Als sich jemand außerhalb meiner eigenen kleinen trostenden Dunkelheit räusperte, dachte ich zuerst, es wäre meine Mutter, die mich nach einer langen Nacht weckte. In der ich was weiß ich für Drogen konsumiert und die Halluzinationen meines Lebens gehabt hatte. Sie würde mir gleich ein Moralpredigt halten, mir Hausarrest bis nächstes Jahr Weihnachten aufbrummen, doch das würde eh wieder verfallen, denn wie ich meine Eltern kannte, wären wir bis dahin schon wieder umgezogen und meine Mutter würde mich zwingen neue Kontakte zu knüpfen. Außerdem würde sie mir etwas von dieser himmlischen Flüssigkeit mitbringen, die man Wasser nennt.
Als ich jedoch meine Augen aufschlug und erwartete, in das wütende Gesicht meiner Mutter zu schauen, erschrak ich. Ich blickte in zwei braune Augen, nicht in die grauen meiner Mutter. Eine Person stand über mich gebeugt und musterte mich. Ich wollte aufschreien, doch das einzige, das meiner trockenen kehle entwich, war ein heiseres Quieken. Die braunäugige Person über mir wich ruckartig zurück, während ich sie mit vor Schreck geweiteten Augen anstarrte. Sekunden oder Minuten vergingen, in denen wir uns nur anstarrten, und als meine blanke Panik langsam abklang, inspizierte ich den Jungen mir gegenüber.
Definitiv männlich, braune Augen, ziemlich groß, durchtrainiert, blonde Haare, seltsam gekleidet, Messer und Bogen.
Messer? Bogen? Verdammt...ich war erledigt.
Meine Atmung beschleunigte sich, als die Gedanken in meinem Kopf herumwirbelten und sich schließlich zu einer einzelnen klaren Idee formten. Flucht. Ich musste fliehen. Bevor er mich tötete. Hastig richtete ich mich auf und sah mich möglichst unauffällig nach einem Fluchtweg um.
Doch mein Gegenüber schien meine Absichten erkannt zu haben und streckte mir seine leeren Handflächen entgegen.
„Alles in Ordnung?", fragte er heiser. Er sprach die Worte, als hätte er schon lange nicht mehr gesprochen und müsste sich erst wieder daran gewöhnen, wie man sie aussprach.
Ich verharrte in meiner halb kauernden Position und starrte ihn von unter an. Das ich mich nicht mehr panisch nach einem Fluchtweg umsah schien er für eine Aufforderung sich mir zu nähern aufzufassen. Er machte einen Schritt auf mich zu und streckte eine Hand nach mir aus. Ich wich zurück und funkelte ihn zornig an.
„Fass mich nicht an!", fauchte ich.
Er erstarrte und ließ irritiert die Hand sinken. Es dauerte einige Zeit, bis ich wieder klar denken konnte und ich mich hinstellte, damit ich mir nichtmehr wie ein hilfloses Tier vorkam. Auch wenn ich leicht schwankte und meine Haare wohl aussahen wie ein Vogelnest, versuchte ich selbstsicher zu wirken.
„Wo bin ich?", stellte ich ihm die Frage, die mir auf der Seele brannte.
Mein Hals brannte, ich probierte mich unauffällig zu räuspern, allerdings wurde aus dem Räuspern schnell ein Hustenanfall. Der Junge mir gegenüber betrachtete mich mitleidig.
„Wann hast du das letzte Mal etwas getrunken?", erkundigte er sich.
„Ich habe dich gefragt, wo ich bin.", erwiderte ich zwischen zwei Hustern.
Er antwortete nicht, sondern kniete sich nieder und setzte seinen Köcher ab. Während ich nach Luft ringend an dem nächst bestem Baum lehnte, kramte er, mit grimmiger Miene, im Inneren des Köchers. Irgendwann hörte er auf und zog eine Feldflasche heraus, die er mir hinhielt.
„Wasser."
Ich sah ihn vorwurfsvoll an.
„Ich werde sicher nicht von dir etwas zu trinken annehmen, wer weiß was du da rein gemacht haben könntest.", erklärte ich herablassend.
Ich hustete wieder und verzog das Gesicht, da meine Kopfschmerzen, durch die ruckartigen Bewegungen nicht gerade besser wurden. Er warf mir einen Dein-Ernst-jetzt-Blick zu und hielt mir immer noch die Flasche entgegen. Ich haderte ein bisschen mit mir. Zum Einen könnte da wirklich alles möglich drin sein und, wenn ich ihn auffordern würde es zu trinken konnte ich mir immer noch nicht hundertprozentig sicher sein, dass da nichts drin war. Denn er könnte dagegen immun sein. Vielleicht hatte ich auch einfach in meiner Einsamkeit zu viele Filme gesehen und das ich vermutete, dass er irgendwelche Kräuter oder sonst was gelegentlich einnahm um dagegen abgehärtet zu sein. Zum Anderen wer wusste denn bitte wo die nächste Wasserquelle oder der Nächste Supermarkt war. Und was sollte etwa sollte da drin sein? Übertrieb es meine Paranoia langsam? Nichts von Fremden anzunehmen wird Kindern von früh auf beigebracht, doch was wenn dir dieser jemand etwas so wundervolles wie Wasser anbot?
Ich leckte mir trocken über die Lippen und streckte zögerlich die Hand aus. Als er mir die Flasche in die Hand drückte riss ich sie schnell, bevor er seine Meinung hätte ändern können, an mich. Vorsichtig roch ich an der Flüssigkeit im Inneren der Flasche. Es roch ganz normal. So wie Wasser nun mal eben riecht. Wachsam nahm ich einen kleinen Schluck, doch es schmeckte auch nicht anders als Wasser. Auch wenn ich wusste, dass das Beides nicht komplett sicherstellte, dass das wirklich nur Wasser war, nahm ich einen gierigen Schluck. Das Wasser war kühl und ich atmete erleichtert auf, während ich einen nächsten gierigen Schluck nahm. Eine gefühlte Sekunde später stutzte ich, da kein Wasser mehr aus der Flasche kam. Sie konnte doch nicht schon leer sein. Ich setzte sie ab und musterte den Jungen mir gegenüber. Er lächelte mich an, doch ich erwiderte es nicht.
„Wo bin ich? Bin ich noch in Amerika?", forderte ich ihn auf mir endlich eine Antwort zu geben.
Doch er zog nur stumm die Augenbrauen hoch. Er erhob sich langsam aus seiner knienden Haltung, und obwohl ich auch stand, starrte er mich von oben herab an.
„Kein Danke? Nur Fragen? Kein Hallo?", er blickte verärgert drein.
Plötzlich wurde ich mir der Waffen, die ihn schmückten, wieder sehr bewusst.
„Danke.", antwortete ich zuckersüß.
Ein Grinsen breitete sich über sein Gesicht aus. „Keine Ursache."
Ich atmete tief ein. „Würdest du mir jetzt bitte sagen wo ich bin?", fragte ich immer noch im selben Ton.
„Nein."
Es fühlte sich an, wie wenn ich gegen eine Mauer gelaufen wäre.
„Nein?", rief ich empört aus.
„Nein.", antwortete er stumpf.
„Warum nicht?", mein Herz begann zu rasen. „Du gehörst zu ihnen, nicht?"
Einen Moment stutzte er, dann verhärtete sich seine Miene. „Ich?", er deutete auf sich.
„Ja genau du! Warum sonst würdest du mir nicht sagen wo wir sind? Und schau dich doch mal an, dieses Kostüm ist so lächerlich! Wer steckt hinter diesem ganzen Scheiß?", schrie ich ihn an.
Am liebsten hätte ich mich auf ihn gestürzt und so lange geschüttelt, bis er mir die Wahrheit gesagt hätte. Nun gut, vielleicht hätte ich ihn nicht wirklich geschüttelt, aber das würde nie jemand außer mir erfahren. Allerdings hielt ich mich zurück, die Hände, zitternd vor unterdrückter Wut, zu Fäusten geballt.
Er reagierte auf meinen Wutausbruch mit...starren. Vollkommen perplex sah er mich an, dann verengten sich seine Augen zu Schlitzen.
„Was für ein Kostüm?", fragte er langsam.
Schwer atmend sah ich ihn an: „So, so, dieses Spielchen willst du also Spielen? Gut, dass kann ich auch!"
Erst jetzt schien er zu merken, wie sauer ich war. Er machte eine beschwichtigende Handbewegung und schlenderte einige Schritte. Seine Bewegungen waren flüssig und geschmeidig. Nach einiger Zeit blieb er stehen, drehte sich zu mir um und musterte mich nachdenklich. Ich verfolgte ihn mit den Augen.
„Wir beide scheinen Startschwierigkeiten gehabt zu haben.", stellte er vorsichtig fest. „Vielleicht sollten wir von vorne beginnen."
Fragend blickte er mich an, ich zuckte mit den Schultern. „Wenn du mir sagst, wo ich bin und was der Scheiß soll, gerne." Ich lächelte ihn falsch an.
Er schnaufte, streckte mir jedoch seine Hand entgegen. „Ich bin Koa, es freut mich dich kennenzulernen."
Ich zögerte kurz, doch dann überbrückte ich die paar Meter zwischen uns und schlug in seine Hand ein. „Rebecca."
DU LIEST GERADE
Spiegelwelt
Science FictionStell dir vor, deine Schwester verschwand vor sechs Jahren. Stell dir vor, du wünscht dir nichts sehnlicher, als sie wieder zurück zu haben. Stell dir vor, du begibst dich in dasselbe Haus in dem sie damals verschwand. Stell dir vor, dort passiere...