden Braunhaarigen hiessen Merry und Pippin, der Blonde war Sam und der Dunkelhaarige hiess Frodo. Von ihm ging etwas bestimmtes aus, aber ich vermochte noch nicht zu sagen, was es war.
„Wir sind auf dem Weg nach Bruchtal, und du?", fragte Aragorn.
„Was wollt ihr in Bruchtal?", stellte ich die Gegenfrage.
Sofort hörten die Hobbits auf zu essen und blickten Aragorn an. Dieser sah einmal kurz zu Frodo, dann seufzte er und meinte: „Ich kenne dich schon seit einer Ewigkeit. Ich vertraue dir, Gandalf tut es und Elrond und Galadriel auch. Ich denke, ich kann dir den wahren Grund dieser Reise anvertrauen."
Er warf wieder einen kurzen Blick zu Frodo und fuhr dann fort: „Solange Frodo nichts dagegen einzuwenden hat."
Nachdem es eine Weile ruhig geblieben war, begann er von Neuem, nun jedoch etwas leiser: „Der Eine Ring wurde gefunden. Frodo trägt ihn. Bruchtal ist der einzig sichere Ort. Eigentlich sollten wir uns in Bree mit Gandalf treffen, doch er scheint vom Erdboden verschluckt zu sein.", er machte wieder eine Pause.
„Ausserdem wurden allen Anschein nach die Tore von Minas Morgul geöffnet. Die schwarzen Reiter verfolgen uns."
Ich verzog das Gesicht. Was Aragorn mir gerade erzählt hatte, war alles andere als erfreulich. Nicht dass es mich überrascht hätte, ich wusste, dass es früher oder später passiert wäre, aber es war bedauerlich, dass das Schicksal schon so weit fortgeschritten war. Ich seufzte erschöpft auf. Die Hobbits hatten sich inzwischen wieder ihrem Essen zugewandt. Der würzige Geruch der Suppe wehte über die Heide.
„Um nochmals auf meine Frage zurück zu kommen", sagte Aragorn mit gedämpfter Stimme, „Was suchst du in dieser Gegend. Das Letzte, was man von dir gehört hat, ist, dass du den Grenzwachen im Düsterwald bei der Abwehr der Spinnen geholfen hast."
„Wohl war, das ist das Letzte, was ich gemacht habe. Aber das Gefühl, dass etwas nicht stimme, wurde immer stärker und ich wollte mit Gandalf über meine Vermutung bezüglich der Nazgul reden. Weil er aber nirgends auffindbar war, habe ich mich auf die Suche nach dir gemacht, in der Hoffnung, du wüsstest um seinen Aufenthaltsort. Kurz vor Bree haben mich aber zwei der schwarzen Reiter angegriffen. Wie du siehst, konnte ich entkommen. Ich wollte danach sofort nach Bruchtal, um Elrond das Auftauchen der schwarzen Reiter mitzuteilen. Und glücklicherweise", sagte ich und warf einen Blick zu den Hobbits, „ habe ich euch gefunden. Du scheinst einen Kämpfer mehr an deiner Seite bitter nötig zu haben."
Wir schwiegen. Die Hobbits hatten inzwischen ihre Mahlzeit beendet und richteten ihr Nachtlager ein. Sie wälzten sich in ihren Decken herum, bis sie in einer angenehmen Stellung lagen und wünschten sich dann gähnend eine gute Nacht. Aragorn und ich sassen immer noch schweigend nebeneinander. Der kühle Wind fuhr durch meine Haare und die verbliebene Glut des Feuers wärmte mein Gesicht. Schliesslich war nur noch das Schnarchen zweier Hobbits zu hören. Ein tiefer Seufzer entglitt meinen Lippen und ich schloss die Augen.
„Dann begleitest du uns bis Bruchtal.", es war eine Feststellung, keine Frage.
Ich schlug die Augen wieder auf und antwortete mit rauer Stimme: „Natürlich, seit hunderten von Jahren warte ich auf diesen Moment. Warum sollte ich verschwinden, wenn ich endlich beenden kann, was ich begonnen habe?"
„Was hast du denn begonnen?", fragte Aragorn verwundert.
„Nichts, was jetzt wichtig wäre. Vielleicht erzähle ich es dir einmal.Wenn alles vorbei ist."
Ich spürte, wie Aragorn mich von der Seite ansah. Normalerweise erzählte ich ihm Alles. Aber er fragte nicht nach, da er inzwischen wohl gemerkt hatte, dass ich mit niemandem über meine Vergangenheit sprach. Wieder sassen wir schweigend nebeneinander und meine Augen wanderten zu den Sternen hinauf. Der Wind fuhr raschelnd über die trockene Heide und kündete den nahenden Winter an. Schliesslich räusperte er sich und brach das Schweigen: „Deine Augen glitzern nicht mehr so wie früher, wenn du zu den Sternen siehst. Hat es etwas mit dem Ring zu tun?"
Ich zuckte leicht zusammen. Also hatte ich mich gestern Abend nicht geirrt.
„Ich weiss es nicht. In Bruchtal werde ich Elrond um Rat fragen." Ich wollte nicht weiter bei diesem Thema verweilen. Auch Aragorn merkte es. Als er gerade von Neuem zum Sprechen ansetzten wollte, bot ich an: „Ich übernehme die erste Wache. Geh schlafen, du wirst es brauchen."
Nach kurzem zögern erhob er sich schliesslich, holte seine Decke und machte es sich auf dem Boden gemütlich, solange dies bei den trockenen Heidepflanzen möglich war. Kurz bevor der Schlaf ganz Besitz von ihm ergriffen hatte, drehte er sich nochmals zu mir um und sagte schlaftrunken: „Lossi, wir müssen an meinen Reflexen arbeiten." Mit diesen Worten wandte er sich wieder von mir ab. Während seine Atmung sich immer mehr verlangsamte, gab ich mit leiser Stimme zu: „Für einen Menschen waren sie gar nicht so schlecht."
DU LIEST GERADE
Die letzte Reise
FanfictionSchon seit Beginn der Zeitrechnung in Mittelerde bestimmt Lossiel das Schicksal Mittelerdes mit. Verbissen will sie Sauron, ihren letzten verbliebenen Feind, besiegen. Wenn es sein muss, bis in den Tod. So schliesst sich die Elbin der Gemeinschaft d...