Die Insel

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Ein Hahnenschrei.

Ein zweiter. Dieses Mal einige Straßen weiter weg.

Diffuses Sonnenlicht auf den raschelnden Laken.

«Wo gehst du hin?»

Die ersten Worte seit Stunden. Man merkte es. Seine Stimme war rauer als sonst.

«Weg aus dieser Stadt.», verkündete ich, den restlichen Alkohol in meinem Blut mit einem Kelch Wasser verdünnend, «Egal wohin. Einfach weit weg.»

Mühsam stand ich auf, meine Blöße von ihm abgewandt. Ich schämte mich.

«Und dann?», der blonde Elb setzte sich auf und fuhr mit der Hand durch das wirre Haar, «Was werden die anderen denken?»

Ich rümpfte verächtlich die Nase, während ich meine Kleiderstücke aus den einzelnen Ecken des Zimmers zusammensuchte.

«Als ob es mich jemals interessiert hätte, was andere von mir denken.»

«Aragorn? Gimli?»

Ich schüttelte den Kopf und stülpte geschäftig meine Bluse über.

«Wirklich, Lossiel?»

Auf einem Bein hüpfend zog ich meine schwarze Hose an. Ich wollte so schnell wie möglich weg. Er machte mich wütend. Seine Stimme hörte sich wie einer von Gandalfs Vorschlägen vor. Hatte er das Gefühl, nur weil ich ihn hatte mit mir schlafen lassen, kenne er mich jetzt besser?

«Lossiel? Und was ist mit der Moral der Soldaten? Wenn eine der besten Kriegerinnen kurz vor der entscheidenden Schlacht verschwindet? Hörst du mich eigentlich? Lossiel? Schau mich an! Was ist mit mir? Interessierst du dich wenigstens ein klein wenig für mich? Oder machst du das immer so, wenn du-»

«Lass es!»

Wütend fuhr ich herum, den Dolch, den ich gerade hatte an meinen Gürtel stecken wollen, auf seine Brust gerichtet. Ich wusste, worauf er hinauswollte. Ich wollte es nicht hören. Ich war zu alt, zu müde, um noch an irgendwelche Illusionen zu glauben. Tapferkeit. Loyalität. Liebe...

Schlagartig verstummte er. Meine Augen rasten fahrig über die ganze Szene.

Er war so schön.

So schön, dass es mich wütend machte.

«Ihr alle seid der Meinung, ihr wüsstet, was das Beste für mich ist.», begann ich noch leise, «Gandalf. Meine Mutter. Du. 'Geh' nach Hause!' ,Komm nach Hause Lossiel, ich brauche dich wieder.' 'Lass uns zusammen eine Lösung finden, es wird alles gut.' Aber manchmal GIBT ES EBEN KEINE LÖSUNG!»

Drohend trat ich einen Schritt auf das große Bett zu, den Dolch immer noch erhoben. Legolas saß inzwischen hellwach zwischen den Kissen, jeden Muskel in seinem Körper angespannt, als wäre er auf alles gefasst. Doch in seinen Augen sah ich andere Dinge.

Ich legte meinen Kopf leicht schräg. Genoss den Augenblick kurz. Dieses Gefühl in seinen Augen.

«Glaubst du, ich wäre naiv genug, eure Angst nicht zu sehen? Diese Angst, dass ich alles verderbe? Euch ins Unheil stürze. Ihr wisst doch genau, was Sauron mir Nacht für Nacht in seinen Träumen verspricht.»

Der blonde Elb schluckte trocken. Ich tat einen zweiten, zitternden Schritt.

«Du brauchst keine Angst zu haben. Ich kann dich beruhigen...»

Es bin immer noch ich, die...

Er war so schön. In seiner Angst. Seiner Hilflosigkeit.

...vor dir...

Die letzte ReiseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt