Caras Galadhon

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Die tiefstehende Nachmittagssonne schien sanft durch die goldenen Blätter Loriens, als der Wald sich lichtete und den Blick auf Cerin Amroth freigab. Hinter mir hörte ich, wie den Hobbits der Atem stockte. Ehrfürchtig blieb unsere Gemeinschaft stehen: Vor uns lag eine weite Lichtung; in deren Mitte sich ein grosser Hügel erhob. Der Boden war mit einer saftig grünen Wiese bewachsen, die man nicht einmal im Auenland wiedergefunden hätte. Sie war überwuchert von kleinen sternenförmigen Blumen, die golden zwischen dem Gras leuchteten. Sie wurden überragt von weissen Blüten, die an schlanken Stängeln im Wind baumelten und wie Nebelfetzen geheimnisvoll zwischen der satten Farbe des Grases strahlen.

Auf der Spitze des Hügels stand ein riesiger Mallornbaum. Stolz reckte er seine goldene Krone in den azurblauen Himmel. Zwischen seinen gigantischen Ästen war ein gewaltiges weisses Flett errichtet worden.In einem grossen Kreis wuchsen kleinere Mallornbäume um den uralten Riesen und wurden ihrerseits von einem Ring aus weissen unbelaubten Bäumen umrundet, welche aber wunderschön anzusehen waren in ihrer Kahlheit; ihre glatte Rinde leuchtete blass.

„Schaut!", sprach Haldir, „Ihr seid nach Cerin Amroth gekommen. Hier blühen immerdar die goldene Elanor und die blasse Nimphredil im dem nicht welkenden Gras. Wir werden hier eine Weile bleiben und in der Abenddämmerung nach Caras Galadhron kommen."

Vorsichtig lief ich zwischen den Blumen hindurch auf eine etwas abgelegene Stelle am Fusse des Berges zu. Jedes Mal, wenn ich diesen wunderschönen Ort betrat, wanderte ich in Gedanken wieder in den Gärten Yavannas und vergass für einen Augenblick die Last der letzten drei Zeitalter.

Vorsichtig liess ich mich in dem weichen Gras nieder und fuhr sanft mit meinen Fingerspitzen über die zarten Blütenblätter einer Nimphredil. Warm schien die Sonne auf die Lichtung hinab. Entspannt schloss ich die Augen und hielt mein Gesicht ihren wärmenden Strahlen entgegen. Gelassen sog ich den Duft der Blumen in mir auf und hörte dem Rauschen des Windes in den Blättern zu.

Freudiges Gelächter ertönte und ich öffnete die Augen. In einiger Entfernung zu mir hatten sich Merry, Pippin und Boromir niedergelassen. Ein wehmütiges Lächeln schlich sich auf meine Lippen, als sah, wie die beiden Hobbits unbeschwert mit dem rothaarigen Menschen scherzten. Sie waren noch so jung und hatten erst einen kleinen Teil des Übels gesehen, das diese Welt zu bieten hatte. Ich fragte mich, wie dieses Lachen sich verändern würde, sollten sie erst einmal mit all den Schrecken der Welt belastet werden: Krieg, Schmerzen, Verlust, Verrat...

„Verrat ist wie ein Gift, das langsam durch deine Adern fliesst und dich zerfrisst, bis du niemandem mehr trauen kannst."

Traurig lächelte ich über die weisen Wort Galadriels. Worte, die sie vor langer Zeit in einem anderen Land zu mir gesprochen hatte, als die Bäume Valinors noch blühten und Morgoth noch Melkor hiess.

Betrübt dachte ich an Elronds Aufforderung, mich zu offenbaren, um ein vereintes Elbenheer gegen Mordor zu führen. Ich konnte das einfach nicht. Ich war eine exzellente Anführerin, wenn ich wusste, wohin das Vorhaben uns bringen sollte, wenn ich ein Ziel vor Augen hatte.

Mein eigenes Ziel war mir mehr als klar bewusst – es war in meine Netzhaut eingebrannt. Doch konnte ich nicht einfach andere dafür in die Schlacht führen. Sie mussten selbst entscheiden, wofür sie bereit waren zu sterben und nicht, weil ich ihre Prinzessin war. Hätte Mutter mir aufgetragen, ein Heer zu formieren; innerhalb von einer Woche hätte ich alle Elben gen Mordor geführt. Aber nur, weil ich wusste, dass dies der Wille der Götter war. Doch die Ansichten der Valar blieben mir verborgen und so kämpfte ich alleine mit denen, die meine Ziele ebenfalls verfolgten und war froh, den Titel des Anführers für einige Zeit los zu sein. Es war erleichternd, nur noch für sich selbst verantwortlich zu sein.

Die letzte ReiseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt