Die nächsten paar Tage zogen so ereignislos ins Land, wie es nur möglich war. Eintönig stapften wir durch den Wald. Ich hoffte nur, dass wir nicht die gesamte Zeit im Kreis liefen, für mich sah das nämlich alles gleich aus. Bäume, Sträucher, Bäume, ach und ja, noch mehr Bäume. Ich hoffte nur, dass ich nicht irgendwann an einer Baumphobie oder schlichtweg eine Intoleranz gegenüber Wäldern erkrankte.
Generell war ich kein wirklicher Naturmensch. Ich hasste Mücken, während sie mich liebten, und diese Liebe zeigten sie mir mehr als deutlich durch die unzähligen Stiche die inzwischen auf meinem gesamten Körper anzufinden waren. Meine Hände waren schmutzig und ich wollte eigentlich gar nicht so genau wissen, wie ich roch. Seit Tagen hatten meine Achseln weder Deo noch Seife gesehen.
Castor sprach nur das Nötigste mit mir. Knappe Anweisungen, wo ich das Feuerholz aufstapeln sollte, das ich meine Feldflasche auffüllen sollte oder das ich aufpassen solle, wo ich hinlief. Nicht mehr, nicht weniger. Er sah mir nicht ins Gesicht, sah mich generell nicht an, noch nicht einmal in meine Richtung, wenn er mit mir sprach. Der Kuss hing immer noch zwischen uns, doch keiner wollte ihn wieder zur Sprache bringen. Das war vermutlich auch besser so. Ich konnte nicht riskieren, dass Castor mich hier draußen allein lies, bloß weil ich ihn mit diesem Thema gereizt hatte. Und er war ziemlich unberechenbar. Auch wenn er sich für mich bei den Nixen in Gefahr gebracht hatte, wusste ich ihn immer noch nicht einzuschätzen.
Wir saßen einander gegenüber am Feuer und schauten uns in der vor Hitze flimmernden Luft angestrengt nicht an. Irgendwie peinlich. Castor wendete sich als Erster von unserem Nicht-Blickkontakt ab und begann in seiner Tasche zu kramen. Über das Feuer hinweg warf er mir eine Decke zu.
„Schlaf jetzt.", wies er mich an. Mein Gegenüber drehte sich um und rollte sich zusammen, um zu schlafen. Ich betrachtete die Decke und musste trotz Unwillen lächeln, auch während dieser seltsamen Situation überließ er mir seine Decke. Die Nächte in diesem Wald waren kalt und nass. Dunkel und unheimlich. Ich zog mir meine Kapuze tiefer ins Gesicht und rollte mich in die Wolldecke ein. Doch während ich so am Feuer lag, wollte der Schlaf nicht kommen. Zu viele Ängste und Sorgen hielten mich wach.
Was meine Eltern wohl gerade taten? War es Zuhause auch Nacht? Lagen sie in ihrem Bett, meine Mutter aufgrund der unzähligen Beruhigungsmittel, die sie einwarf friedlich schlummernd und mein Vater an die leeren Wände starrend? Oder saß er in dem Sessel im Wohnzimmer, in dem er auch nach Lous Verschwinden Tag und Nacht saß? Oder waren sie schon wieder umgezogen und hatten auch mich in der Vergangenheit, in Sunnyville gelassen?
Keine dieser Optionen gefielen mir. Ich wollte nicht, dass sie litten, wollte aber auch nicht, dass ich für sie zu einem Gespenst der Vergangenheit mutierte
Und was war, wenn ich Lou nicht fand? Oder wenn ich sie fand und sie nicht mit mir kommen wollte? Oder sie sich erst gar nicht an mich erinnern konnte? Wenn sie tot...nein, den Gedanken konnte ich nicht zu Ende denken, sie alleschmerzten, auch dieser. Ich hätte mich in den letzten Jahren an diesen scharfen Schmerz in meinem Inneren gewöhnen können, doch das hatte ich nicht. An manche Schmerzen konnte man sich vermutlich nie gewöhnen.
Und was würde passieren, wenn ich endlich bei der Konsulin angelangt war? Ich war mir nicht sicher, ob ich es wirklich schaffen würde sie zu töten, welchen Preis musste ich dafür bezahlen? War es überhaupt nötig sie zu töten? Ich brauchte einen Plan und zwar einen Guten. Und dabei konnte ich Hilfe benötigen. Ich sah zum schlafenden Castor hinüber.
Auf einmal drängte sich der Anblick von Koa in meine Gedanken. Seit gefühlten Ewigkeiten hatte ich keinen Gedanken mehr an diesen Dieb verschwendet. Doch vor meinem inneren Auge erschien der mitleiderregende Hundeblick, mit dem er mich ansah, bevor ich mein Foto zurückforderte und mich dafür entschied mit Castor zu gehen. Unwillkürlich bekam ich ein schlechtes Gewissen und das obwohl ich nichts Falsches getan hatte. Was er wohl gerade tat?
Warum fragte ich mich das? Konnte mir doch egal sein, was dieser Verräter gerade tat. Hoffentlich hatten sie ihn geschnappt. Mit Gewalt verdrängte ich das Bild von ihm aus meinen Gedanken
Doch Anstelle dieses trat ein absurder Gedanke, denn ich trotzdem nicht loswurde.
Was wenn Lou die Konsulin war?
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Spiegelwelt
Science FictionStell dir vor, deine Schwester verschwand vor sechs Jahren. Stell dir vor, du wünscht dir nichts sehnlicher, als sie wieder zurück zu haben. Stell dir vor, du begibst dich in dasselbe Haus in dem sie damals verschwand. Stell dir vor, dort passiere...