Kapitel 57: ein erzwungener Besuch bei Fiona - Teil 1
Maria hatte sich am nächsten Tag eine Zugfahrkarte auf dem Berliner Hauptbahnhof gekauft und war nun auf dem Weg ins Krankenhaus. In ihrer großen Reisetasche hatte sie außer ihren persönlichen Sachen auch noch „Maja", die Puppe ihrer Tochter, die der heute sechzehnjährigen Fiona seit mehr als 13 Jahren gehörte.
Jens hatte der Kleinen die Puppe bei einem Einkaufsbummel gekauft und seitdem durfte „Maja" in keiner einzigen Situation ihres noch jungen Lebens fehlen. Die Baby Born von Marias Tochter musste in den ersten Tagen nach der Einschulung mit in die Schule und saß dann neben ihr; „Maja" musste Fiona zu Impfterminen oder zu Untersuchungen zum Kinderarzt begleiten; musste sogar ab und an selbst von Dr. Fiona behandelt werden.
Sie hatte oft mit der Babypuppe gespielt, die kleine Fiona. Besonders, wenn sie wieder einmal alleine in der Wohnung ihrer Mutter war. Wenn die Babysitterin, die sich die ganze Zeit um das kleine Mädchen kümmern sollte, etwas anderes zu tun hatte.
Oft war Fiona alleine in ihrem Kinderzimmer, wenn die Babysitterin, eine Neunzehnjährige, die eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester machte, gerade einmal keine Zeit für das Mädchen hatte.
'Fiona, ich will jetzt nicht mit dir spielen. Geh' ins Bett...', schickte sie die Kleine immer weg und Fiona verzog sich in ihr Kinderzimmer, wo sie ihre Puppe „Maja" in den Arm nahm und nach ihrem Papa rief.
Maria selbst erfuhr von den Problemen mit der Babysitterin ihrer kleinen Tochter allerdings erst viel später; erst, als die kleine Fiona einmal im Schlafanzug und mit ihren Pantoffeln auf der Straße stand und ihrer Mama um den Hals fiel, als sie von Arbeit zurück kam.
'Was machst du denn hier draußen?', hatte Maria ihre kleine Tochter erschrocken gefragt, als sie die damals gerade sieben Jahre alte Fiona auf der Straße antraf; ohne Begleitung durch die Babysitterin. Dabei war das Mädchen doch krank gewesen und Maria hatte die Babysitterin damals gebeten, sich um Fiona zu kümmern.
'Die Paula will nicht mit mir spielen... Ich sollte in mein Zimmer gehen und im Bett liegen...', hatte Fiona traurig gejammert und ihre Puppe „Maja" fest an sich gedrückt; ihre Mutter reagierte ein wenig geschockt auf den Bericht der kleinen Fiona. Sie hatte ihre kleine Tochter an die Hand genommen, war ins Haus geeilt und hatte die Babysitterin beim Telefonieren erwischt.
Wie es sich später herausgestellt hatte, telefonierte sie damals wohl mit ihrer Schule, um sich über die Mutter von Fiona, die das kleine Mädchen nur zu Paula abschob, zu beschweren.
Schlussendlich hatten sich Maria und Babysitterin Paula, die in den Ferien ein Praktikum bei Fionas Mutter absolvieren durfte, geeinigt, dass die Mutter der damals Siebenjährigen mehr auf die Kleine achtete. Im Krankheitsfall allerdings wäre Paula dafür verantwortlich, das kleine Mädchen zu betreuen, was ihr bei der Ausbildung später wohl sehr zu Gute kommen würde.
Fiona hatte dann immer von Paula ihre Medikamente verabreicht bekommen. Und dabei war es Paula egal, ob das kleine Mädchen eine Tablette schlucken musste oder das Fieber des Kindes mit einem Zäpfchen behandelt werden musste, weil Fiona ihren Fiebersaft immer nicht trinken wollte; sie war immer für die Kleine da.
Auch heute besuchte Paula, die inzwischen auch schon acht Jahre älter war, ihre Ausbildung zur Kinderkrankenschwester erfolgreich beendet hatte und nun in einer Berliner Klinik auf der Kinderstation arbeitete, noch regelmäßig die Familie und kümmerte sich dann und wann um Jonas.
„Meine Damen und Herren, auf Gleis Acht fährt ein: Intercityexpress 906 nach Kiel Hauptbahnhof über Hamburg Hauptbahnhof. Abfahrt 09:42 Uhr. ... Vorsicht bei der Einfahrt.", dröhnte es in blecherner Stimme über den gesamten Bahnsteig.
Für Maria und andere Reisende in Richtung Ostsee war dies das Zeichen, die Koffer zu nehmen und sich zum Einsteigen in den Zug bereit zu machen.
Junge Liebespaare verabschiedeten sich voneinander, sofern nur einer mit dem Zug mitfahren würde. Eine ältere Frau um die sechzig oder siebzig Jahre brachte ihre Enkelin zum Bahnsteig und umarmte das Mädchen noch einmal. Und mittendrin in diesem Chaos auf dem Bahnsteig stand Maria mit ihrem Reisetrolley, der neben ihr stand und schon darauf wartete, in den einfahrenden Zug gepackt zu werden.
„Ich bin gleich wieder bei dir, meine kleine Fiona. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen, dass ich dich so lange alleine gelassen habe. Ich hab dich doch so lieb, mein kleines Mädchen.", sprach Maria in Gedanken mit ihrem Mädchen, das noch im Hamburger Krankenhaus auf ihre Mutter wartete.
Der Zug hielt am Bahnsteig und Maria zückte ihre Sitzplatzreservierung aus dem Koffer. Ein Ticket für die erste Klasse hatte sich die dreifache Mutter gegönnt und so stieg sie in den Wagon der ersten Klasse.
Um sie herum saßen allerdings, wie sie es zuvor vermutet hatte, nicht nur Anzugträger, sondern auch mehrere Jugendliche, für die das Ticket wohl ein Geschenk gewesen war.
Der Platz von Maria befand sich am Tisch; ein Fensterplatz. Ihr gegenüber saß ein sportlich, junger Mann, wohl keine dreißig Jahre alt, und las in einem Buch über Wirtschaftsinformatik. Wohl ein Student, dachte sich Maria und lächelte dem Mann freundlich zu, als sie ihren Koffer in der Gepäckablage verstaut hatte und sich setzte.
Ganz langsam und gemächlich setzte der rot-weiße Zug, als es Zeit wurde, den Bahnhof zu verlassen, zur Ausfahrt an und Maria sah, wie der ICE langsam aus dem Berliner Hauptbahnhof rollte.
Gleich zu Fahrtbeginn, kurz nach Verlassen des Bahnhofes, kam der Service der Bahn und versorgte Maria und die übrigen Fahrgäste der ersten Klasse mit einer kleinen Tüte Gummibärchen, die Maria in ihrer Handtasche verstaute. Fiona, ihre Tochter, die sehr gerne naschte, würde sich bestimmt sehr über ein Mitbringsel ihrer Mutter freuen, wusste Maria und sie lächelte beim Gedanken daran, ihre Kleine wieder zu sehen.
In eineinviertel Stunden, um 11:24 Uhr, würde der ICE den Hamburger Hauptbahnhof erreichen und Maria setzte dort den restlichen Weg zum Krankenhaus mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fort.
Entspannt schloss Maria die Augen und schlief gleich darauf ein, bis eine freundliche Stimme sie vorsichtig aus dem Schlaf rüttelte.
„Einen wunderschönen guten Tag... Ich würde gern Ihren Fahrschein sehen.", erklärte der Mann mit unverkennbar norddeutschem Dialekt.
„Ja... Ja, natürlich. Den habe ich... hier...", erklärte Maria, zog ihre ausgedruckte Fahrkarte aus der Tasche und zeigte sie, zusammen mit ihrer Bahncard, dem Schaffner, der Maria freundlich zunickte und das Ticket abstempelte. „Danke... Einen schönen Tag noch."
An den Fenstern rauschten Bäume und Büsche vorbei und Maria strengte sich sehr an, zu erkennen, wo sie denn gerade waren und wie lange sie noch auf das Wiedersehen mit ihrer Tochter warten musste.
„Wir sind schon kurz vor Hamburg...", erklärte ihr der Mann, der ihr gegenüber saß, mit freundlicher Stimme und schon wenige Augenblicke später bestätigte die Durchsage des Zugbegleiters, die durch die Lautsprecher des Zuges hallte, dass der freundliche junge Mann recht hatte und sich der Zug wohl wirklich ganz kurz vor dem Hauptbahnhof der norddeutschen Hansestadt befand.
„Meine Damen und Herren, in wenigen Minuten erreichen wir den Hauptbahnhof in Hamburg. Dort haben sie Anschluss an: RE 21464 nach Lübeck Hauptbahnhof über Bad Oldesloe um 12:01 Uhr von Gleis 5, an eine verspätete S3 nach Stade über Hamburg-Hammerbrook von Gleis 4, heute um 11:43 Uhr. An RB 21316 nach Bad Oldesloe über Hamburg-Wandsbek und Ahrensburg, geplante Abfahrt um 11:38 Uhr von Gleis 5, heute um 12:06 Uhr und von Gleis 7, sowie an IC 2212 nach Ostseebad Binz über Schwerin Hauptbahnhof, Rostock und Stralsund um 11:42 Uhr von Gleis 12. Wir verabschieden uns von allen Fahrgästen, die hier aus- und umsteigen und danken ihnen für die Fahrt mit der deutschen Bahn. Ausstieg in Hamburg Hauptbahnhof in Fahrtrichtung links."
Maria spürte, wie in ihr die Freude über das Wiedersehen mit ihrer Tochter stieg und sie holte ihren Koffer aus der Gepäckablage über sich.
Sie würde sicherlich in weniger als einer oder eineinhalb Stunden bei ihrer Tochter am Bett sitzen und auf die Sechzehnjährige aufpassen, wusste Maria und ein wenig Angst mischte sich in ihre Gedanken.
Wie würde Fiona darauf reagieren, wenn Maria zu ihr kam? Würde die Sechzehnjährige sich darüber freuen, wenn ihre Mutter wieder vor ihr stand? Könnte die Sechzehnjährige ihrer Mutter verzeihen, dass Maria ihr Kind so lange Zeit einfach im Stich gelassen hatte?
Oder war Fiona nachtragend und redete mit Maria kein einziges Wort mehr?
Und wie stand es bei Jonas, der wohl auch noch immer im Krankenhaus lag und von seiner Mutter genauso im Stich gelassen wurde, wie dessen sechzehnjährige Halbschwester?
Fragen über Fragen, die Maria beschäftigten, als der Hauptbahnhof von Hamburg in greifbare Nähe rückte und die dreifache Mutter langsam in Richtung der nächsten Tür ging.
Einige Fahrgäste standen auch schon an der Tür und warteten, bis der Zug endlich im Hamburger Hauptbahnhof zum Stillstand kam, als Maria ihren Koffer neben sich abstellte und aus dem kleinen Zugfenster in der Tür spähte. Die hohen Häuser der Hamburger Innenstadt erkannte Maria sofort wieder.
Als wäre sie nie weg gewesen und doch war die dreifache Mutter einige Tage in Berlin gewesen und hatte sich geweigert, wieder nach Hamburg zu kommen.
Sie konnte und wollte nicht, ihre Tochter Fiona und ihren kleinen Sohn Jonas im Krankenhaus liegen sehen und so große Angst um ihre beiden Kinder haben müssen. Dafür war Maria nicht gemacht; sie konnte es nicht ausstehen, wenn sie sah, dass ihre Kinder krank waren und ihre Hilfe brauchten.
Zwar war die Verletzung bei Jonas nicht so schlimm gewesen und der Kleine würde bestimmt bald wieder nach Hause kommen, doch bei Fiona stand es umso schlimmer.
Maria hatte, als sie ihre damalige Affäre bat, eine Abtreibung bei Fiona zu machen, mit ihrem falschen Aktionismus, dafür gesorgt, dass sich Fiona schlecht fühlte. Dabei wollte sie doch nur ihre geliebte Tochter vor den schrecklichen Schmerzen bei der bevorstehenden Geburt ihres Babys verschonen.
Schließlich wusste sie dank der Geburt von Fiona und Maximilian, dass die Schmerzen während der Wehen kaum auszuhalten waren. Umso glücklicher und zugleich gelöster war Maria deswegen, als ihr Frauenarzt ihr vor etwas mehr als sechs Jahren, während der Schwangerschaft mit dem kleinen Jonas ans Herz gelegt hatte, den Jungen per Kaiserschnitt zu entbinden.
Fiona sollte nicht miterleben müssen, wie schmerzhaft so eine Geburt sein sollte. Die Sechzehnjährige war doch sowieso schon so gestresst, wenn sie Schmerzen hatte.
Selbst eine kleine Spritze ließ sich Fiona nicht gerne geben und Maria wusste ganz genau, dass ihr großes Mädchen bei Impfterminen vor dem bevorstehenden Einstich immer dicke Tränen kullern ließ und auch während der Impfung immer noch große Probleme hatte, den Nadelstich zu akzeptieren.
In dem Punkt war Fiona wohl noch ein kleines Kind, dachte sich Maria und sie lächelte kurz, als sie ihre Tochter vor ihrem geistigen Auge sah, wie die Kleine als Dreijährige im Garten von Jens' Elternhaus umhertobte.
Das kleine Mädchen hatte damals so viel Spaß bei ihrer Hilde und Uwe im Garten, dass die Eltern der Kleinen beim Beobachten immer wieder die Zeit ganz vergaßen und oftmals bei Jens' Eltern übernachteten.
Einmal, Fiona musste damals gerade ein Jahr oder zwei Jahre alt geworden sein, war das kleine Mädchen nach dem Spielen im Garten ihrer Großeltern so geschafft, dass sie in den starken und beschützenden Armen ihres Vaters sofort eingeschlafen war.
Maria sah ihre Tochter immer wieder als schlafendes Kleinkind vor sich, und oft war die dreifache Mutter in den letzten Jahren einfach ins Kinderzimmer ihrer mittlerweile sechzehnjährigen Tochter gegangen und hatte ihr Mädchen beim Schlafen beobachtet.
Sie liebte ihre Tochter so sehr und das merkte man vor allem in den Augenblicken, wenn Fiona einmal Liebeskummer hatte. Als die Beziehung mit Lucas, ihrem alten Kindergartenfreund, fast in die Brüche ging, hatte Maria ihre Tochter getröstet, ihr Mut und Zuspruch gegeben.
Umso glücklicher war Maria, als Lucas und Fiona ihre Beziehung doch wieder neu aufleben ließen. Vielleicht, das wusste Maria, wäre Lucas ein sehr guter Vater für sein Baby, das Fiona unter ihrem Herzen trug.
Jens hatte damals oft erzählt, wenn Fiona einmal krank im Kindergarten war und er das Mädchen früher abholen musste, dass sich Lucas, bis Jens da war, liebevoll um das Mädchen gekümmert hatte.
Als „Großer", der ganze zwei Jahre älter war, als die kleine Fiona, hatte sich Lucas immer als der große Bruder für Fiona gefühlt und sie demnach auch so behandelt. Umsorgen konnte Lucas schon als Kind seine Freundin; ganz sicher würde er sich auch so liebevoll um Fiona und sein gemeinsames Baby kümmern.
Vielleicht sogar würden Fiona und Lucas heiraten; zu wünschen wäre es den beiden, de schon so viele Dinge miteinander erlebt hatten und die sich schon weit über 10 Jahre kannten.
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Vaterfreuden
FanfictionJens und seine Ehefrau sind noch glücklicher, als sich ein Baby ankündigt. Fünf Jahre lang kann niemand die kleine Familie trennen, bis Jens' Frau plötzlich Thomas kennen lernt. Zehn Jahre sind Jens und seine kleine Prinzessin Fiona getrennt. Doch e...