Hetztjagt nach Bruchtal

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Das Blut, dass unablässig durch meine Adern gepumpt wurde, erfüllte meine Ohren mit einem lauten rhythmischen Pochen. Es schien keine anderen Geräusche mehr auf der Welt zu geben, ausser dieses Pochens. Den ganzen Tag rannte ich nun schon durch die Wälder und über die Wiesen und Hügel, die mich noch von Bruchtal trennten. Hinter mir ging die Sonne langsam unter und liess das saftige Grün der weiten Graslandschaft vor mir ein letztes mal auf strahlen. Rasselnd holte ich einmal tief Luft und zwang meine tauben Beine, noch schneller zu laufen. Ich war zwar eine der robustesten Elben, doch die Suche nach Aragorn hatte mir schon einiges abverlangt, wovon ich mich auch in den letzten Tagen nicht hatte erholen können. Ich blickte auf meinen langen Schatten vor mir und zwang mich in meinem Kopf zu der Vorstellung, ihn einholen zu können, um noch schneller zu laufen. Jeder Atemzug brannte in meiner Kehle, aber ich dachte an Aragorn und die Hobbits, die sich auf mich verliessen. Du kannst nicht schon wieder versagen!, drohte ich mir, Erst die Sache mit den zwei Reitern, dann warst du nicht da, als die Hobbits dich brauchten. Scheitere wenigstens nicht jetzt!

Ich spürte meine Kräfte immer schneller schwinden, während sich die Dämmerung ausbreitete und die Umgebung um mich herum immer farbloser und schwerer zu erkennen wurde. Wieder waren dicke Wolken am Himmel aufgezogen und ohne meine guten Nachtaugen wäre ich ohne Weiteres in den Baum gelaufen, der plötzlich vor mir aufgetaucht war. Immer mehr Bäume tauchten schemenhaft aus der Dunkelheit auf und Erleichterung machte sich in mir breit. Endlich hatte ich das Wäldchen erreicht, das vor dem Fluss Bruinen seit noch nicht allzu langer Zeit wuchs. Ich brauchte es nur noch zu durchqueren und anschliessend dem Flusslauf zu folgen, um nach Bruchtal zu gelangen. Neue Kraft durchströmte meine müden Beine und ich steigerte das Tempo meiner Schritte nochmals. Das Pochen des Pulses in meinem Kopf schien leiser zu werden und auch das Atmen fiel mir wieder leichter. Ich wusste nicht mehr, wie lange die schwarzen Umrisse der Bäume schon an mir vorbeigezogen waren, denn ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren, doch irgendwann vernahm ich durch meinen rhythmischen Puls hindurch das leise Rauschen des Flusses. Der Wald lichtete sich langsam und ihm fahlen Licht, das der Mond durch die Wolken zu schicken vermochte, glitzerte das breite Flussbett, das sich anmutig seinen Weg durch die Landschaft suchte. Leise plätscherten die seichten Wellen über die Steine, die als Furt dienten. Am liebsten hätte ich mich nun in die Mitte des Flusses gestellt, mir den Schweiss vom Körper gewaschen und soviel von dem kalten Wasser getrunken, bis das Brennen aus meiner Kehle verschwunden wäre. Aber ich durfte nicht anhalten, denn die Kraft, mich wieder aufzuraffen, fehlte mir. Mit einem lauten Platschen landete mein Fuss im Wasser. Ich zügelte mein Tempo ein wenig, um nicht auf den flachen Steinen auszurutschen und spürte, wie kaltes Wasser in meine lädierten Stiefel eindrang.

Am linken Ufer angekommen folgte folgte ich dem Flusslauf. Zwischen dem Ufer und den ersten Bäumen lag ein breiter Steifen Kies, auf dem ich mir knirschend meinen Weg nach Osten suchte. Es dauerte nicht lange, bis die Gegend immer hügeliger wurde und zu beiden Seiten des Flusses rückten die immer höher werdenden Hänge näher zusammen und schlossen ihn in ein tiefes Tal ein. Der Weg auf den Kieselsteinen war sehr viel anstrengender, als ich ihn in Erinnerung hatte und das Brennen und Ziehen in meinen Unterschenkeln drohte untragbar zu werden. Ich zwang meinen Blick zu Boden und konzentrierte mich nur noch auf die gleichmässigen Schritte meiner Füsse. So rannte ich weiter, alles andere ausblendend, und dachte immer nur an den nächsten Schritt. Die Erleichterung, die in mir beim Betreten des Wäldchens aufgekommen war, war schon lange verflogen.

Beinahe wäre ich in den wilden Bergfluss gestolpert, der wie aus dem Nichts aus der steilen Felswand aufzutauchen schien. Schäumend und mit lautem Getöse mündete er in den Bruinen. Trotz eines Atemaussetzers aufgrund der Überraschung erlaubte ich es mir nicht, anzuhalten, sondern wandte mich sofort nach links, wo die Wassermassen aus einem kleinen engen Tal hervorgesprudelt kamen, dessen Eingang mit hohen alten Bäumen verwildert war. Ohne einen Augenblick des Zögerns betrat ich den kleinen Pfad, der gut versteckt zwischen den Bäumen als einziger Weg einen Reisenden sicher durch das kleine Tal geleiten konnte. Stetig führte er mich immer weiter bergauf. Unter meinen schmerzenden Füssen raschelten die ersten braunen Blätter des Herbstes. Der Pfad machte eine Biegung und führte mehrere hundert Meter an einer Klippe entlang. Weit unten in der Tiefe suchte sich der Bergfluss tosend seinen Weg abwärts. Schräg vor mir waren kleine Lichtpunkte zu sehen, die schwach in der Ferne leuchteten. Im Dunkel der Nacht konnte man nicht mehr sehen, doch ich wusste, dass dort, gut platziert au einem Felsplateau, Bruchtal stand. Der Pfad machte wieder eine Biegung und die Lichter verschwanden hinter den Baumkronen. Ein letztes Mal noch trieb ich meine schmerzenden Beine an.

Die letzten Meilen bewältigte ich in einer Art Trancezustand, aus dem ich erst erwachte, als die Brücke und dahinter das von Fackeln erhellte Bruchtal zu sehen waren. Mit der letzten Kraft, die ich noch aufbringen konnte, überquerte ich die Brücke und trat durch das verschlungene Tor in den Innenhof Bruchtals ein. Fackeln erleuchteten den Platz und auch in einigen Fenstern war um diese Stunde noch Licht zu sehen. Ich blieb stehen und versuchte meine unregelmässige Atmung unter Kontrolle zu bringen. Meine Beine zitterten und ich war mir nicht sicher, wie lange sie mich noch tragen würden.

„Lossiel, wie schön dich einmal wieder in Bruchtal willkommen heissen zu dürfen."

Erschrocken drehte ich mich um, wobei ich beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Lindir kam in einem langen braunen Gewand die Treppe, die vom Vorplatz in den hinteren Garten führte, herunter. Ein freundschaftliches Lächeln lag auf seinen Lippen, doch bevor er weitersprechen konnte, brachte ich keuchend hervor: „Hohl Elrond! ..Es..ist wichtig."

Anscheinend wurde ihm die Ernsthaftigkeit der Situation sofort klar, denn mit wehenden braunen Haaren eilte er an mir vorbei in Richtung der Hallen des Feuers.

Mein Puls raste immer noch und ich musste mich mit meinen Händen auf den Knien abstützen, um nicht umzukippen, denn alles um mich her schien zu flimmern. Ich schloss die Augen und achtete nur darauf, immer tiefer und gleichmässiger zu atmen.

Leise hörte ich durch das Rauschen meinen Blutes Schritte auf mich zukommen und schaute auf. Verschwommen konnte ich Elrond in einem roten Umhang auf mich zueilen sehen. Hinter ihm trat eine zweite Gestalt, ganz in grau gehüllt, in das Licht der Fackeln und eilte ebenfalls auf mich zu, den langen Stock, den er in der rechten Hand hielt bei jedem Schritt auf den Boden aufschlagend.

Langsam knüpfte mein Kopf die Verbindungen, die nötig waren, um die Gestalt als Gandalf zu identifizieren.

„Was ist geschehen?", Gandalf tiefe Stimme hallte in meinen Ohren.

„Frodo,...er...", keuchte ich.

„Du hast Frodo getroffen. Was ist passieert, wo hast du ihn das letzte Mal gesehen, wie...", Elrond brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen, da ich immer wieder versucht hatte, etwas zu sagen, meine schwache Stimme aber nicht gegen Gandalfs Redeschwall angekommen war.

„Er wurde von einem ...Nazgul mit einer Morgulklinge verletzt.", ich atmete einmal tief durch, „Gestern Abend auf...auf der Wetterspitze"

Gandalf machte auf dem Absatz kehrt und rannte, wie ich hoffte, in Richtung der Stallungen. Die Welt um mich herum schien sich langsam zu verdunkeln und kleine Sterne tanzten vor meinen Augen. Langsam beugte sich Elrond zu mir hinab und strich mir einige silberne Strähnen aus meinem Gesicht, um mir in die Augen sehen zu können.

„Du bist in nur einem Tag von der Wetterspitze bis hierher gerannt?", Besorgnis schwang in seiner Stimme mit und er musterte die Kratzer, die mein Gesicht zierten.

Ich nickte langsam und schloss die Augen, doch die funkelnden Sterne wollten nicht verschwinden.

Elronds Gewand raschelte leise, als er sich erhob, und kurz darauf spürte ich seine Hände an meinen Oberarmen. Langsam aber bestimmt zog er mich hoch, bis ich mich schliesslich an seinem Arm festklammern konnte, um nicht umzufallen. Immer noch mit geschlossenen Augen machte ich mit zitternden Knien einige Schritte. Elrond stützte mich so gut es ging und meint schliesslich: „Ich werde dich zu unseren Heilungsstätten bringen. Das ist der kürzeste Weg zu einem Bett und du musst keine Treppen steigen."

Dankbar nickte ich und liess mich von ihm über den Hof führen. Langsam beruhigte sich nun auch mein Puls wieder und als wir kurz anhielten und das leise Knarren einer Tür zu hören war, konnte ich beinahe ohne Elronds Hilfe still dastehen. Kurz öffnete ich meine müden Augen, um nicht über die Türschwelle zu stolpern, doch sobald wir in dem kühlen Gang standen, schloss ich sie wieder. Unsere Schritte hallten von den steinernen Wänden wieder, seine bestimmt und sicher, meine tastend und vorsichtig. Erneut blieben wir stehen, um eine Tür zu öffnen. Ich wusste, dass diese Räume keine Türschwellen hatten und liess die Augen geschlossen. Nach einigen Schritten half mir der Halbelb vorsichtig, mich auf das weiche Bett zu setzten.

„Mae daw (*gute Nacht*)", wünschte mir Elrond, bevor er das Zimmer verliess und leise die Tür hinter sich zuzog.

Mit einem lauten Seufzer liess ich mich nach hinten fallen und konnte noch mit letzter Kraft meine Beine auf das Bett hieven, bevor die Dunkelheit nach mir griff und mich mit sich zog.



Die letzte ReiseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt