Kapitel 20: verzweifeltes Geschrei
Sabine saß vor ihrem Chef am Schreibtisch und hörte die energische Stimme des Oberstarztes, der sie mit eindringlichem Blick ansah.
„Sie müssen sich doch wohl denken, dass... Dass sie alles machen können, was sie wollen...", fuhr Oberstarzt Kettwig die Oberstabsärztin an und Sabine erklärte ihrem Chef kurz ihr Verhalten.
„Ich kann im Moment einfach nicht zu Hause herumsitzen. So ganz alleine... Ohne meinen Jens... Sie wissen doch; ohne ihn bin ich nur ein halber Mensch..."
„Ich... Ich habe schon sehr oft Verständnis für ihre Situation gezeigt. Ich habe nichts gesagt, als sie Milena ab und an mit zum Dienst gebracht haben. Ich habe ihre Beziehung mit Major Blank akzeptiert und sie beide vor Oberst Brandt verteidigt, obwohl der Kommodore... den Herrn Major versetzen wollte. ... Aber jetzt... Jetzt gehen sie wirklich langsam zu weit, Frau Dr. Petersen. ... Ich habe sie gestern in den Urlaub geschickt. Sie sind momentan nicht arbeitsfähig; Major Blank liegt seit gestern im Krankenhaus. Sie wissen noch nicht, was mit ihm los ist..."
„Das... Herr Oberstarzt, ich... Ich habe ihnen doch schon gestern bei unserem Gespräch gesagt, dass ich im Moment nicht zu Hause bleiben kann. Dass ich verrückt werde, wenn ich nichts tun kann. Der Zusammenbruch von Jens gestern... Das hat mir den Rest gegeben; ich würde am liebsten die Zeit zurückdrehen und... Bei ihm sein... Aber ich kann es nicht. Ich kann das alles einfach nicht wieder rückgängig machen... So gerne ich es tun würde..."
„Aber... Sie können als Notärztin nicht dauernd an ihren Lebensgefährten denken. ... Ich meine es doch nicht böse mit ihnen... Aber es wäre trotzdem besser, wenn sie sich jetzt um ihren Lebensgefährten und ihre kleine Tochter kümmern... Wo ist die Kleine eigentlich?", erkundigte sich Oberstarzt Kettwig, worauf Sabine antwortete: „Ich habe die Kleine heute Morgen in den Kindergarten gebracht. Milena ging es heute Früh doch schon wieder viel besser, gestern hatte sie wohl nur wegen der Aufregung ein wenig... Probleme."
„Und sie haben sicherlich die Kleine... in den Kindergarten gebracht, nachdem sie sich ihre Tochter noch einmal genau angesehen haben? Oder?" „Ja... Ja, natürlich. Nach dem Aufstehen habe ich noch mal die Temperatur der Kleinen kontrolliert; da war alles in Ordnung. Das Fieber war runter. Denken sie, ich hätte Milena mit Fieber in den Kindergarten gebracht?" Ein unterschwellig ernster Ton mischte sich in die Aussage der jungen Notärztin und sie schüttelte entschieden den Kopf. „Milena hätte ich doch, wenn sie heute Morgen bei der Kontrolle nur ein klein wenig erhöhte Temperatur gehabt hätte, niemals in den Kindergarten gebracht. Halten sie mich etwa für eine so gewissenlose Mutter, die ihre Arbeit über ihr Kind stellt?"
„Ich halte sie nicht für eine gewissenlose Mutter, Frau Oberstabsarzt. Aber ich denke, dass es von ihnen... eine falsche Entscheidung war... Milena in die Kita zu bringen. Gestern kam mir ihre Kleine so vor, als würde sie noch etwas ausbrüten. Irgendeinen grippalen Infekt oder..."
Die Unterhaltung von Sabine und ihrem Chef wurde jäh beendet, als der Einsatzalarm ertönte und die Notärztin in Richtung Hubschrauber davon sauste.Auf und ablaufend vertrieb sich Thomas im Uniklinikum in Eppendorf noch immer die Wartezeit, während seine Stieftochter Fiona wegen der Nachblutung notoperiert werden musste. Jens saß währenddessen, aufgrund der Probleme mit seinem Herzen, teilnahmslos auf der Stuhlreihe vor dem Operationsbereich und streichelte Fionas Halbbruder Jonas beruhigend über die Stirn.
„Die Ärzte müssen uns doch endlich... sagen können, was mit Fiona los ist... Warum die Kleine... Ich habe solche Angst, dass sie... Dass sie das Baby doch verliert... Maria hat mir vorhin im Hotel die ganze verrückte Geschichte erzählt. Dass sie... Christian gebeten hatte, mit Medikamenten bei Fiona eine Fehlgeburt hervor zu rufen... Sie wollte das Baby ihrer eigenen Tochter töten..."
„Ausgerechnet Maria? Sie hat doch selber ein Baby verloren. Fionas kleine Schwester... Wir haben uns so gefreut, als Maria erzählte, dass Fiona eine Schwester bekommen würde. Ich habe mich auf das Baby gefreut; selbst meine Mutter konnte an nichts anderes mehr denken, als an ihre kleine Enkeltochter. ... Und dann... Dann hatte... Dann hatte Maria plötzlich frühzeitige Wehen; drei Wochen kam die Kleine zu früh. Maria hat unter der Geburt unseres zweiten gemeinsamen Kindes mit den Wehen so sehr gekämpft, dass sie von Minute zu Minute immer schwächer wurde... Das Baby... kam tot zur Welt."
„Dann verstehe ich nicht, wie... Wie Maria auf die Idee kommt, dass... Dass Fiona das Baby nicht bekommen sollte. Dass sie sogar dafür sorgen lassen will, dass... Dass ihrer Tochter... eine Fehlgeburt durchmachen muss..." Ungläubig schüttelte Thomas den Kopf und sah auf Jonas, der mit seinem Kopf auf Jens' Schoß lag. „Das macht Jonas übrigens sonst nie. Bei Fremden hat er meistens Angst, besonders bei fremden Männern. ... Da können sie sich etwas darauf einbilden, Herr Blank. Dass er ihnen gleich so vertraut und sogar auf ihrem Schoß einschläft..."
„Wollen wir nicht dieses ganze Gesieze einfach lassen?", schlug Jens plötzlich vor und Thomas setzte sich neben Jens, während er seinen Sohn betrachtete.
„Meinen sie wirklich, Herr Blank?" „Ja, natürlich. Wir beide machen uns große Sorgen um Fiona. Und... Obwohl ich sie damals hätte umbringen können... Dafür, dass sie mir meine Frau ausgespannt haben... Verbindet uns gerade die Sorge um die Kleine so sehr."
„Eine gute Idee... Ich bin Thomas..." - „Jens..." Die beiden lächelten sich freundlich an und in dem Moment öffnete sich die Automatiktür des OP-Bereiches.
„Herr Doktor... Was... Was ist mit Fiona?", erkundigte sich Jens sofort nach seiner Tochter. „Kann ich zu ihr? Was ist mit Fionas Baby?"
„Machen sie sich keine Sorgen, Herr Blank. Wir hatten intraoperativ bei ihrer Tochter alles unter Kontrolle. Sie brauchen sich keine Gedanken um Fiona zu machen. ... Die Nachblutung... allerdings... hat Fiona sehr geschwächt; sie hat viel Blut verloren. Wir haben ihre Tochter jetzt erst einmal noch in der Narkose belassen, um ihren Kreislauf zu schonen. Und sie bekommt zusätzlich zur Stabilisierung des Kreislaufs noch eine Bluttransfusion. Also erschrecken sie bitte nicht, wenn sie zu ihrer Tochter gehen... Natürlich können sie jederzeit gerne zu Fiona auf die Station; sie liegt nur zwei Zimmer von ihnen entfernt. Ich zeige ihnen den Weg... Allerdings... im Augenblick sollten sie vor allem auch im Hinblick auf ihre eigene Gesundheit... nur wenige Besuche bei ihrer Tochter in ihren Tag einplanen... Sie beide brauchen noch sehr viel Ruhe..."
„Das ist mir völlig egal. Wenn ich nur weiß, wie es Fiona geht... Kann ich sie jetzt gleich sehen?" „Ja, natürlich. Kommen sie mit, Herr Blank.", bat der behandelnde Arzt der Sechzehnjährigen und Jens folgte ihm auf die Intensivstation zu Fionas Zimmer.
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Vaterfreuden
FanfictionJens und seine Ehefrau sind noch glücklicher, als sich ein Baby ankündigt. Fünf Jahre lang kann niemand die kleine Familie trennen, bis Jens' Frau plötzlich Thomas kennen lernt. Zehn Jahre sind Jens und seine kleine Prinzessin Fiona getrennt. Doch e...