Keuchend setzte ich mich auf. Ich wollte mir die roten Locken aus dem Gesicht streichen, doch meine Arme wurden zurückgehalten. Ich schüttelte den Kopf, um eine freie Sicht auf meine Situation zu erhaschen. Doch es war stockdunkel um mich herum. Mein Kopf pochte.
Langsam fiel mir wieder ein was geschehen war. Der Fluss, die Hände die mich ins Wasser gezerrt hatten, Castor der mir nicht geholfen hatte. Erneut flackerte Wut in mir auf, doch die konnte ich jetzt nicht gebrauchen.
Ich lebte noch, das war doch gut, oder? Vielleicht bewahrten sie mich aber auch nur in einer Art lebenden Vorratskammer auf. Doch warum war hier unten kein Wasser? Warum konnte ich atmen? Hinter meinem Rücken versuchte ich mit meinen Händen zu tasten. Meine Arme waren an eine glitschige Wand gekettet worden zu sein. Ich zog mit aller Kraft, doch es geschah absolut gar nichts.
Meine Kleidung war komplett durchnässt und klebte wie eine zweite Haut an mir. Ich schloss die Augen und lehnte den Kopf an die Mauer hinter mir. Dann hatte ich jetzt nun mal eben ekeligen Glibber in den Haaren, was sollt's? Ich würde eh bald gefressen werden. Die Angst umschloss meinen Magen wie eine eiserne Faust. Mir wurde übel. Ich kämpfte mit meiner Fantasie, doch durch die Stille und Dunkelheit verlor ich den Kampf und so malte ich mir ausführlich aus, wie sie mich verspeisten, was nicht gerade zu einer Verbesserung meines Befindens führte. Und das alles nur, weil ich mich mit Castor gestritten hatte und er mir nicht hatte helfen wollen.
„Wenn ich das überlebe, bring ich ihn um.", murmelte ich.
Ein schmatzendes Geräusch ließ mich zusammen fahren. Ich hatte nicht daran gedacht, dass hier noch jemand anderes sein könnte. Wie dumm konnte ich nur sein.
Bitte tu mir nichts an, schoss mir durch den Kopf.
„Rebecca?"
„Castor?"
Die Faust um meinen Magen lockerte sich.
„Warum bringst du mich um?"
„Ich dachte du hättest mich ihnen einfach überlassen...weil wir uns gestritten haben.", flüsterte ich.
„So etwas würde ich nie machen.", jegliche Herablassung und Schalk waren aus seiner Stimme gewichen.
Plötzlich schämte ich mich für den Gedanken. Meine Wangen brannten. „Es tut mir leid."
Castor schwieg. „Warum leben wir noch, Castor?"
Er seufzte: „Ich weiß es nicht."
Obwohl ich Castor nicht sah, wusste ich, dass seine Augen wieder einen berechnenden Ausdruck angenommen hatten. „Aber ich glaube nicht, dass es etwas Gutes bedeuten kann."
„Sehr beruhigend.", kommentierte ich. Gänsehaut kroch meine Arme hinauf.
„Vielleicht nicht, aber ehrlich." Er schnalzte mit der Zunge. „Hätte nicht gedacht, dass ich so draufgehe. Von Nixen gefressen, wie ein Fisch. Was für ein erbärmlicher Tod."
„Tut mir Leid.", sagte ich, mir wurde schwer ums Herz, als ich bemerkte, dass es meine Schuld war das Castor starb. Ich würde ihn nicht fressen, aber er war ja schließlich wegen mir hier. Ein Zittern begann sich über meinen gesamten Körper auszubreiten.
„Was tut dir Leid?"
„Das du hier bist, es ist meine Schuld, dass du gefressen wirst-"
„Ist es nicht.", unterbrach Castor mich.
„Doch ist es.", das Zittern meiner Stimme verriet mich. Ich war dankbar gewesen, das es dunkel war und Castor nicht sah, wie das ganze mir zusetzte. Er schien das alles ganz locker zu nehmen, so als würden wir nur vor dem Büro des Direktors sitzen und darauf warten eine Strafe aufgebrummt zu bekommen, weil wir Sport geschwänzt hatten. Nicht so als würden wir gleich gefressen werden.
„Wie schaffst du es so ruhig zu bleiben?"
„Ich hab nichts mehr zu verlieren.", entgegnete er ruhig.
„Doch dein Leben.", empörte ich mich.
Castor machte einen abfälligen Laut und ich war schockiert. Wie konnte jemandem nur so wenig an seinem eigenen Leben liegen?
„Das kann doch nicht dein Ernst sein, Castor! Wie kann dir dein eigenes Leben so wenig wert sein?", rügte ich ihn.
„Ich hab doch meinen Tod quasi selbst gewählt, also ist es doch auch meine eigene Schuld."
So viel Gleichgültigkeit.
„Das kann nicht dein Ernst sein.", wiederholte ich.
„Rebecca, ich hätte dich genauso gut allein hier lassen können, einsam deinem Tod durch Nixen überlassen können."
„Warum hast du es nicht getan?", flüsterte ich.
Castor schwieg so lange, dass ich befürchtete er würde gar nicht mehr antworten. Dann hörte ich ihn Luft holen. „Wenn ich hier bin, kann ich wenigstens versuchen mit ihnen zu verhandeln, ich bezweifle, dass du etwas anderes als Gewimmer zustande gebracht hättest."
„Du musst es schaffen, sonst sind wir verloren und Lou..." Schmerz durchzuckte mich, wenn ich hier starb, dann würde nicht nur ich verloren sein, nein, auch Lou und unsere Eltern. Sie mussten am durchdrehen sein. Ich musste wieder nach Hause kommen, aber nur mit Lou.
Ich musste aufhören zu wimmern, wie Castor gesagt hatte. Ich richtete mich auf, straffte die Schultern und schüttelte die nassen Haare aus dem Gesicht. Auf wenn es niemand sah, ich fühlte mich stärker. Ich würde Lou finden. An diesen Gedanken klammerte ich mich, wie an eine Rettungsleine. Ich durfte einfach nicht aufgeben.
„Wir werden es schaffen.", flüsterte Castor ins Dunkle, nachdem meine Stimme schon lange verklungen war.
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Spiegelwelt
Science FictionStell dir vor, deine Schwester verschwand vor sechs Jahren. Stell dir vor, du wünscht dir nichts sehnlicher, als sie wieder zurück zu haben. Stell dir vor, du begibst dich in dasselbe Haus in dem sie damals verschwand. Stell dir vor, dort passiere...