Das Kapitel mit der Ausnahme

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Da Susi ihr Motivationstraining nicht nur an Universitäten, sondern auch in Anastasia's und Mira's Zimmer vorpredigte, hatte Anastasia einen guten Grund für den ersten Mord.

Jedoch beließ sie es bei den Schimpfwörtern, die sie ihrer neuen Mutter an den Kopf warf, denn sie hatte schon früh festgestellt, dass diese weitaus mehr Kritik vertragen konnte als ihr Vater und nutzte dies schamlos aus.

Eines Samstagabends, es war der letzte Samstag vor Schulbeginn, hatte Anastasia Henry beim Duschen gesehen und sein Körper hatte sie in den Zustand des Staunens versetzt. Ihm hatte es nichts ausgemacht, dass sie im Raum gewesen war und so hatte sie beim Zähneputzen und beim Umziehen schön getrödelt. "Trägst du Push-up?", hatte er sie irgendwann gefragt und sie hatte getrost mit einem netten Lächeln den Kopf schütteln können und hatte insgeheim darüber gejubelt, dass er nicht der einzige mit gutem Körper war und sich anscheinend für sie interessierte. Dann jedoch hatte sie sich daran erinnert, dass sie erstens kein zweites Mal auf die Muskeln eines Jungen reinfallen durfte und zweites prinzipiell keinen Gefallen an dieser Familie finden durfte.

Völlig verstört war sie aus dem Raum gerannt und lag in BH und Unterhose auf ihrem Bett und skypte mit Ella, die sich leicht angetrunken ein ruhiges Plätzchen am Pool suchte, um ihrer Freundin zuhören zu können.

"Weißt du Ella, ich war kurz davor, ihn anzuflirten, ich meine, ich trug nur Unterwäsche und er gar nichts, aber das geht nicht, ich hasse ihn doch!", jammerte sie. "Tust du das?", lallte Ella. "Ja! Ich meine, nein, diese Leute sind meine Familie und Henry ist mein Bruder! Erstens flirtet man seinen Bruder nicht an und zweitens findet man ihn nicht attraktiv!", rief Anastasia aufgebracht. "Liebst du ihn?", fragte ihre Freundin und fasste sich an die Schläfe. "Bist du bescheuert?", fuhr Anastasia sie an. Also, das ging ja mal zu weit! Vor wenigen Tagen hatte sie ihren ersten Freund hinter sich gelassen und ihr Bruder schien genauso ein Macho zu sein, dem nächtlichen Stöhnen zufolge, was aus seinem Zimmer drang. Keines dieser Mädchen hatte sie jemals zu Gesicht bekommen, da sie praktisch im Halbschlaf wieder rausgeschmissen wurden. "Er ist ein Arschloch!", sagte sie. "Und warum hättest du ihn beinahe angeflirtet?", fragte Ella. "Ich bitte dich! Welchen dieser Männer, die du jede Nacht abschleppst, hast du jemals wirklich gemocht!" "Den Fitnesstrainer." "Ach, ihr seid also zum Schluss gekommen?" Ella räkelte sich auf der Liege, auf der sie lag. "Natürlich", antwortete sie kichernd.

In dem Moment kam Mira hereingeplatzt, schluchzend in Netzstrumpfhosen und warf sich auf ihr Bett. Verwirrt sah Anastasia von ihrem Laptop auf und beobachtete ihre neue kleine Schwester,  die laut heulend auf ein Kissen einprügelte. Okay, sie hatte schon gedacht, sie hätte ein hitziges Temperament, aber das blonde Lockenköpfchen war auch nicht schlecht. "Da bist du ja endlich. Wir haben uns Sorgen ge-" sie stockte. Das war schließlich gelogen, denn nicht eine Sekunde hatte sie sich Sorgen um Mira gemacht, die um Mitternacht immer noch nicht im Hause gewesen war, im Gegenteil, sie hatte sich gefreut, das Zimmer für sich alleine zu haben. "Halt's Maul", schluchzte Mira, der der Rotz nur so über das Gesicht lief, und begann, sich die Netzstrumpfhose in Fetzen vom Leib zu reißen. "Alles in Ordnung?", fragte Anastasia, biss sich jedoch im nächsten Moment auf die Zunge. Natürlich war nicht alles in Ordnung, oder heulten 14-Jährige etwa ohne Grund? Nein! "Lass mich in Ruhe!", murmelte Mira. "Willst du drüber reden?" "Lass mich in Ruhe!", schrie Mira lauter. "Ist ja gut! Dann versauer halt in deinem Liebeskummer, aber wehe ein Stück deiner hässlichen Strumpfhose landet in meiner Zimmerhälfte!", schimpfte Anastasia und schlüpfte in ihre Hausschuhe, um im Wohnzimmer in Ruhe weiter zu skypen. "Hässlich? Dieses Kostüm hast du doch selbst gekauft!", rief Mira. Anastasia hielt inne, stand da wie eine Eisskulptur, während sie eins und eins zusammenzählte. "Was machst du an meinem Kleiderschrank?", kreischte sie schließlich. Ihre kleine Schwester zuckte mit den Schultern und eine Weile war es still im Raum. Durch die Wand drang leises Aufschreien und Stöhnen, was annehmen ließ, dass Henry's Nacht gerade ihren Höhepunkt erreichte. "Ich wollte den Freund meiner besten Freundin aufreißen", weinte Mira. "Du wolltest was?!", rief Anastasia, die sich gerade zurück in ihr Bett gelegt hatte und sich unter die Decke kuschelte. Ella hatte bereits aufgelegt und der Bildschirm des Laptops war schwarz. "Ja, ich weiß! Aber wir haben uns zerstritten, weil sie David heiß gemacht hat und die beiden eine heimliche Affäre führen! Weder Nils noch ich wussten bis gestern davon. Anna ist so eine miese Ratte! Mir als meine beste Freundin einfach den Freund ausspannen! Ich wollte es beiden heimzahlen und hab mich in diesem Aufzug auf David's Geburtstagsfeier gestohlen und dann... dann hab ich alles kaputt gemacht und bin noch dazu das Gespött von unzähligen Jungs geworden!" "Ich nehme an, Nils war dein Freund und David war Anna's?", hakte Anastasia nach, für die die ganze Geschichte äußerst kompliziert war. "Naja, jetzt nicht mehr. Jetzt hab ich Anna und Nils verloren", sagte Mira traurig und mit einem Mal tat sie Anastasia leid, welche an den Rand ihres Bettes rückte, die Decke hochhielt und auf die freie Stelle neben sich klopfte. Mira huschte durch das dunkle Zimmer und kuschelte sich zu ihr, dann legten sie die Decke über sich. "Ich mache eine Ausnahme", sagte Anastasia finster. "Ich würds auch nicht jeden Tag tun", konterte Mira. "Du bist noch Jungfrau, oder?", sagte sie dann kaum hörbar. "Ja", gab Anastasia kleinlaut zu. "Macht doch nichts." "Hattest du denn schon oft Sex?", fragte sie. "Früher fast jedes Wochenende. Aber jetzt hab ich keinen Freund mehr und ohne Freund kein Rummachen", seufzte Mira. "Du bist verrückt", erwiderte Anastasia und dann sagten beide Mädchen für eine Weile gar nichts mehr.

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