Die Wetterspitze

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Die Sonne schob sich langsam über den Horizont und versucht, gegen den tiefhängenden Nebel anzukommen. Schon seit Stunden stiegen wir aus der Hochebene hinab in die Sumpfgebiete, die zu Füssen der Wetterspitze lag. Je tiefer wir kamen, desto dichter wurde der Nebel. Luft und Erde wurden immer feuchter und die trockenen Heidepflanzen wichen mehr und mehr kleinen Sträuchern und Binsegräsern. Aufmerksam lief ich hinter den Hobbits her. Je kleiner die Distanz zwischen uns und der Wetterspitze wurde, desto nervöser wurde ich. Es war ein dunkler Ort und bestünde nicht die Hoffnung, dort auf Gandalf zu treffen, hätten ich Aragorn einen grossen Bogen um diesen Berg gemacht. Müde stolperten die Hobbits den schmalen Weg hinab.

„Warum mussten wir noch vor Sonnenaufgang aufstehen und dann noch im Gehen essen?", beschwerte sich Merry jammernd vor mir.

„Weil, mein lieber Herr Brandybock, Aragorn und ich es für nötig halten, schneller voranzukommen als wir es bisher sind.", sagte ich mit erhobener Stimme zu den beiden Hobbits, die in einigem Abstand vor mir liefen, und Merrys Kopf schnellte herum, da er wie immer die Fähigkeiten meiner Elbenohren unterschätzt hatte.

„Ausserdem", fügte ich mit erhobenen Augenbrauen, aber immer noch todernst hinzu, „hegt, soweit ich weiss, keiner von euch den Wunsch, Bekanntschaft mit den Nazgul zu machen."

„Aber könntest du sie nicht abwehren?", fragte Pippin kleinlaut und die beiden Hobbits liessen sich zurückfallen, sodass sie nun neben mir dahintrotteten.

„Soviel kann ich dir sagen: Ich bin eine alte Elbe und habe schon in vielen Schlachten gekämpft. Einige sogar grösser als die Schlacht zu Füssen des Schicksalsberges vor dreitausend Jahren, das letzte Bündnis. Beinahe keiner aus meinem Volk beherrscht die Kampfkunst so, wie ich es tue.", sprach ich den Hobbit an und sah die Hoffnung, die mit meinen Worten in seinen Augen aufkeimte. Ich seufzte tief und sagte dann leise: „Aber abwehren könnten nicht einmal Aragorn und ich sie. Schon den Überraschungsangriff zweier Nazgul im Wald hätte ich kaum überlebt und nun stelle dir neun schwarze Reiter vor. Nein Pippin, ich kann euch nur zeit zum Rennen geben; selbst wenn ich auf ihren Angriff vorbereitet wäre."

Pippins Augen weiteten sich ängstlich und Merry blickte verängstigt über seine Schulter zurück.

„Aber wir haben schon einen grossen Teil der Reise hinter uns und ab der Wetterspitze ist Bruchtal nicht mehr allzu fern.", versuchte ich die beiden aufzumuntern und behielt meine Sorgen, dass uns an der Wetterspitze jemand anderes als Gandalf erwarten könnte, für mich.

Nach einigen Stunden hatten wir die Sümpfe erreicht. Anfangs konnte ich noch von Grasbüschel zu Grasbüschel springen, doch irgendwann wurde ihr Abstand so gross, dass ich mich wohl oder übel zu Aragorn und den Hobbits in die braune Brühe der Sümpfe begeben musste. Das trübe Wasser ging mir nur bis zu den Oberschenkeln, doch für die Hobbits musste der watende Marsch durch das stehende Wasser die reinste Qual sein. Die Feuchtigkeit hatte sich bereits ihren Weg in meine hohen Stiefel gesucht und meine enge Hose sog sich langsam mit dem übelriechenden Sumpfwasser voll, sodass die Kälte langsam meine Beine emporkletterte. Damit die Scheide meines Schwertes nicht auch den trüben Wassermassen ausgesetzt war, band ich es mir quer über den Rücken, um im Falle eines Angriffes immer noch blitzschnell meine Klinge ziehen konnte. Ich schob meine silbernen Haare zur Seite, damit sie nicht im Fall aller Fälle im Weg waren. Wütend murmelte ich einige Worte in meiner eigenen Sprache und zog meinen Fuss ruckartig aus einem besonders tiefen Sumpfloch.

„Was hat sie gerade gesagt?", fragte Sam Aragorn, immer darauf begierig, neue Wörter der Elbensprache zu lernen.

„Ich glaube, das übersetzte ich dir lieber nicht.", entgegnete Aragorn schmunzelnd.

„Wieso nicht?"

„Sie flucht gerade so heftig, dass sie selbst die Zwerge übertrifft.", antwortete der Waldläufer und drehte sich amüsiert zu mir um.

Die letzte ReiseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt