3. Kapitel

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Benommen blinzelte ich gegen das gleißend helle Licht über mir. Allerdings besaß das Licht nicht die Freundlichkeit weniger heller zu werden. Stöhnend rollte ich mich zur Seite, mein Kopf schmerzte wie am Tag nach meinem sechzehnten Geburtstag, an dem ich meinen Eltern zwei Flaschen Sekt geklaut und alleine getrunken hatte. Es schien nicht so, als würde ich viel Alkohol vertragen. Vorsichtig rappelte ich mich auf und schirmte meine Augen mit den Händen ab. Während sich meine Augen langsam an die Lichtverhältnisse gewöhnten, nahm ich auch die Geräusche um mich herum war.

Blättergeraschel, das Summen von Insekten und meinen eigenen keuchenden Atem. Wo zum Teufel war ich? Die Schemen von Bäumen in einiger Entfernung waren das Erste, was ich erkennen konnte. Das Nächste war das stechende Grün überall um mich herum. Mein Herz flatterte wie ein Kolibri in meiner Brust, gleichzeitig beschleunigte sich mein Atem.

Was war hier los?

Ich stolperte über die Lichtung, auf der ich gestanden hatte, ich hatte keine Augen für die Wildblumen zu meinen Füßen. Ich lief sie um, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, was für eine Schönheit ich mit jedem meiner Schritte zerstörte. Die Sonne brannte erbarmungslos auf mich nieder, sodass mir der Waldrand, mit seinem Schatten, wie eine Oase vorkam. Doch die Strecke schien sich in unbeschreibliche Länge hinzuziehen schien, so wie in einem Albtraum in dem man rannte und rannte, jedoch nicht von der Stelle bewegte. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen, es war, als wäre mein Gehirn eine einzige zähe Masse. Gerade noch rechtzeitig erreichte ich den Waldrand, bevor ich stürzte und mir wieder schwarz vor Augen wurde.

***

Als ich wieder die Augen aufschlug, dämmerte es bereits. Fluchend schloss ich erneut die Augen. Die Kopfschmerzen waren zu einem schwachen Pochen abgeklungen. Jedoch hatte ich die Hoffnung gehegt, dass wenn ich wieder aufwachte, das alles hier nur ein böser Traum gewesen war. Allerdings lag ich immer noch hier im...irgendwo. Vorsichtig setzte ich mich auf und lehnte mich an den mir am nächsten Baum.

Ich könnte einfach hier sitzen bleiben und darauf warten, dass mich jemand findet, überlegte ich. Aber was, wenn mich niemand fand?

Was wenn es hier niemanden gab?

In meiner Hosentasche tastete ich nach meinem Handy. Erleichtert zog ich es hervor. Doch als ich es anschaltete, war ich weniger euphorisch. Weder hatte ich Empfang, noch viel Akku. Die verbleibende Akkulaufzeit meines Handys waren nur noch eineinhalb Stunden. Am Baum zog ich mich hoch und blieb einige Sekunden an ihm gestützt stehen, um sicher zu gehen, dass ich nicht wieder ohnmächtig wurde. Als mir nicht schwindelig wurde, löste ich mich behutsam von dem Baum. Ich starkste wieder auf die Lichtung, hoffte das ich dort ein besseres Signal hatte. Die Hand mit dem Handy weit in die Luft gestreckt, wanderte ich über das baumfreie Stück Land. Drehte mich, flehte mein Handy an. Trotzdem wollte es nicht gelingen. Tränen verschleierten mir die Sicht, das konnte nicht möglich sein. Irgendjemand musste sich einen gewaltigen Spaß mit mir erlauben, auch wenn dieser nicht ansatzweise lustig war.

Ich unterdrückte den Impuls einfach ins inzwischen feuchte Gras zu sinken und mich meinem Schicksal hinzugeben. Das konnte ich nicht tun. Das konnte ich nicht mir und auch nicht meinen Eltern antun. Ich musste einen Weg finden, nach Hause zu kommen, egal wo ich war. Und ich würde es schaffen. Bestimmend nickte ich, um mich selbst zu überzeugen, dass ich es schaffen würde.

Nichtsdestotrotz musste ich erst einmal aus diesem Wald heraus kommen, dann würde ich Menschen finden und die konnten mir sicherlich helfen. Mein Kopf wippte inzwischen wie der eines Wackeldackels, ich bekräftigte mich selbst. Ich würde das hier schaffen und wenn ich denjenigen finden würde, der mir das hier angetan hatte, würde ich ihn vor den nächst besten Zug werfen. So machte ich mich auf den Weg, in der festen Überzeugung, das Ende des Waldes zu finden. Einen Weg nach Hause zu finden. Jedoch ließ mich der Gedanke nicht los, dass es möglicherweise gar keinen Ausgang gab. Vielleicht aus diesem Wald, aber nicht aus dem hier. Was es auch immer war. Möglicherweise wie bei Maze Runner oder so. Oder ich wurde einfach nur verrückt.

Nein. Ich. Nicht.

Ich würde nach Hause zurückkehren. Nicht wie Lou. Ich war nicht Lou. Und deshalb würde ich alles in meiner Macht stehende tun um meine Eltern vor dem Durchdrehen zu bewahren.

Ich war nicht sie. Ich war nicht Lou. Das war das Einzige, das ich mir an Hoffnung erhalten könnte. Nachdem der Gedanke, dass ich hier womöglich festsaß gesackt war. Immerhin war ich durch einen Spiegel gefallen. Es konnte also alles möglich seien.

Lou. Nicht ich war nie wieder gekommen. Ich würde es. Wiederkommen. Nach Hause.

***

Meine Finger strichen über die leeren Wände. Weiß, das waren sie. Nicht mehr. Weiße Wände. Für viele mochte das nichts besonderes sein. Weiße Wände, was sollte damit schon sein. Fast jeder hat sie, Wände. Bei manchen sind sie bunt, bei anderen nun mal eben weiß, so wie bei uns. Aber unsere Wände sollten nicht weiß sein. Das waren sie nie. Und selbst wenn sie weiß gewesen waren, hatte Mama sie immer mit unseren Kustwerken oder Fotos vollgehangen. Sie sagte, dass Kinde in bunten Häusern aufwachsen sollten. Das taten wir auch, Louise und ich. Und als Lou dann weg war, wurden die Wände nicht mehr bunt gemacht. Wir wohnten nur mit ihr in bunten Häusern. Danach nicht wieder, bis wir wieder nach Hause zogen, wo wir auf ein paar Wänden unsere Spuren hinterlassen hatten. Dass ich jemals wieder mit meinen Eltern nach Hause zurückkehren würde, wusste ich zu dem Zeitpunkt allerdings noch nicht. War es überhaupt ein Zuhause, wenn Lou fehlte?

Dieses Haus, in dem ich im Moment wohnte, war jedoch alles andere als bunt. Es war trist und kalt. Ansatzweise Farbe besaßen die Fliesen in Küche und Bad. Grau. Und es gab weder Fotos noch Bilder. In keiner unserer Wohnungen. In keinem unserer Häuser. Es war, als wären sie nie dagewesen. Es war, als hätten sie nie existiert. Es war, als hätte Louise nie existiert.

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