Kapitel 57

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"Was ist, wenn er stirbt?", schluchzte sie nach einer Weile.
"Du hast dein best möglichstes gegeben. Mehr hätte niemand machen können!", tröstete ich sie.
"Hätte ich doch bloß diesen blöden Erste Hilfe Kurs gemacht!"
"Der hätte dir da auch nicht weiter geholfen! Auf solche Momente bereitet dich kein Kurs der Welt vor! Du hättest nicht mehr machen können, als du gemacht hast!"
So wirklich tröstete sie das allerdings auch nicht und sie weinte weiter.
"Shhh. Ganz ruhig.", redete ich beruhigend auf sie ein, bis dann ein Arzt raus kam. Schon vielen alle Blicke auf ihn.
"Es tut mir so sehr leid! Wir haben alles versucht, aber wir konnten nichts mehr machen.", sagte er enttäuscht. Ich ließ Emely nun los und ging zu Ben. Sanft legte ich einen Arm um ihn und fragte: "Was hatte er?"
"Das ist ein bisschen kompliziert zu erklären. Ich glaube das verstehen sie nicht."
"Ich hab drei Jahre lang in einer Tierklinik gearbeitet. Legen sie einfach los."
"Achso. Okay.", sagte der Arzt und schmiss dann mit einem Haufen von lateinischen Fachbegriffen um sich.
"Vielen Dank!"
"Da gibt es nichts zu danken."
"Doch. Sie haben jetzt stundenlang alles gegeben, um ihn irgendwie wieder zurück zu holen. Vielen Dank dafür!"
"Das ist mein Job.", meinte der Arzt nur und ging.
"Könntest du mir das vielleicht mal übersetzen?", fragte Ben nun ruhig.
"Im Großen und Ganzen ist er an einem Herzstillstand gestorben. Die ganzen Einzelheiten sind zu kompliziert zu erklären."
"Hätte man ihn retten können?"
"Nein. Keine Chance."
"Hätten wir irgendwas tun können?"
"Nein. Wenn das Herz erstmal aufgehört hat zu schlagen ist es so gut wie vorbei und seon Herz war kaputt. Das hätte keiner mehr zum Schlagen bringen können."
"Aber das muss er doch vorher gemerkt haben oder nicht?"
"Ja, aber wenn er nicht zum Arzt geht bringt das nichts."
Von Ben kam nur noch ein stilles Nicken. Er gab es vielleicht nicht zu, aber ich sah ihm an, dass er traurig und ziemlich fertig war. Er hatte zu ihm zwar nie ein gutes Verhältnis gehabt, aber er war immernoch sein Vater und tief im Inneren liebte er ihn. "Komm. Wir gehen raus.", sagte ich nun und schob Ben mit mir raus.

Draußen angekommen blieben wir einfach am Rand vom Parkplatz stehen.
"Du steckst das nicht so einfach weg, wie du es zugibst oder?", fragte ich nun. Von Ben kam keine Reaktion.
"Schatz du kannst ruhig traurig sein und du kannst auch ruhig mit mir reden! Ich hab dir die Ohren voll geheult, als meine Eltern gestorben sind. Das machst du jetzt bitte auch! Reden hilft!", sagte ich nun, aber von Ben kam noch immer keine Reaktion.
"Rede mit mir! Wenn du nicht sprichst kann ich dir auch nicht helfen!"
"Lass uns nach Hause fahren.", meinte Ben nun.
"Bist du sicher, dass du in der Verfassung jetzt noch Auto fahren willst?"
"Irgendwie müssen wir ja nach Hause kommen."
"Julia kann auch fahren."
"Und wie kriegen wir dann Ginas Auto wieder nach Hause?"
"Dann fahren wir eben mit Ginas Auto und Julia holt ihr Auto morgen ab."
"Meinst du?"
"Ja. Komm. Wir reden mit denen.", meinte ich und zog ihn mit mir rein.
"Julia könntest du vielleicht fahren?", fragte ich.
"Ja klar. Seid ihr mit dem Pferdetransporter hier?", fragte Julia.
"Nein. Gina hat uns ihr Auto geliehen und kommt es morgen dann abholen."
"Okay. Also soll am Besten dann mit dem Auto fahren?"
"Wenns geht ja."
"Okay. Dann lass uns los.", meinte Julia und stand auf. Emely tat ihr das nach und kam langsam zu mir. Ich legte den anderen Arm um sie und so gingen wir nun raus zum Auto.

Als Julia dann los fuhr bemerkte ich, dass sie in etwa den selben Fahrstil wie Jenny hatte. Na klasse! Auch das noch! Aber das war jetzt nebensächlich. Momentan stand meine Sorge um Ben im Vordergrund. Ich war mir ganz sicher, dass er das alles nicht so einfach verarbeiten konnte und sich nur nicht traute mit mir zu reden. Ich war mir schon sicher, dass er den Tod seiner Mutter damals nie richtig verarbeitet hatte. Das hier riss seine Wunde nur wieder auf. Er musste dringend mit irgendjemanden über alles, was passiert ist reden. Das würde ihm vielleicht helfen. Irgendwie musste er das ja verarbeiten. Dazu kam noch, dass mir Emely ganz schön Sorgen bereitete. Sie hatte das alles komplett mit gekriegt und ihn gesehen. Das konnte man auch nicht so einfach weg stecken.

Nach einer Stunde quälenden Schweigens kamen wir dann am Gestüt an und stiegen aus. Gemeinsam gingen wir nun rein, wo Johannes saß und bereits wartete.
"Und?", fragte er. Julia schüttelte nur den Kopf.
"Oh.", kam es von ihm.
"Komm. Wir gehen.", sagte Julia nur und zog ihn nun mit sich in ihr Zimmer.
"Ich geh auch.", meinte Ben und ging ebenfalls hoch.
"Ist bei dir alles on Ordnung?", fragte ich nun an Emely gerichtet. Diese zuckte allerdings nur mit den Schultern.
"Was ist los?", fragte ich weiter.
"Der Typ hat gesagt es wäre zu spät. Hätte man ihn retten können, wenn ich eher gekommen wäre?"
"Nein. Nichts und niemand hätte ihn retten können. Sein Herz war kaputt. Selbst wenn du eher gekommen wärst hättest du ihn nicht retten können."
"Was heißt sein Herz war kaputt?"
"Das ist schwer zu erklären. Ich denke das verstehst du nicht."
"Vielleicht ja doch. Versuch es doch wenigstens."
"Das willst du so genau gar nicht wissen. Seine eine Herzklappe hat nicht mehr richtig funktioniert und sein Herz hat dann irgendwann einfach aufgehört zu arbeiten."
"Aha. Und das geht einfach so?"
"Ja. Leider schon."
"Das heißt jeder könnte das haben und jeden Moment einfach tot umkippen?"
"Ja. Eigentlich schon, aber solche Herzprobleme sind eher selten."
"Zum Glück! Ist ja schon schlimm genug, dass es das überhaupt gibt!"
"Ja. Vor allen Dingen, wenn der Tod so plötzlich kommt."
"Und Papa steckt das so einfach weg? Das war doch sein Vater."
"Nein. Das tut er nicht. Er gibt nur nicht zu, dass ihm das alles so nah geht. Eigentlich ist er total fertig."
"Was ist eigentlich mit seiner Mutter?"
"Die ist an Krebs gestorben, als er noch ganz klein war. Ich kann mich gar nicht mehr an sie erinnern."
"Du bist ja auch zwei Jahre jünger als er."
"Ja. Ich war da fünf glaube ich."
"Also war er sieben."
"Ja. So ungefähr."
"Das ist ja ewig her!"
"So lange nun auch nicht!"
"40 Jahre."
"Hey! 37! So alt bin ich nun auch nicht!"
"Fast 40."
"Du bist schon ein bisschen frech oder?"
"Das ist Tatsache! Du bist nunmal alt."
"Na danke auch! Ich bin erst 42!"
"Erst ist gut."
"Jetzt ist aber mal gut ja! Sei nicht so frech!"
"Das sind nur Tatsachen!"
"Du wohnst bei mir, also sei vorsichtig!"
"Ja. Ist ja gut."
"So. Es ist spät. Ab ins Bett!"
"Es ist erst zwölf!"
"Spät! Sag ich doch!"
"Das ist doch nicht spät! Normalerweise komm ich an solchen Wochenenden erst um fünf Uhr nach Hause!"
"Kommen ist gut. Du wirst entweder von der Polizei gebracht oder ich kann dich stockbesoffen irgendwo abholen."
"Manchmal komme ich auch alleine nach Hause!"
"Selten. Sehr selten!"
"Ja. Ich gebs zu."
"Jetzt geh ins Bett. Du kannst ja da noch ein bisschen lesen oder so."
"Als ob ich freiwillig lese!"
"Das erklärt deine Note in deutsch."
"War doch nur eine vier!"
"Nur ist gut! Das ist dein Bewerbungs Zeugnis!"
"Ich fang doch eh hier an. Wen interessieren dann meine Noten?"
"Mich! Wenn du die Prüfung nicht schaffst kannst du dir einen anderen Job suchen! Da nehm ich dich nicht!"
"Ja. Das sagst du jetzt."
"Auch dann noch! Ohne Abschluss kannst du sehen wo du bleibst!"
"Ja ja. Gute Nacht!", sagte Emely nun genervt und verschwand in ihrem Zimmer. Ich ging nun hoch zu Ben und legte mich neben ihm ins Bett. Schlafen konnte ich allerdings nicht. Dafür kreisten viel zu viele Gedanken in meinem Kopf.

Der Falsche SprungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt