Endlich alle beisammen

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Das kalte Wasser kribbelte angenehm auf meiner Haut, als ich meinen Kopf tief in die Wasserschüssel vor mir tauchte, um meine Haare zu waschen. Es war kurz nach Sonnenaufgang und das Licht des anbrechenden Tages kroch langsam durch das Fenster hinter mir in mein neues Zimmer. Während ich den Schmutz aus meinen Haaren schrubbte, dachte ich an die letzten Tage. Ich hatte mich grösstenteils auf meine Lichtung verzogen und mich ausgeruht. Ab und zu hatten die Hobbits mich zu einer kurzen Geschichte in Elronds Garten überreden können, doch die meiste Zeit hatten auch sie sich von der Aussenwelt abgeschottet, stumm Wache haltend an Frodos Bett.

Der kleine Halbling war immer noch nicht aufgewacht und der Rat sollte bereits übermorgen stattfinden.Auch die Gesandten aus dem Düsterwald waren noch nicht eingetroffen, obwohl ihre Wegstrecke kürzer war als die der Zwerge vom Erebor, die gestern in der Abenddämmerung angekommen waren.

Ich wrang meine nun sauberen Haare über der Schüssel aus und rubbelte sie mit einem Leinentuch einigermassen trocken. Nachdem ich mir meine grüne Bluse übergestreift und sie locker in den Bund meiner schwarzen Hose gesteckt hatte, stellte ich mich vor das kleine Fenster und flocht die feuchten Haare zu einem Zopf.

Vor mir lag im Licht der aufgehenden Sonne Bruchtals Innenhof und dahinter die geschwungene Brücke, von der aus sich der Pfad im Wald verlor.

Als ich gerade ein dünnes Lederband um das Ende meines Zopfes knotete, tauchte aus dem Wald eine kleine berittenen Gruppe auf.

Die Vertreter aus dem Düsterwald, endlich!, fuhr es mir durch den Kopf und eilig verliess ich das Zimmer.

Während ich durch die Gänge hastete, begierig auf Nachrichten von der Front, dachte ich an meine gestrige Begegnung mit dem Sohn des Truchsess' von Gondor: Ich war gerade in einen Nebengang eingebogen, als wir beinahe zusammengestossen wären. Ein ungläubiges Keuchen war dem Mann entfahren, den ich sofort an seiner Kleidung erkannt hatte.

„Ich...kenne Euch. Ich sah Euch einst mit meinem Vater reden."

Ja, hatte ich gedacht, Eine Frau mit spitzen Ohren, silbernen Haaren und Augen, in Hosen gekleidet und einem Schwert an der Seite dürfte selbst ein kleines Kind nicht allzu schnell vergessen.

„Das stimmt. Vor einigen Jahren bot ich Gondor meine Hilfe im Kampf gegen den Osten an.", hatte ich kalt geantwortet und eine alte Wut war in mir emporgestiegen, „Aber ich war Eurem Volk zu unheimlich. Euer Vater sagte, er benötige meine Hilfe nicht, sein Heer brauche weder Elben noch Frauen. Und beides zusammen schon gar nicht."

Die Verachtung in meiner Stimme war nicht zu überhören gewesen und der Gondorianer vor mir hatte überrascht die Augen geweitet.

„Aber wie ich sehe, ist Denetor nun schon gezwungen, Halbelben", dieses Wort hatte ich wie eine Beleidigung klingen lassen, „um Rat zu bitten."

Und ohne auf den verletzten Blick zu achten, den er mir zugeworfen hatte, war ich hocherhobenen Hauptes an ihm vorbei stolziert, den alten Hass immer noch in meinen Adern pulsierend.

Nun fragte ich mich, was ich mir von meiner herablassenden Haltung erhofft hatte. Genugtuung?

Normalerweise trat ich sterblichen Wesen nie als offenste und freundlichste Person gegenüber. Sie huschten nur an mir vorbei; erschienen und verschwanden nach kurzer Zeit wieder. In meinem Verständnis von Zeit nahmen sie so einen kleinen Platz ein, dass ich mir nicht einmal die Mühe machte, einen von ihnen näher kennenzulernen, da er eh bald nicht mehr auf Arda wandern würde. Einige wenige Dunedain ausgenommen.

Doch Denetors Abfuhr hatte mich so wütend gemacht, dass sogar sein Sohn nach all den Jahren dafür büssen musste. Wieso?

„Seine Entscheidung hat den Krieg gegen Sauron in die Länge gezogen. Du wolltest helfen, um endlich zu beenden, was du vor so langer Zeit begonnen hast. Je näher du deinem Ziel kommst, desto nervöser und egoistischer wirst du.", flüsterte eine Stimme in meinem Kopf.

Die letzte ReiseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt