Die Jagd und der Fluch

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In den letzten Stunden vor Tagesanbruch erlaubten wir uns, eine kurze Rast in den äußersten Ausläufern der Emyn Muil einzulegen. Wir setzten uns in einem schmalen Tal auf die spitzen Felsen und blickten nach Westen, wo die weiten Grasebenen Rohans zu sehen waren. Die Mondsichel war bereits vom Horizont verschluckt worden, aber die Sterne glitzerten immer noch matt über uns.

"Was glaubt ihr?'', fragte Gimli, nachdem wir eine Weile still nebeneinander gesessen hatten, "Was waren das für Orks?"

"Sie waren aus Isengard. Das Zeichen der Weißen Hand zierte ihre Gesichter und Schwerter.", antwortete Aragorn erschöpft und fuhr sich mit der Hand über die müden Augen.

"Das habe ich auch gesehen.", stellte Gimli etwas gekränkt fest, "Aber solche Orks habe ich noch nie erblickt. Alleine die Tatsache, dass wir bei Tageslicht angegriffen wurden, sollte uns stutzig werden lassen. Doch habt ihr gesehen, wie groß diese Orks waren? Riesig! Hat jemand von euch schon einmal einen solchen Koloss gesehen?"

Fragend sah der Zwerg uns an. Aragorn schüttelte schwach den Kopf.

"Auch mir kam noch nie solch ein Ork vor meine Pfeilspitze oder meine Klingen.", sagte Legolas.

"Aber deiner schlanken Klinge fiel bestimmt schon einer der riesigen Orks zum Opfer. Nicht?"

Gimli lugte auffordernd zu mir herüber. Ich strich eine verirrte Haarsträhne aus meinem Gesicht.

"Ich dachte, ich hätte bereits alle Kreuzungen, Missgeburten und Krüppel gesehen, die das Böse hervorbringen kann, doch anscheinend habe ich mich geirrt.", enttäuschte ich den Zwerg.

"Und wenn es eine neue Schöpfung aus den Kerkern des Barad-dûrs ist?", überlegte Legolas und strich gedankenverloren über die Sehne seines Bogens.

"Ich glaube nicht, dass sie dem Dunklen Herrscher dienen.", sagte Aragon und schüttelte den Kopf, "Warum trugen sie sonst das Zeichen der Weißen Hand?"

Gimli runzelte zweifelnd die Stirn: "Aber ist Saruman mächtig genug, eine neue Orkrasse zu erschaffen?"

"Das ist nicht so schwierig.", erklärte ich dem Zwerg, "Bei den ersten Orks hat es bereits gereicht, ein paar Elben bis kurz vor ihren Tod zu foltern."

Ich lachte einmal trocken. Ihren Anblick würde ich nie vergessen. Von weitem hatten sie zuerst ausgesehen wie verwahrloste Waldelben, doch aus der Nähe hatte man all ihre Missbildungen gesehen. Ihre entstellten Gesichter, die graue Haut, die sich über verkrüppelte Glieder spannte, ihre gelben hasserfüllten Augen.

Ich schüttelte den Kopf und sagte leise: " Man denkt, man stehe ein paar verwahrlosten Elben gegenüber und will ihnen helfen. Aber plötzlich greifen sie an."

"Du sagst das, als wärst du dabei gewesen. Aber diese Begegnung ist bestimmt schon drei Zeitalter her.", sagte Aragorn verwundert und warf mir einen argwöhnischen Blick zu.

Wirklich gut gemacht, Prinzessin!, tadelte mich die Stimme in meinem Kopf, Wieder konntest du deinen Mund nicht halten. Wie viele deiner Gefährten sollen noch wissen, wer du wirklich bist?

"Ich dachte", begann ich langsam, "Du würdest uns Elben inzwischen kennen. Wir leben gerne in der Vergangenheit; auch wenn diese Vergangenheit nicht uns gehört. Denke nur an Galadriels Spiegel."

Aragorn sah mich immer noch etwas zweifelnd an, aber das Misstrauen in seinen Augen war beinahe gänzlich verschwunden, denn was ich ihm erzählte, war die Wahrheit. Zwar nicht speziell auf diese Erinnerung bezogen, doch für den Großteil des Elbenvolkes traf es zu.

"Wie dem auch sei.", sagte ich hastig, um vom Thema abzulenken, "Wir sollten unsere wertvolle Rast nicht mit Reden vergeuden. Versucht lieber zu schlafen. Ich wecke euch bei Sonnenaufgang."

Die letzte ReiseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt