Ein Geräusch zerriss die Stille.
„Castor-", flüsterte ich.
„Ja ich habe es auch gehört.", unterbrach er mich ebenfalls flüsternd.
„Was-"
„Shh!"
Angestrengt lauschte ich, um mir meine Frage selbst zu beantworten. Doch die Stille war wieder so undurchdringlich wie die letzten Stunden. Das einzige Geräusch war unser Atmen der von den Wänden leise wiederhallte. Gerade war ich mir sicher, dass das nur Einbildung gewesen war, als es erneut erklang. Es war eine Mischung aus schleifen und plätschern, etwas was ich noch nie zuvor gehört hatte. Und hoffentlich nie wieder hören würde. Es schickte mir Gänsehaut die Arme hinauf, auch wenn es nicht bedrohlich klang, machte mir die Ungewissheit, was für ein Wesen solche Geräusche von sich gab, Angst.
Kurze Zeit später, in der ich nur ängstlich mit weit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit gestarrt hatte, alle schmerzenden Muskeln meines Körpers angespannt, schwang die Tür krachend auf.
Eine schlanke Gestalt erschien im Gegenlicht auf der anderen Seite des Raumes. Ich quiekte erschrocken auf. Am liebsten wäre ich mit der modernden Wand verschmolzen. Das Licht brannte nach den Stunden völliger Dunkelheit in meinen Augen, doch ich konnte sie nicht schließen. Die Gestalte bewegte ihren Kopf, wobei ein Klimpern den Raum erfühlte.
Mit wenigen Schritten durchquerte die Gestalt den Raum, wobei sie ein eigenartig schleifendes Geräusch machte, was nicht zu ihrem anmutigen Gang passte. Nun stand sie vor mir und ich konnte das bläuliche Schillern ihrer Haut erkennen.
Sie ist eine der Nixen, schoss es mir durch den Kopf.
Im nächsten Moment packte sie grob meine Haare, was mich erschrocken aufkreischen ließ. Mit der anderen Hand machte sie sich an meinen Fesseln zu schaffen.
„Hey! Lass sie in Ruhe!", schrie Castor auf der anderen Zellenseite.
Doch die Nixe fuhr völlig unbeeindruckt mit ihrer Tätigkeit fort. Als ich versuchte meinen Kopf von ihm wegzuziehen, riss sie mit einer schrecklichen Nebensächlichkeit so stark an meinen Haaren das mir die Tränen in die Augen schossen.
„Lass mich los.", stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Das Lachen der Nixe klang wie ein plätschernder Bach. Und sie zog fester an meinen Haaren und als meine Fesseln aufsprangen, riss sie mich an ihnen hoch.
Castor tobte hinter uns, doch sie würdigte ihn keines Blickes, als sie mich auf die Tür zuzog. Panisch blickte ich Castor an, dem die Hilflosigkeit ins Gesicht geschrieben stand. Ich würde sterben, dass wussten wir beide, doch wir hatten anscheinend beide gedacht, dass es noch einen Ausweg geben würde. Doch es musste einen Ausweg geben!
Ich brachte ein Lächeln zustande, kurz bevor mich die Nixe aus der Tür zog. Doch war ich mir nicht wirklich sicher, ob ich es als Abschied oder als Hoffnungsschimmer gemeint hatte. Vielleicht etwas von beidem.
Anscheinend hatte sich das Wesen es sich zur Lebendsaufgabe gemacht mir die Haare auszureißen. Denn es ging mit einer unglaublichen Geschwindigkeit voran, während ich hinter ihm her stolperte und fluchte, wenn ich kurz vor dem Fallen war. Und es schien ihm eine unsagbare Freude zu machen mir Schmerzen zuzufügen.
Gelegentlich konnte ich einen Blick auf die Füße der Nixe erhaschen, zwischen ihren Zehen blitzten Schwimmhäute auf.
„Wohin gehen wir?", ächzte ich, meine Frage wurde mit einem erneutem reißen an meinen Haaren belohnt.
Gut dann eben nicht.
Plötzlich blieb sie stehen, ließ meine Haare los und begann an den Steinen der Mauer neben ihr herumzufummeln. Ich richtete mich auf und konnte sie zum ersten Mal betrachten.
Abgesehen von ihrer blau schimmernden Haut und der überraschenden Tatsache, dass sie Beine anstatt einer Flosse besaß, flossen die Haare der Nixe in sanften silberweißen Wellen über ihren Rücken. Ihr Haar war an manchen Stellen zu kleinen Zöpfchen geflochten worden, die an den Enden von kleinen Muscheln oder Perlen zusammengehalten wurden.
Um die Hüften der Frau lag locker ein transparenter grüner Stoff, ebenfalls wickelte sich eine Kordel auf die Perlen aufgefädelt worden waren um sie. Ein knirschendes Geräusch erklang, als sie einen großen grauen Stein aus der Wand neben uns zog und auf den feuchten Boden legte. Schwungvoll drehte sie sich zu mir um, wobei die Muscheln in ihren Haaren klimperten.
Ihre Hand schoss vor und packte mich am Kinn.
Wow, mal was ganz Neues.
An der Innenseite ihres linken Handgelenks blitzte es silbern auf, während sie mein Gesicht zusammendrückte. Herablassung traf auf blinde Wut, als wir uns anblickten. Sie öffnete den Mund und begann in einer Sprache zu sprechen, die ich nicht kannte. Als mein Gesichtsausdruck in Verwirrung umschlug, wurde ihrer noch herablassender und sie seufzte.
„Ich sagte, dass du mir deine Sachen von Wert geben sollst.", zischte sie. Die Sprache klang fremd auf ihrer Zunge.
Ungläubig schaute ich sie an. „Seh' ich so aus?"
Verdammt, halt den Mund.
Ihre Hand landete klatschend auf meiner Wange und hinterließ eine brennende Stelle. Zorn flammte in mir auf. Noch nie hatte mich jemand wirklich geschlagen.
„Scheiße, geht's noch?", fluchte ich.
Doch sie antwortete nicht und begann grob meine Kleider abzutasten. Ich schupste sie mit all meiner Kraft zurück.
„Fass mich nicht an!", fauchte ich.
In einer einzigen flüssigen Bewegung überbrückte die Nixe den Abstand zwischen uns, schloss ihre Linke um meinen Hals, drückte mich an die Wand und beugte sich zu meinem Ohr vor.
„Entweder du lässt mich gewähren und dir bleibt noch Zeit in deinem jämmerlichen Leben, oder ich töte dich hier an Ort und Stelle und komme so an deine Sachen von Wert. Du nützt tot genauso viel wie lebend, dich am Leben zu lassen wäre einzig und allein eine Gefälligkeit meinerseits.", flüsterte sie mir mit ihrer plätschernden Stimme zu.
Ich atmete ein paar Mal tief durch, zum einen, um den Schrecken der Todesdrohung etwas zu verarbeiten, zum anderen, um dem Drang zu wiederstehen ihr meinen Kopf ins Gesicht zu schmettern.
„Na schön." Ich atmete zitternd aus. „Nimm dir meine Sachen von Wert, oder wie du sie auch sonst nennen willst."
Sie fuhr mit ihrem groben Abtasten fort. Kurz darauf zerrte sie mein nutzloses Handy und das zusammengefaltete und durchnässte Foto von Lou hervor. Verwirrt musterte sie das Handy, klopfte darauf herum, doch der Bildschirm blieb schwarz. Und somit schien es ihr nutzlos zu sein, weswegen sie es auf den Boden schmetterte. Trotz allem was ich durchgemacht hatte, verzog ich das Gesicht als ich mein einstiges Heiligtum auf dem Boden zersplittern hörte.
Diese Nixe hatte echt eine Mordskraft.
Sie sah mich an, als frage sie sich, ob ich noch ganz dicht war einen so nutzlosen Gegenstand bei mir zu tragen, während sie das Foto auseinander faltete. Ihr Blick huschte kurz zu dem Stück Papier in ihrer Hand, dann gelangweilt wieder zu mir, ehe sie es mit geweiteten Augen erneut betrachtete.
„Wer ist das?", forderte sie eine Antwort.
Ich antwortete nicht.
„Woher hast du das?" Sie beugte sich drohend ein Stück vor.
Eisern schwieg ich weiter.
Die Frau sah noch einmal auf Lou, dann drehte sie sich um.
Das Reißen von Papier hallte durch den Gang, dicht gefolgt von einem Schrei meinerseits.
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Spiegelwelt
Science FictionStell dir vor, deine Schwester verschwand vor sechs Jahren. Stell dir vor, du wünscht dir nichts sehnlicher, als sie wieder zurück zu haben. Stell dir vor, du begibst dich in dasselbe Haus in dem sie damals verschwand. Stell dir vor, dort passiere...