Kirrender Wind strich über meine bleiche Haut, liebkostete die Narben längst vergangener Schlachten und küsste meine schweren Augenlider. Scheu streckte ich die kühlen Finger aus und strich über das weiche Moos, auf dem ich lag.
„Ist es nicht lustig, wie verzweifelt man sich an sein Leben klammert, obgleich es so viel Leid und Schmerz mit sich bringt?"
Ich kannte die Stimme. Wie Silber plätscherte sie durch die wabernden Nebelschwaden, die meinen nackten Körper umtanzten. Ich hätte mich ausgeliefert fühlen sollen. Unbedeckt. Eine unartige Tochter.
Aber so war es nicht.
Ich fühlte mich befreit. Ein innerer Konflikt, der endlich von mir abgefallen war.
„Wo bin ich?", wollte ich wissen.
„Nirgendwo und überall."
Nebelschwaden. Moos. Narben.
„Bin ich tot?"
Langsam breitete ich die Arme aus. Das Moos kitzelte. Ein ewiges Versinken.
„Noch nicht."
Überrascht setzte ich mich auf. Die Göttin vor mir hatte sich in den letzten drei Zeitaltern nicht verändert. Weiß schimmernde Haut, Augen heller als die Sterne und mehr Anmut als die schönste Mondsichel. Lautlos schwebte sie auf mich zu. Die Nebelschwaden teilten sich ehrfürchtig vor ihr.
„Warum bist du dann hier?"
Meine Frage zauberte ein mattes Lächeln auf ihre Lippen. Langsam stand ich auf. Keine Scham. Nicht einmal für die Narben. Ich trug sie mit Stolz.
„Du hast eine Entscheidung getroffen. Und ich bin hier, um dir zu sagen, dass ich sie akzeptiere."
Sie streckte ihre Hand aus, ein filigranes Diadem in den schlanken Fingern. Unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück. Die Nebelschwaden begrüßten mich.
„Nimm es ruhig. Es ist dein Geburtsrecht."
Ich schüttelte den Kopf, die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst.
„Ich will es nicht. Wollte es nie. Konnte es nie."
Ein geheimnisvolles Lächeln als Antwort. Mit einem Schritt überwand sie die Distanz zwischen uns und setzte mir das königliche Zeichen auf die wirren Haare. Ihre kühlen Finger umschlossen meine Wangen.
„Der Akkord, den ich sang, war dazu ausersehen, andere anzuführen. Ihnen Hoffnung zu schenken. Und das hast du getan. Ob du deine Krone nun trugst oder nicht. Heute bin ich stolz auf das, was du getan hast. Auch wenn es nicht immer das Richtige war."
Sie hauchte mir einen Kuss auf die Stirn. Ihre Finger ließen von mir ab.
„Mutter?", das Wort klang schwer auf meiner Zunge, „Ist das das Ende?"
„Nein." Ein Lächeln. „Nur ein letzter Abschied, bevor du deine letzte Reise antrittst."
Ich schluckte schwer.
„Wie lange noch?"
Meine Frage verlor sich zwischen den Schwaden, so zaghaft und unsicher war sie.
„Nicht mehr lange."
Es klang wie ein Versprechen.
„Warum nicht jetzt?" Verzweiflung suhlte sich in meiner Stimme, „Ich bin eine Waffe. Eine unachtsame Sekunde und mein Dolch liegt an der falschen Kehle!"
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Die letzte Reise
FanfictionSchon seit Beginn der Zeitrechnung in Mittelerde bestimmt Lossiel das Schicksal Mittelerdes mit. Verbissen will sie Sauron, ihren letzten verbliebenen Feind, besiegen. Wenn es sein muss, bis in den Tod. So schliesst sich die Elbin der Gemeinschaft d...