"Also, Ella, erzähl!" Anastasia zückte ihren Füller und sah gespannt auf den Bildschirm. Ihre beste Freundin hatte sich gerade eine Gurkenmaske aufgetragen, als sie anrief und im Hintergrund saugte ihre Mutter Staub. Aber das war Anastasia egal. Es war nun Freitag, die Schule war aus, und Ellas Idee für die reichlich späte Rache an Rosa einfach grandios. Jetzt musste sie nur noch einen Liebesbrief formulieren und das fiel ihr nicht gerade leicht. Noch dazu hatte Mira bereits begonnen, sich für die Party bei Mareike zu verkleiden und rannte im Zimmer auf und ab. Aber egal jetzt. Halloween und Tim konnten warten, jetzt in diesem Augenblick war Rosa dran. "Hast du noch nie einen Liebesbrief geschrieben?", maunzte Ella in die Kamera. Anastasia schüttelte den Kopf. "Gott, Schätzchen, du bist so unromantisch! Also gut. Fang an mit 'Traumfrau'." Anastasia schnitt eine Grimasse. "Traumfrau als Anrede?" "Natürlich", nickte Ella und biss in ein Salatblatt ohne Dressing. Igitt. Bei Diäten erwog sie wirklich immer sehr strenge Maßnahmen. Abnehmen tat sie leider nicht, dabei war sie auf Dauer-Diät. "Und weiter?", fragte Ana, nachdem sie 'Traumfrau' auf das Blatt geschrieben hatte. "Nächste Zeile: Du bist so schön wie ein Engel", rief Mira, die sich gerade die Haare toupierte. "Quatsch." Anastasia schüttelte den Kopf. "Vielleicht ein bisschen zu schnulzig für den ersten Brief", murmelte Ella zustimmend. "Schreib: Wenn ich dich sehe, macht mein Herz Salti. - Mama, der Boden glänzt wie frisch verlegt, also such dir ein anderes Zimmer zum saugen!" Ella drehte sich um, um ihre Mutter zu verscheuchen, während Anastasia die diktierten Worte aufschrieb. Im Hintergrund fuchtelte Mira mit ihrem supersexy Spinnenkostüm. "Mädels!", tönte es dann. Mareike war ohne Vorwarnung in den Raum geplatzt. Sie trug einen weißen Kittel und hatte sich das Gesicht grün geschminkt - eine echte Monster-Hebamme eben. Sie und Mira begrüßten sich überschwänglich, aber Anastasia ignorierte das. "Und wie dann?", fragte sie Ella. "Doch du schaust mich nie an", antwortete ihre Freundin. Gemeinsam schrieben sie einen Brief, der es unter Garantie in Rosas unterentwickeltes, pinkes Girly-Herz schaffen würde. Anastasia schrieb, dass Rosa, falls sie antwortete, ihren Brief an Spind 110 kleben sollte - der gehörte nämlich Moritz, aber der benutzte sein Schließfach kaum. Passend zum Abschluss des Briefes ("Dein geheimer Liebhaber") knallte Mareike einen Sektkorken an die Decke. Anastasia schrie auf. "Bist du verrückt?" Mareike zuckte bloß mit den Schultern; sie und Mira hingen bereits an der Flasche. "Warum kannst du dich nicht verhalten wie alle anderen?", fragte Ana Mareike seufzend, während sie ihren Kleiderschrank nach irgendwas aufreizendem, schwarzem suchte, das für eine Halloweenparty taugte. "Ich hab ja versucht, normal zu sein", erklärte Mareike achselzuckend, "aber das waren die langweiligsten zehn Minuten in meinem Leben." Ella auf dem Bildschirm kicherte vergnügt. Die hatte gut reden! Weit weg in Köln konnte sie ja auch über die seltsamen Kreaturen lachen, die plötzlich in Anastasias Leben traten. Die fand das Ganze nämlich alles andere als lustig. Gerade zog sie sich eine schwarze Netzstrumpfhose über, welche sie mit einem Spitzen-Top von Primark und einem Lederröckchen kombinierte. Dazu die Billig-Pumps aus Kunstleder, dramatisches Make-Up und eine Lederjacke - fertig war der schwarze Engel. Ihre weißen Karnevals-Flügel konnte sie immerhin schwarz sprühen. Zufrieden mit sich selbst huschte sie aus dem Raum, um sich zu schminken. Im Flur traf sie allerdings auf Tim und Linda, die händchenhaltend in Henrys Zimmer schlenderten. Täuschte sie sich, oder verlangsamten sie das Tempo, als Ana aus ihrem Zimmer kam? Ihr lag ein bissiger Kommentar auf der Zunge, doch zwang sie sich, ihn runterzuschlucken. Immerhin wollte sie Tim heute von sich überzeugen und das ging wohl schlecht, wenn sie ihn anblaffte. Also setzte sie ein übertriebenes Lächeln auf - man wusste ja nie - und blieb stehen. Auch Mira trat aus dem Zimmer, auf dem Weg ins Bad. Als sie Linda erblickte, die ein nuttiges Krankenschwesternkostüm trug, stockte sie. "Ein Arsch gehört in die Hose", sagte sie an Anastasias Stelle. Dann zwängte sie sich an Linda vorbei ins Bad. "Wo gehst du hin?", fragte Tim und sah an Anastasia herab. Oh Gott! Sah sie gut aus? Wie lagen ihre Haare? Möglichst lässig spielte sie mit einer Haarsträhne. "Was glaubst du denn?" "Auf den Straßen-Strich?", riet Tim. Arsch! Anastasia schluckte all ihre Wut hinunter und klimperte mit den Wimpern. "Nein. Ich mache mich für die Halloweenparty fertig. Wie es aussieht, geht ihr auch hin." Sie deutete auf den Kürbis-Schlips, den Tim sich zur Feier des Tages umgebunden hatte. Linda schnalzte mit der Zunge. "Vielleicht solltest du dein Make Up essen. Dann wärest du auch von innen schön." Sagte die Richtige! "Tse", machte Anastasia kopfschüttelnd. Musste sie auch zu Linda nett sein, um Tim zu gewinnen? Nein! Aber bevor sie etwas gemeines sagen konnte, hatte Henry seine Zimmertür geöffnet. "Kommt rein." Er lächelte Tim und Linda rasch an, dann sah er zu Anastasia. "Willst du auch? Wir glühen gerade ein bisschen vor." Anastasia schüttelte traurig den Kopf. "Lieber nicht." "Warum?" Henry lehnte sich an den Türrahmen. Seine braunen Haare waren verwuschelt und seine braunen Augen strahlten Wärme aus. Gerne wäre Ana zu ihm ins Zimmer gegangen. Aber das ging unmöglich, wenn Linda da war. "Weil..." Sie durchforstete ihren Kopf nach Argumenten. Im selben Moment leutete es an der Tür. "Das ist Yun!", rief sie, erleichtert über die gute Ausrede. "Bis später!"
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Achtung Patchwork!
UmorismoGroßfamilie? Nein danke! Zumindest in den Augen der siebzehnjährigen Anastasia, die ein ganz idyllisches Leben in Köln, allein mit ihrem Vater führt. Doch von heute auf morgen findet sie sich in einem Düsseldorfer Neubaugebiet wieder und soll ab sof...