2. Kapitel

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Schockiert betrachtete ich das Bild zu meinen Füßen. Es konnte unmöglich sein, dass hier ein Bild meiner Schwester stand. Doch auch nachdem ich es aufgehoben und genauer inspiziert hatte, blieben keine Zweifel. Auf diesem Bild handelte es sich tatsächlich um Lou. Derartig angewidert fing ich an zu würgen. Ich musste schleunigst hier weg, mit einem Mal fühlte ich mich seltsam beobachtet. Schnell knickte ich das Bild in meinen Händen und schob es mir in die Shortstasche. Meine Beine rannten wie von selbst los. Weg nur noch weg, von diesem kranken Haus. Ich musste nach Hause. Zur Polizei. Warum hatten sie dieses Bild damals nicht gefunden? Oder war nach ihnen noch einmal wieder jemand hier gewesen und hatte das Bild aufgestellt? Wer war denn so krank? Schlitternd kam ich vor der Eingangstür zum Stehen.

Ich packte den Türgriff und schrie wieder auf. Ein weiteres Mal lag er glühend heiß in meiner Hand, doch dieses Mal lies ich nicht los, rüttelte mit aller Kraft. Ich musste hier raus. Aber der Griff wurde immer heißer und heißer, bis ich ihn schließlich loslassen musste. Tränen standen mir in den Augen, meine Hand brannte wie Feuer und ich hatte das Gefühl, als dass ich mich jeden Moment übergeben könnte. Ich trat mit voller Wucht gegen die Tür, in der Hoffnung sie würde nachgeben. Doch sie bewegte sich keinen Millimeter, das einzige, was es mir gebracht hatte war ein schmerzender Fuß.

„Scheiße!", schrie ich.

Ich rannte in den nächsten Raum, nicht wieder ins Wohnzimmer. Freiwillig würde ich da nie wieder einen Fuß reinsetzen. Dieses Mal hatte ich kein Auge für die Möbel, für die Tapete, für irgendwas, außer dem Fenster gegenüber der Tür. Mit einigen langen Schritten durchquerte ich das Zimmer. Dann, als ich vor meinem Ausweg aus der ganzen Misere stand, zog ich meine Hand unter meinen Pullover. Mit meiner jetzt geschützten Faust schlug ich gegen das Fenster. Doch auch hier bewegte sich nichts. Ich versuchte es erneut. Auch nichts. In der Zuversicht einen nicht gleich ersichtlichen Fenstergriff zu finden, tastete ich den Rahmen entlang. Ein Schatten am Rande meines Gesichtsfeldes lies mich herumwirbeln. Doch ich war allein. Auch wenn ich mich nicht so fühlte. Ich hatte das Gefühl als würde jemand direkt neben mir stehen und mich anglotzen. Doch da war niemand. Ich raufte mir die Haare.

„Du wirst schon nicht verrückt.", versuchte ich mich flüsternd zu beruhigen. Jedoch war der Drang mich in die nächst beste Ecke zu setzten, anzufangen hin und her zu schaukeln und mich weiter selbst davon zu überzeugen fast überwältigend. Wenn doch nur jemand wüsste, was hier drinnen abging, dann würden sie mir jemanden zur Hilfe schicken...

In genau diesem Moment, wurde mir das vertraute Gewicht in meiner Gesäßtasche bewusst. Ein zu vertrautes Gewicht, als dass ich es normalerweise merken würde. Vor Freude schrie ich auf, als ich mein Handy in der Hand hielt. Ich war gerettet.

Schnell wählte ich die Nummer meiner Mutter. Es kam mir vor, als würde es Jahrzehnte dauern, doch nach dem vierten Klingeln nahm sie ab.

„Was ist denn? Ich habe gerade eine wichtige Besprechung, das weißt du doch.", begrüßte meine Mutter mich entnervt.

„Mama?" Erleichterung durchflutete mich, als ich ihre Stimme hörte. „Ich- ich bin so blöd. Ich bin in dem Haus und-"

„Du bist was? In welchem Haus? Schatz, wo bist du?", die Panik in ihrer Stimme verriet, dass meine Mutter sofort wusste, welches Haus ich meinte.

„Ich komme nicht mehr raus. Es ist wie verhext. Die Tür geht nicht auf und die Fenster lassen sich auch nicht einschlagen, geschweige denn öffnen. Und-", ich schluckte schwer und flüsterte meine nächsten Worte ins Telefon. „ich habe ein Bild von Lou gefunden."

Am anderen Ende der Leitung wurde es still.

„Bist du sicher?", fragte meine Mutter erstickt.

„Ja."

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