Geschichten

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Die Sonne schob sich langsam über den Horizont und vertrieb die Nebelfetzen. Eine Stunde vor Sonnenaufgang hatte ich Aragorn und die Hobbits geweckt, die sich auch sogleich eifrig an die Zubereitung des Frühstücks gemacht hatten. Nach dem Verzehr des Haferbreis hatten wir uns, immer noch im Zwielicht vor dem Aufgang der Sonne, auf den Weg gemacht. Nun lief ich neben Sam und Frodo durch die Heide. Seit wir losgegangen waren, blickte ich mich immer wieder nach allen Seiten um. Dass wir abseits der grossen Strasse liefen, hiess nicht, dass wir in diesem offenen Gelände vor den Schwertern der schwarzen Reiter in Sicherheit waren. Ich schloss die Augen und zwang mich, ruhiger zu atmen und mich nur noch auf das um mich herum zu konzentrieren, damit ich mich beruhigte. Vor mir hörte ich Merry und Pippin lachen, während Aragorn etwas zu ihnen sagte. Aber sie waren zu weit weg, als dass ich durch das Rauschen des Windes den Sinn der Worte verstanden hätte. Ich nahm das Rascheln, das unsere Schritte verursachten wahr und registrierte das Schnauben des Ponys, das neben Sam dahintrottete.

„Was ist das erste Wort, dass Euch in den Sinn kommt, wenn Ihr „Stern" hört?"

Verwundert schlug ich die Augen auf und blickte hinab auf einen verlegen guckenden Sam.

„Wieso fragst du mich das?", erwiderte ich.

„Nun...", begann Sam zögernd und schaute unbehaglich auf seine Hände, „Ihr seid eine Elbe und Euer Haar und Eure Augen haben ihre Farbe. Es interessierte mich, an was Ihr zuerst denkt, wenn...", erbrach ab, als ich ihn immer noch irritiert anschaute. Gerade wollte er nochmals zum Sprechen ansetzen, als ich ihm zuvorkam.

„Nenne mich doch bitte Lossiel. Und du auch Frodo, hörst du?", Ich richtete meine Augen auf den zweiten Hobbit, der zustimmend nickte. Ich überlegte kurz, um Sams Frage beantworten zu können. Natürlich fiel mir sofort ein Wort ein, aber das wollte ich ihm nicht verraten.

„Die Silmaril, Sam", antwortete ich schliesslich und entschied mich so für meine zweite Wahl.

„Was sind die Silmaril?", fragte Sam verwundert. Zum zweiten Mal sah ich ihn mit grossen Augen an. Doch auch Frodo schien sie nicht zu kennen, also beschloss ich, ihnen die Geschichte der Silmaril zu erzählen und gleichzeitig unsere Reise spannender zu machen.

„Ich werde euch erklären, was die Silmaril sind. Aber es eine sehr lange Geschichte und unsere Reise müsste schon bis hinter die Tore Mordors und wieder zurück gehen, wollte ich euch alles erzählen. Ich werde versuchen, nur das Wichtigste wiederzugeben."

Die Hobbits blickten mich erwartungsvoll an und ich legte mir zurecht, was ich ihnen erzählen konnte, ohne selbst in düsteren Erinnerungen zu versinken.

„Als die Valar, die Götter, die in einem Land weit im Westen, jenseits des Meers, leben, vom Erwachen der Elben in Mittelerde hörten, luden sie sie zu sich in die unsterblichen lande ein, um bei ihnen zu leben. Wir Elben nennen diese Lande Valinor. Viele folgten ihrem Ruf und lebten fortan im Lande der Valar. Vierzehn gibt es. Sieben Männer und sieben Frauen. Manwe ist ihr König und seine Frau ist ihre Königin."

„Wie heisst sie", unterbrach mich Sam. Ich warf ihm einen kurzen Blick zu und erwiderte dann: „Die Elben nennen sie Elbereth. Für uns ist sie die höchste der Valar, denn sie erschuf die Sterne, welche wir so verehren. Doch mehr ist für diese Geschichte nicht wichtig. Die Elben lebten lange, lange Jahre friedlich in Valinor. Während dieser Zeit wurde Feanor geboren. Er war der Sohn eines hohen Elbenfürstes und es wir erzählt, nie wieder habe das Feuer des Ergeizes höher in einem anderen Elben gelodert, als in seinem Herzen. Er wuchs heran und übte sich in der Schmiedekunst. Eines Tages fragte er sich, wie er das Licht der unsterblichen Lande einfangen könne, um für immer zu erhalten. Ich müsst wissen, das die Sonne noch nicht ihre Bahnen über das Himmelszelt zog und die Sterne die Welt nur in schummrige Düsternis zu hüllen vermochten. Also hatte eine der Valar zwei Bäume erschaffen, die Valinor mit ihrem Licht erfüllten. Der erste, Laurelin, strahlte golden wie die Sonne und sein Zwilling Telperion verströmte das silberne Licht der Sterne. Schliesslich gelang es ihm, ihr Licht in drei Steinen einzufangen. Sie wurden die Silmaril genannt und leuchteten so hell, wie die Sterne."

Ich endete und blickte gedankenverloren in die Ferne. Vor meinem inneren Auge sah ich das Leuchten der drei Edelsteine.

„Was ist mit ihnen geschehen?", fragte Frodo plötzlich. Es brauchte einen kurzen Augenblick, bevor mein Geist wieder in Mittelerde angekommen war. Ich seufzte einmal tief und versuchte auf die Frage so detailliert wie nur möglich zu antworten: „Sie sind für immer verloren. Einer im Meer, einer in den Tiefen der Erde und der letzte wird als der euch bekannte Stern Gil-estel, der Stern der Hoffnung, über den Himmel gefahren."

„Aber wie gingen sie verloren?", wollte nun Sam wissen. Wieder entglitt meinen Lippen ein tiefer Seufzer. Warum mussten Hobbits nur so neugierig sein? Doch schliesslich machte ich mich daran, den für mich unangenehmsten Teil der Geschichte zu erzählen: „Einer der Valar verzehrte sich nach den Silmaril und verriet sowohl die Elben als auch die Valar, um sie in seinen Besitz zubringen. Zusammen mit Ungoliant, der Schattenspinnerin, stahl er das Licht Valinors. Er entriss Feanor die Silmaril und die Spinne vernichtete die Bäume und saugte alles Licht aus ihnen heraus. Nach diesem Werk flohen sie über das Meer nach Mittelerde und Feanor und seine Sippe folgten ihnen, um die Edelsteine zurückzuholen. Denn Feanor hatte sein Herz an sie gebunden. Doch in Valinor herrschte nach der Vernichtung der Bäume Finsternis. Nur eine Blüte Telperions und eine kleine Pfütze des Lichts beider Bäume war von der einstigen Pracht noch übrig geblieben. Und Elbereth nahm es und erschuf aus der Blüte den Mond, aus dem Licht Telperions die neuen Sterne und aus den Überresten Laurelins wurde durch ihre Hände die Sonne."

Ich hatte geendet und zwischen uns herrschte einige Zeit Schweigen. Zögernd und mit leiser Stimme fragte Sam schliesslich: „Wie hiess der Valar, der die Silmaril gestohlen hat?"

Scharf zog ich die Luft durch meine Zähne ein. Das war die Frage, von der ich am meisten gehofft hatte, keiner der beiden Hobbits würde sie stellen.

„Die Elben und Menschen nannten ihn Morgoth. Wie er unter den Valar hiess ist nicht wichtig", sagte ich schnell und fügte dann etwas entspannter hinzu: „Ausserdem verweilt er nicht mehr in Arda, denn er wurde aus den Toren der Nacht gestossen und wird niemals wieder zurückkehren."

Sanft legte sich die Stille über uns. Aus weiter Ferne trug der Wind Merry und Pippins Lachen zu uns. Ich richtete meinen Blick nach vorne. Erst jetzt viel mir auf, wie weit wir hinter die anderen zurückgefallen waren. Ich beschleunigte meine Schritte und die Hobbits taten mir es gleich. Hinter mir fragte Sams schüchterne Stimme nach einer weiteren Geschichte.

„Für den Moment muss diese eine Geschichte reichen. Vielleicht finde ich heute Abend am Feuer noch eine passende Legende. Wich wäre es stattdessen, wenn du mir etwas vom Auenland erzählst, Sam?"

Freudig begann der blonde Hobbit, von seiner Heimat zu erzählen. Frodo ergänzte hie und da noch einige Details. Je länger ich den beiden zuhörte, umso trauriger wurde ich. Wegen des aufziehenden Krieges war ich seit langer Zeit nicht mehr im Auenland gewesen, doch seine Bewohner schienen abgeschieden von jeglichen äusseren Einflüssen zu leben; gleichsam einer Blase. Doch ich wollte mir nicht vorstellen, was geschehen würde, sollte diese Blase eines Tages platzen. Und während Sam mir von seinem alten Ohm erzählte, das Pony schnaubte und Frodo mir in allen Details einen seiner Spaziergänge nach Hobbingen schilderte, zog Stunde um Stunde an uns vorbei.



Die letzte ReiseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt