Kapitel 85

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"Sie ist echt schnell!", kam es nun auf deutsch vom Zaun. Ich schaute hoch und da stand Paul.
"Naja. In der letzten Runde war jetzt schon ein bisschen die Luft raus. Da müssen wir noch dran arbeiten, aber sie wird langsam besser.", meinte ich, während ich nun abstieg.
"Für was trainierst du sie?"
"Distanzrennen. Wir züchten hier Araber und trainieren sie für Distanzrennen."
"Das sind doch dies Rennen, die über mehrere Kilometer gehen oder?"
"Ja."
"Wie weit läuft sie denn so?"
"Cheyenne läuft aktuell 80 km Ritte. Ich trainiere aber auf die 100 km hin. Da will ich dann nächste Saison mit ihr starten."
"100 km? So weit?"
"Ach. Das ist noch nicht so weit. Aber sie ist ja noch jung."
"Nicht so weit? Was ist denn das weiteste?"
"Also die Königsdisziplin ist der so genannte hundert Meiler. Der geht, wie der Name schon sagt, über hundert Meilen geht. Also 160 km."
"Und wie lange braucht ihr da so?"
"Vorgeschrieben ist eine durchschnittliche Geschwindigkeit von mindestens 12 km/h. Du kannst mit den Pausen so ungefähr 15 Stunden rechnen. Es kommt dann halt noch drauf an, wie die Strecke ist. Wenn du viel steinigen Untergrund oder viele Berge hast kannst du nicht so schnell reiten. Da kann es dann auch mal ein oder zwei Stunden länfer dauern."
"Oh Gott! 15 Stunden im Sattel! Das muss doch tierisch anstrengend sein oder nicht?"
"Naja. Wenn man vorher genug trainiert hat und das Pferd gut läuft ist das eigentlich recht locker."
"Recht locker? 160 km durch galoppieren nennst du recht locker?"
"Ich mach das jetzt schon seit Ewigkeiten. Ich bin mit 14 mein erstes Rennen über 160 km geritten. Da kannst du dir ja mal ausrechnen wie lange ich das schon mache. Da gewöhnt man sich schon dran. Außerdem mach ich hier doch auch den ganzen Tag nichts anderes als Reiten. Da macht das keinen großen Unterschied."
"Also ich glaub für mich wäre das nichts."
"Das ist bei dem Sport halt so. Entweder man mag es oder eben nicht. Was dazwischen gibt es nicht. Und ich wurde da mehr oder weniger rein geboren. Ich saß mit zwei Monaten das erste Mal auf einem Pferd und hab mit sechs mein erstes Rennen geritten."
"Und wie schaffst du es dazwischen noch Springen zu reiten?"
"Mit einem erstklassigen Team und einer tollen Familie. Anders würde ich das auch nicht schaffen. Ich trainiere morgens ganz früh, mittags in der Pause und abends ganz spät mit Ginger. Zwischendurch reite ich dann noch die anderen, die ich trainiere. Da hab ich zum Glück Jenny, die mir hilft. Sie macht die Pferde alle so weit fertig, dass ich ihr das erste Pferd übergebe und das nächste komplett fertig übernehme und mich direkt drauf setzen und los legen kann."
"Das muss doch ein tierischer Stress sein oder nicht?"
"Mit der Zeit gewöhnst du dich dran. Ich mach das jetzt seit bald 30 Jahren so."
"Wie viele Pferde habt ihr hier eigentlich?"
"Momentan ungefähr 300."
"Wow! Nach so vielen sieht das gar nicht aus."
"Ungefähr die Hälfte steht ja auch noch hinten bei den Wäldern auf den Wiesen. Hier das ist ja nur der Hof. Uns gehören noch ungefähr 100 Hektar Land mit Wäldern rund herum. Unsere Jungpferde haben wir den Sommer über halb wild hinten auf den Koppeln stehen. Es guckt immer nur jeden Tag jemand nach ihnen und wir sind eben da, wenn Käufer Interesse haben."
"Und ich dacht immer von dem Gestüt, dass ich kenne, dass es riesig ist, aber das toppt ja alles!"
"Wir sind nicht umsonst das größte Gestüt Polens. Jetzt muss ich aber weiter. Die ganzen Pferde trainieren sich nicht von selbst.", meinte ich und brachte Cheyenne nun zu Jenny, um mir von dieser das nächste Pferd zu holen.

So ging es den ganzen Vormittag. Ich trainierte ein Pferd nach dem anderen und Paul schaute mir vom Rand aus total begeistert zu.

Am mittag ging ich dann mit Johannes zusammen zum Dressurviereck, wo Paul bereits auf einem komplett fertig aufgewärmten Pferd saß.
"Können wir anfangen?", rief ich ihm zu.
"Ja. Er ist so weit fertig aufgewärmt.", antwortete Paul.
"Okay.", sagte ich und wandt mich dann Johannes zu.
"Was soll er machen?", fragte ich nun wieder auf polnisch.
"Erstmal ein bisschen Schenkelweichen, Schulter herein, Traversalen und so etwas. Damit er sich einfach erstmal ein bisschen biegt.", meinte Johannes. Ich übersetzte das nur für Paul und dieser ritte, meiner Meinung nach, perfekte Traversalen. Johannes jedoch betrachtete ihn nur kritisch und meinte dann: "Die Biegung und die Stellung sind nicht ganz richtig. Den inneren Zügel etwas mehr verkürzen, das äußere Bein ein Stück mehr verwahrend und den inneren Schenkel mehr dran."
Ich übersetzte es für Paul und dieser versuchte es nun erneut.
"Immer noch nicht richtig. Er kreuzt die Hinterbeine nicht richtig. Etwas verstärkter mit den Schenkel arbeiten und ihn mal ein bisschen flotter vorwärts treiben. Der schläft ja gleich ein.", meinte Johannes mit kritischen Blick. Wieder übersetzte ich es für Paul und dieser versuchte es nun noch einmal.
"Ne. Viel zu wenig Schwung. Das Ziel der Dressur ist es das Ganze möglichst spielerisch aussehen zu lassen. Für die Zuschauer soll es aussehen als würde er mit dem Pferd durch das Viereck tanzen. Bei ihm sieht es momentan eher aus als würde sich das Pferd jeden Moment die Beine brechen.", meinte Johannes.
"Soll er es nochmal versuchen?", fragte ich.
"Nein. Das hat keinen Sinn. Sag ihm, dass er einfach mal eine komplette Aufgabe oder seine Kür reiten soll."
Ich tat dies und so ritt Paul nun eine komplette Dressur Aufgabe.

Als er diese beendet hatte, meinte Johannes: "Er hat einen sehr schönen Grundsitz und eine tolle, ruhige Hand."
"Aber?", fragte ich.
"Die Lektionen sind absolut schlampig geritten. Er trifft keine einzige Linie richtig, die Wechsel sind nicht richtig durch gesprungen, die Traversalen sind eine absolute Katastrophe und die Pirouetten sind fiel zu groß."
"Also ist genau genommen alles falsch, aber er hat einen guten Grundsitz und eine ruhige Hand."
"Genau."
"Was würdest du ihm geben?"
"Wenns ganz hoch kommt vielleicht eine fünfer Wertnote."
"Okay.", sagte ich und übersetzte Paul nun Johannes Resultat.
"Und jetzt?", fragte dieser leicht betröppelt.
"Was soll er jetzt machen?", übersetzte ich für Johannes.
"Her kommen. Ich zeig ihm mal, was ich meine.", meinte dieser. So rief ich Paul nun zu uns und wies ihn an ab zu steigen. Er tat dies und Johannes stieg nun in den Sattel des Wallachs. Nachdem dieser sich dann nach ein paar Runden Trab und Galopp mit seinem neuen Reiter zusammen gefunden hatte, ritt Johannes mit ihm exakt die gleiche Aufgabe noch einmal. Diesmal sah es allerdings wirklich klasse aus. Jede einzelne Lektion war haar genau ausgeführt und es war einfach perfekt. Da musste ich meinen Bruder ausnahmsweise mal loben. Dressur reiten konnte er!
Paul stand der Mund offen vor Staunen.
"Wow!", war das Einzigste, was er sagte.
"Da kann ich dir nur zustimmen.", meinte ich.

Johannes hielt nun vor uns an und schwang sich aus dem Sattel.
"So muss das aussehen.", meinte er. Ich übersetzte es für Paul. Von dem kam nur ein Nicken.
"Jetzt ist er wieder dran. Er weiß ja jetzt um was es geht.", wies Johannes nun an. Ich übersetzte das nun für Paul und dieser stieg wieder in den Sattel.

Der Falsche SprungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt