Das Feuer knisterte, während ich in die Flammen starrte. Der Geruch von geröstetem Fleisch hing in der Luft. Mein Blick glitt zu den beiden Tieren, die uns heute als Nahrung dienen sollten, zwei Kaninchen. Einer der Jungen hatte sie auf einen Stock gespießt, mit dem sie nun langsam über das Feuer gedreht wurden. Als ich in die Augen des einen Nagers blickte, schnürte es mir den Hals zu, schnell wendete ich den Blick ab und musterte verstohlen meine beiden Begleiter. Castors Miene war wie fast immer undurchdringbar, er hatte die Arme abwehrend vor der Brust verschränkt und beobachtete den Dritten im Bunde. Koa schien äußerst vertieft in seine Aufgabe, unser Abendessen zu braten, er hatte konzentriert die Augenbrauen zusammen gekniffen. Castors Blicke schien er vollkommen zu ignorieren. Als er einen zweiten Blick auf sich ruhen spürte, sah er auf und blickte mir direkt in die Augen. Seine Augen waren so intensiv, dass ich mich von ihm abwandte und aufstand.
Ich wusste, dass ich eigentlich wütend auf ihn seien musste, doch wenn er mich so ansah, die Augen so voller Traurigkeit, konnte ich dass nicht lange durchhalten, dessen war ich mir sicher. Und dabei war ich doch im Recht, er hatte mich bestohlen und allein gelassen.
Ich brauchte einige Sekunden, bis ich es schaffte meinen Atem zu beruhigen. Der Wald lag dunkel und unheilvoll vor mir. Der Nebel kringelte sich nur noch zu meinen Füßen, im Laufe des Tages hatte er sich verzogen. Doch ich wurde den Gedanken nicht los, dass sich durch den Nebel etwas geändert hatte. Das Gefühl, dass er nicht zufällig erschienen war, war übermächtig, auch dass ich nicht zufällig Castor über den Haufen gerannt hatte, hatte sich tief in meinem Innerem eingenistet. Es fügte sich doch letzten Endes alles zu perfekt ineinander. Es war als würde jemand im Hintergrund die Fäden ziehen und unseren Weg vorbestimmen. Bei dem Gedanken schauderte ich.
„Rebecca?"
Ich fuhr herum, als ich meinen Namen hörte. Koa stand vor mir, seine Schultern hingen etwas nach unten, als würde etwas schwer auf ihnen lasten.
„Willst du mir mein Foto wiedergeben?"
„Nein und ja.", antwortete er ausweichend.
„Was willst du damit sagen?", ich verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ich würde es dir gerne wiedergeben, aber ich kann noch nicht. Du kannst noch nicht gehen. Es ist zu gefährlich, du weißt zu wenig über das hier.", Koa machte eine ausladende Geste.
„Dann hattest du es die ganze Zeit?", fragte ich bedrohlich leise.
„Ja.", gestand er und blickte beschämt auf seine Schuhe.
„Warum hast du es mir nicht vorher gegeben?", meine Stimme war von Tränen erstickt. Warum ich den Tränen so nahe war, wusste ich nicht. Diese ganze Sache zerrte an meinen Nerven.
„Das habe ich doch schon vorher gesagt, du weißt zu wenig."
„Aber du willst mir ja auch nichts erklären!", anklagend deutete ich mit meiner behandschuhten Hand auf ihn.
Koa blickte mir tief in die Augen: „Ich werde dir alles erklären was du wissen willst."
„Alles?", alle Gefühle waren verraucht, ich fühlte mich schwach, als wäre mit meinen Gefühlen auch meine Kraft verschwunden.
Koa nickte. „Alles."
Prüfend sah ich ihn an, doch ich konnte keinerlei Unehrlichkeit in seinem Gesicht erkennen. Er blickte mich so offen an, dass er nur die Wahrheit sagen konnte.
„Okay, in Ordnung, aber du wirst mir das Foto wiedergeben?", fragte ich ergeben.
Wieder nickte Koa.
Kurz außerhalb von Castors Hörweite blieb Koa noch einmal wie angewurzelt stehen. Den Blick starr auf den Rücken des ahnungslosen Castor gerichtet begann er zu sprechen: „Du hattest nicht vor es mir zu erzählen, oder?"
Zuerst verstand ich nicht, wovon er sprach, doch als er mich wieder ansah und ich den Vorwurf und den Schmerz in seinen Augen sah, stockte mir de Atem. Er sprach davon, dass ich mit Castor in die Stadt gehen würde, doch warum traf ihn das so sehr? Warum machte ihm das etwas aus? Wir kannten uns kaum.
Ich schüttelte den Kopf. „Noch nicht."
Koa nickte, als wäre das völlig klar. „Warum gehst du mit ihm mit? Du kennst ihn doch gar nicht."
Nun war ich diejenige, die zu Castor sah: „Ich werde sie in der Stadt finden, da bin ich mir sicher." Ich wandte den Kopf Koa zu. Er schien, als wolle er etwas sagen, doch er tat es nicht. Ich konnte an seiner Körperhaltung sehen, dass er innerlich mit sich rang, so stand auch ich häufig da. Das letzte mal vor drei Tagen, als mich meine angeblichen Freunde zu dieser Mutprobe überredeten. Und das hier alles war dabei rausgekommen, ich stand in einem Wald, auf dem Weg in eine Stadt in dem das System, sie, regierten. In einer Stadt in der ich hoffte meine verschollene Schwester zu finden, es war sowohl eine der besten Chancen meines Lebens, als auch eine der gruseligsten Dinge die mir passiert waren. „Koa, dich kenne ich auch nicht. Was verschweigst du mir?"
„Nichts." Seine Haltung und seine Miene hatten sich wieder normalisiert. „Kommst du? Castor kann mir beim Fragen beantworten helfen."
Koa beeilte sich wieder zum Feuer zu kommen, weg von mir. Ich blieb wo ich war. Beobachtete sein vom Schein des Feuers angestrahltes Gesicht und versuchte meine Gedanken zu ordnen. Welche Fragen sollte ich zu erst stellen. Nachdem ich so weit war, marschierte ich auf die beiden zu, ich lies mich auf meine Seite des Feuers fallen. Entzückt von der Wärme lächelte ich. Nacheinander sah ich in ihre beiden Gesichter, auf die die Flammen zuckende Schatten warfen. Insgeheim hoffte ich, dass mein Gesicht genauso unheilvoll aussah, als ich mich vorlehnte und sagte: „Ich will alles wissen."
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Spiegelwelt
Science FictionStell dir vor, deine Schwester verschwand vor sechs Jahren. Stell dir vor, du wünscht dir nichts sehnlicher, als sie wieder zurück zu haben. Stell dir vor, du begibst dich in dasselbe Haus in dem sie damals verschwand. Stell dir vor, dort passiere...