Die Konsulin blickte den Mann ihr gegenüber an. Er trug einen weißen Kittel. Weiß, was auch sonst? Es war eine reine, eine unschuldige Farbe. Unbefleckt, gar perfekt, ihrem Erachten nach. Doch war es in seinem Falle nicht ungewöhnlich, dass er weiß trug. Das taten Menschen wie er fast überall und doch war es hier etwas Besonderes. Nicht viele durften in ihrer Welt, auf jeden Fall in der perfekten, die sie zu erschaffen versuchte, weiß tragen. Nur die hochrangigen, die Wichtigen und ihr treu Untergebenen, war es gestattet diese Farbe zu tragen. Und doch gab es tatsächlich Menschen, die der Meinung waren, dass weiß keine Farbe sei, was die Konsulin unter keinen Umständen hätte nachvollziehen können. Verärgert über sich selbst, ballte sie ihre rissigen Hände zu Fäusten. Sie war schon wieder abgeschweift, wie es ihr in letzter Zeit so häufig geschah.
Sie war unkonzentriert und fahrlässig. Kein bisschen sie selbst. Noch nicht einmal heute Morgen hatte sie sich auf die Hinrichtung konzentrieren, geschweige denn darüber amüsieren oder freuen können.
Schon wieder hatten sich ihre Gedanken verselbstständigt. Frustriert versuchte sich die Konsulin auf den Arzt, der getrennt durch ihren Schreibtisch, ihr gegenüber saß zu konzentrieren.
„Nehmen sie die Beruhigungsmittel, die ich Ihnen verschrieben habe?", fragte er mit einer tiefen Stimme und blickte sie prüfend über den Rand seiner Brille hinweg an.
„Natürlich."
Lügner!
Anhand ihrer Stimme hätte man niemals erahnen können, dass die Konsulin log. Hätte der Arzt jedoch einen Blick in ihren Mülleimer geworfen, hätte er die Unmengen, zwischen Papier fein säuberlich versteckten zerkrümelte Überreste der Pillen gefunden.
„Und Ihnen geht es gut? Keine Nebenwirkungen? Kopfschmerzen? Übelkeit? Konzentrationsstörungen? Sonst irgendetwas ungewöhnlich? Vielleicht Angstzustände, obwohl, dass dürfte eigentlich nicht auftreten, ansonsten müsste ich die Dosis erhöhen. Haben sie Angstzustände?"
Ein weiterer prüfender Blick.
Was glaubte dieser Arzt eigentlich, wer er war? Er konnte sich doch nicht einfach so anmaßen so etwas zu fragen!
Die Konsulin ballte ihre Fäuste unter dem Tisch fester. Die Haut auf ihrem Handrücken begann zu spannen, als wäre sie zu klein geworden, bis sie schließlich aufriss. Blut sickerte in ihren weißen Overall. Nur ein bisschen, aber es war auf dem weißen Stoff deutlich zu erkennen. Doch die Konsulin bemerkte nicht, dass Blut an ihr klebte.
„Nein natürlich nicht.", antwortete sie ruhig und setzte ein Lächeln auf.
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Spiegelwelt
Ficção CientíficaStell dir vor, deine Schwester verschwand vor sechs Jahren. Stell dir vor, du wünscht dir nichts sehnlicher, als sie wieder zurück zu haben. Stell dir vor, du begibst dich in dasselbe Haus in dem sie damals verschwand. Stell dir vor, dort passiere...