Das Kapitel, in dem es losgeht

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Während Anastasia auf der zugeklappten Klobrille saß und den Text über Erdalkalimetalle überflog, ließ sie sich von Mira berichten, wie es mit Jerome gelaufen war. "Er hat die ganze Zeit auf meinen Hintern geguckt, aber mehr auch nicht! - die Pause ist gleich vorbei." Mira rang die Hände. Ana biss genüsslich in ihre Banane, ehe sie das Chemiebuch zuklappte und wegpackte. "Am Anfang brauchst du auch nicht mehr zu erwarten. Du stichst für den Rest der Woche einfach schön zwischen den anderen Mädchen hervor und wartest, bis er angekrochen kommt. Und dann" Anastasia warf feierlich ihr Haar zurück. "Und dann schiebst du ihn ab!" Sie erhob sich vom Klo und entriegelte die Tür. "Aber ich will ihn doch noch!", entrüstete sich Mira. "Ah ah ah, so denken wir gar nicht", entgegnete Anastasia. "Woher willst du das wissen? Du hattest selber erst einen Freund!" Bei dem Gedanken an Kai wurde Ana kurz ganz mulmig, aber sie fing sich schnell. "Weißt du Mira, meine Freundin Ella hat schon die halbe Stadt durch. Sie hat mir oft genug davon erzählt. Und sie war immer erfolgreich!" Mira schnaubte, entgegnete aber nichts mehr. Derweil warf Anastasia die Banenschale in den Müll und stemmte sich gegen die Schwingtür, um zu öffnen. Aus den Lautsprechern über ihnen dröhnte der Gong. "Ich muss zu Franze", sagte Mira und schulterte ihre Tasche. Dann drehte sie sich plötzlich um. "Jerome sitzt jetzt eine Doppelstunde lang neben mir!" Anastasia quietschte begeistert auf. Sie rannte zu Mira und zupfte deren Bluse zurecht. "Dauerlächeln angesagt. Schau ihn ruhig an, aber verlier dich nicht in seinen Blicken, immerhin ist er derjenige, der Schluss gemacht hat." "Und wer bin ich?" "Du bist diejenige, die sich aus den Trümmern erhebt und ihn fertigmacht. Wie gesagt, dauerlächeln, keinesfalls Trauer zeigen, verstanden? Du bist jetzt Leiterin seiner Gefühle." Mira kicherte. "Gefällt mir. Sonst noch was? So von wegen andere Jungs angraben oder so?" Ana schüttelte heftig den Kopf. "Besser nicht! Das wäre die Eifersuchtstheorie, aber wir benutzen eine andere. Sei einfach mehr als die anderen Mädchen - schöner, besser, bunter..." "Okay, ich muss los." "Ciao! Und viel Glück!"

Ana sah Mira hinterher, die die Treppen hochsprang und drehte sich dann selber um. Eine Stunde Chemie stand an und der Lehrer hatte eine mündliche Überprüfung der Hausaufgabe angekündigt. Ana holte das Buch wieder hervor und las flüchtig die Tabellen rauf und runter. Währenddessen lief sie langsam weiter. Keine gute Idee, denn mit einem lauten 'Plong!' machte ihr Kopf Bekanntschaft mit der Glastür. "Scheiße!", stieß sie hervor, ehe sie die Tür öffnete und hindurchtrat. Hoffentlich hatte sie keiner gesehen!

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Henry hastete gerade die Treppen zum Biosaal hinauf, als er lautes Krachen vernahm. Wenig später zischte eine nicht allzu unbekannte Stimme ein wütendes "Scheiße!" "Anastasia?" Henry verschnellerte sein Tempo, indem er zwei Stufen auf einmal nahm. Als er im zweiten Stock angekommen war, eilte seine Halbschwester bereits den nächsten Gang entlang, die Hand an die Stirn gelegt. Sie war doch nicht etwa...- Oh Gott! Henry stemmte die Tür auf und joggte Ana hinterher. "Alles in Ordnung?", fragte er, als er sie eingeholt hatte. "Geht schon", nuschelte sie verbissen zurück. "Zeig mal her", meinte Henry und hielt sie am Arm, damit sie stehenblieb. Anastasia verdrehte die Augen, während sie seinen Blicken auswich. "Hör zu, es ist wirklich nichts schlimmes, es ist mir eher peinlich, also lass das sein und - Autsch!" Sie funkelte ihn wütend an, als er den Daumen auf die verletzte Stelle drückte. "Pass doch mal auf!" Henry ignorierte sie und begutachtete konzentriert die blaue Beule, die von Sekunde zu Sekunde größer wurde. "Das wird 'n richtiges Ei geben", murmelte er. "Na toll!", schnaubte Anastasia. "Nächste Woche kommt der Schulfotograf und während andere Kinder kostenlos schöne Fotos von sich schießen lassen, werde ich das lila Einhorn sein!" Sie verschränkte empört die Arme vor der Brust, während Henry sich nur sehr schwer das Lachen verkneifen konnte. "Grins nicht so blöd!", fauchte Ana und boxte ihn gegen die Schulter. Okay, jetzt verstand er auch, warum der Boxtrainer sie als 'Naturtalent' bezeichnete. Ihre Schläge waren wirklich hart! Armer Tim... Der hatte schließlich voll einen zwischen die Beine bekommen...

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