9. Kapitel

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Das Ding auf dem ich lag atmete...schnell rappelte ich mich auf und blickte in ein mir unbekanntes Gesicht. Blaugrüne Augen beobachteten mich wachsam. Diese wurden allerdings zum Teil von braunen Locken verdeckt. Der Junge legte seinen Kopf schief und betrachtete mich, als wäre ich ein besonders interessantes Museumsobjekt, jedoch musterte ich ihn auch nicht unauffällig. Er war sicher zwei, drei Jahre älter als ich und eineinhalb Köpfe größer. Warum traf ich in diesem verdammten Wald nur auf Typen? Wenn ich nicht in dieser Parallelwelt festsitzen würde, würde ich mich sicher nicht beschweren, jedoch hätte ich nicht so große Angst davor von einer Frau umgebracht zu werden, als bei diesen ganzen Typen. Allerdings war er durchaus attraktiv, andererseits hatte ich das auch von Koa gedacht, also...

Er erhob sich und sah mich weiterhin an. Sein Blick war ernst und leicht zweifelnd. Er trug Handschuhe, dieser Glückspilz. Neidisch betrachtete ich seinen Schal und die Mütze in seinen Händen. Seine Kleidung glich in etwa der von Koa, jedoch war er auf den ersten Blick unbewaffnet. Ich entspannte mich ein wenig. Langsam wich das Adrenalin aus meinem Blut und ich begann wieder zu frieren. Wie um mich vor der Kälte zu schützen verschränkte ich die Arme vor der Brust und sah ihn abwartend an.

„Kalt?", fragte er nach einiger Zeit belustigt, mit seiner tiefen Stimme.

Ich zog bloß die Augenbrauen hoch und setzte mich wieder in Bewegung, nur, weil gerade kein Pfeilhagel auf mich nieder ging hieß es nicht, dass dieser Psycho nicht mehr hinter mir her war. Vielleicht war er auch dieser Psycho gewesen. Doch war das möglich? Wie hätte ich dann in ihn reinlaufen können? Doch das war unwichtig, ich schüttelte den Kopf. Allerdings schien er zu denken, dass ich ihn damit meinte, denn gerade, als ich umrundete hielt er mich am Arm fest.

„Warum schüttelst du den Kopf? Hätte ich mich erst verbeugen müssen, bevor ich dich anspreche?", fragte er und neigte den Kopf, sodass seine Haare zur anderen Seite fielen und den Blick auf seine Sommersprossen frei gaben.

„Lass mich los!", erwiderte ich nur empört und versuchte ihm meinen Arm zu entziehen. Doch sein Griff wurde fester. Wütend starrte ich ihn an, er schien immer noch auf eine Antwort zu warten.

„Lass sie los, Castor!", ertönte eine Stimme hinter mir. Der Junge, anscheinend hieß er Castor, hob seinen Blick von mir und sah die Person hinter mir an. Etwas blitzte in seinen Augen auf, doch es war zu schnell verschwunden, als das ich es hätte deuten können. Doch er hielt mich weiter fest. „Lass. Sie. Los."

Jetzt blickte auch ich über die Schulter und erkannte Koa im Halbdunkeln zwischen den Bäumen. Rasende Wut flammte in mir auf, war er mir gefolgt? Mein Atem ging schwerer, als ich ihn ansah, am liebsten würde ich mich sofort auf ihn stürzen und eine reinhauen. Provozierend langsam löste Castor einen Finger nach dem anderen von meinem Oberarm und schaute Koa an. Kaum hatte er mich losgelassen stürmte ich auf diesen zu, der es allerdings falsch zu interpretieren schien. Er breitete die Arme aus und lächelte mich an. Wie lange er wohl noch lächeln würde? Als ich bei ihm angekommen war, wollte er mich gerade in seine Arme schließen, doch ich war schneller, ich riss mein Knie hoch und ihm nächsten Moment lag Koa keuchend auf dem Boden. Hinter mir lachte Castor laut auf: „Wow, Koa, sie scheint echt froh zu sein dich zu sehen."

Vielleicht hatte ich gerade mit meinem Tritt etwas überreagiert, aber ich glaubte nicht, dass eine Ohrfeige mir so eine Genugtuung gegeben hätte. „Wo ist das Foto?!", schrie ich ihn an, obwohl er sich noch immer wimmernd am Boden wand. Als er nicht antwortete machte ich einen Schritt auf ihn zu. „In meinem Köcher, nimm...nimm es dir.", keuchte er.

„Ich hätte nicht auf deine Einverständniserklärung gewartete.", zischte ich. Sein Köcher lag gut einen halben Meter von ihm entfernt auf dem Boden, ich machte kurzen Prozess und kippte ihn einfach aus. Doch außer seiner Feldflasche, einiger Pfeilen und einem weiteren Apfel fiel nichts heraus. Ich schüttelte den Köcher erneut, doch nichts Weiteres fiel heraus. Mein Körper begann vor unterdrückter Wut zu zittern: „Wo. Ist. Es?" Ich spürte Castors Blick auf mir, der das Geschehen aus einigen Metern Entfernung beobachtete. Mit vor Zorn sprühenden Augen wandte ich mich Koa zu, der sich gerade auf die Knie hoch gekämpft hatte. Er schien immer noch extreme Schmerzen zu haben, doch das kümmerte mich genauso wenig, wie welche Baumart uns umringte. Ich schnappte mir einen Pfeil und kam damit auf ihn zu. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen. Es war mir egal, ob ich überreagierte oder nicht, ohne dieses Foto war die Chance Lou zu finden gering. Zu gering.

„I-ich w-weiß nicht, wo das Foto ist, ich habe es in den Köcher getan.", stammelte Koa und ließ den Pfeil in meinen Fingern nicht aus den Augen.

„Warum hast du es dir überhaupt genommen? Es gehört mir!", fauchte ich. Eigentlich hatte ich es ja auch bloß gefunden, doch das brauchte er nicht zu wissen.

„Das finde ich eine sehr berechtigte Frage.", meldete sich Castor zu Wort.

Ich wirbelte herum: „Malt den Mund!"

Beschwichtigend hob er die Hände. Und betrachtete mich wieder Stirn runzelnd. Gerade als ich mich wieder Koa zuwenden wollte, schlossen sich zwei Arme um meinen Brustkorb und fixierten so meine Arme an meinen Seiten.

„Wärst du so herzallerliebst Castor, und würdest du unserer liebenswürdigen Rebecca hier, den Pfeil entwenden?", fragte Koa, während er sprach, spürte ich die Vibration seines Brustkorbs an meinem Rücken. Wütend funkelte ich meine neue Bekanntschaft an, die glucksend auf uns zu kam, mit einem schnellen Ruck riss er mir den Pfeil aus der Hand, er steckte ihn zurück in den Köcher, dann wandte er sich wieder zu mir: „Es ist mir eine Freude deine Bekanntschaft zu machen, Rebecca." Erst sah er mir in die Augen, dann drehte er sich um.

„Wir sollten los.", meinte er, mit in den Nacken gelegten Kopf.

Koa ließ mich los, wütend stampfte ich los und pustete mir eine Haarsträhne aus den Augen.

„Ganz schön Feuer, die Kleine, nicht?", hörte ich Koa, der auf dem Boden kniete, um seine Sachen aufzusammeln, flüstern. Ich wirbelte herum, wobei meine Haare wie Feuer um meinen Kopf peitschten.

„Nenn michnicht so!", fauchte ich. Castor schien mich mit seinem für ihn normalenGesichtsausdruck zu mustern. Zweifelnd und ernst. Ich schüttelte verächtlichden Kopf und bedachte beide mit meinem grausamsten Lächeln, dass ich zustande.

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