Hauptgeschichte - Teil 70

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Kapitel 75: Klare Verhältnisse schaffen



Sabine jedoch blieb vor ihrem Medikamentenschrank stehen, sortierte weiter eine Medikamentenschachtel nach der anderen in die Tasche und wartete darauf, dass Jens mit ihr sprach.
„Also Jens? Was ist los?" „Ich... Sabine, komm doch mal bitte hierher zu mir... Ich muss mit dir aus einem Grund sprechen, der... Der mir sehr wichtig ist...", erklärte der Major und räusperte sich kurz.
Sabine ließ augenblicklich die Medikamentenschachtel, die sie in der Hand hielt, in die Tasche fallen und setzte sich neben ihren Lebensgefährten.
„Was ist denn los? Du wirkst so... niedergeschlagen. Schon heute Morgen am Frühstückstisch hast du mir nicht gefallen, Jens. Hast du irgendein Problem, über das du gerne sprechen willst, es aber nicht kannst?", vermutete Sabine und ihr Lebensgefährte nickte kurz.
„Ich... Es geht um Fiona... Also mehr um das Baby meiner Tochter...", eröffnete der Major das Gespräch mit seiner Lieblingsnotärztin und Sabine hörte Jens ganz genau zu.
„Ich... Ich mache mir Sorgen um meine Tochter. Sie scheint zwar gut damit klar zu kommen, dass sie mit noch nicht einmal Siebzehn Jahren... schon schwanger ist. Und sie freut sich auch schon sehr auf das Baby... Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass... Dass sie es alleine schafft... Mit dem Baby und ihrer Schule, ihrer Ausbildung."
„Was hast du vor, Jens?" „Ich habe Angst, dass sich Fiona... doch noch dafür entscheidet, nach Berlin zu Thomas und ihrer Mutter zu ziehen. Maria ist vielleicht jetzt innerhalb der ganzen Jahre, in denen wir uns nicht gesehen haben, eine gute Mutter geworden... Aber für ein kleines Baby zu sorgen... Ich weiß, was das heißt; du weißt, was das heißt. Wir haben mit Milena schon sehr viel mitmachen müssen..."
„Jens, wir werden das schaffen. Und Fiona wird mit Sicherheit auch nicht nach Berlin ziehen wollen. Wir haben beide doch bei Marias Besuch gestern mitbekommen, dass Fiona und ihre Mutter momentan kein so gutes Verhältnis miteinander haben. Ich kann mir also nicht vorstellen, dass sich deine Große entscheidet, doch in Berlin wohnen bleiben zu wollen. ... Und sollte Maria Sehnsucht nach ihrer Tochter haben; deine Ex-Frau kann Fiona gerne jederzeit bei uns in Hamburg besuchen kommen. Das ist doch alles gar kein Problem. Solange es Fiona gut tut, wenn ihre Mutter bei ihr ist, dann kann sie regelmäßig zu uns nach Hamburg kommen. Es ist alles kein Problem, Jens. ... Aber ich kenne dich doch. Irgendwas bedrückt dich noch..."
„Ich sollte mir endlich merken, dass du mich fast besser kennst, als meine eigene Mutter...", lächelte Jens und wurde wieder etwas ernster. „Sabine, ich... Ich habe dich sehr gerne, wir beide haben viele schwere Zeiten durchlebt... Ich... Ich kann mir ein Leben ohne dich nicht vorstellen..."
„Wird das jetzt ein Heiratsantrag?", fragte Sabine, doch Jens schüttelte den Kopf und holte einen Briefumschlag hervor. „Ich habe diesen Umschlag schon eine ganze Weile... Aber ich habe mich immer nicht getraut, ihn dir zu geben. Vor allem nicht, als wir noch nicht offiziell ein Paar waren."
„Was ist das?", wollte Sabine wissen und öffnete den Umschlag, währenddessen Jens weitersprach: „Sabine, ich weiß, es wird ein Schock für dich sein. Aber es kann ja jederzeit irgendwas passieren, was wir beide nicht wollen. Das haben wir so oft in unseren Einsätzen gesehen. Ich will einfach vorgesorgt haben..."
„Jens... Was... Was ist..." Sabine öffnete den Umschlag und holte handgeschriebenes Blatt Papier heraus. „Was ist das, Jens?", wollte die Notärztin noch einmal wissen, doch dann fiel ihr Blick auf die Überschrift und in ihrem Hals bildete sich ein dicker Kloß.
„Sabine, wir müssen der Tatsache ins Auge sehen. Du weißt das, ich weiß das... Wir beide haben so oft auf unseren Einsätzen damit Kontakt gehabt... Ich kann morgen in einen Autounfall verwickelt werden und...", erklärte Jens seiner Liebsten, die nur die ersten zwei Zeilen des Schriftstückes lesen konnte, bevor ihr ein dicker Tränenschleier die weitere Sicht verhagelte.
„Ich kann mir nicht... vorstellen, dass das wirklich... Jens, das ist doch alles... Wann hast du das denn eigentlich geschrieben?", wollte Sabine mit verheulter Stimme wissen, worauf ihr Lebensgefährte ihr eine Träne von der Wange wischte und berichtete: „In der Nacht, bevor... Bevor ihr mich damals ins BWK geschleppt hattet... Als der Krebsverdacht bestanden hat..."
„Und so lange hast du diesen... Diesen Brief hier schon bei dir? Jens, das sind über zwei Jahre, die... Die du... Vor mir verheimlicht hast...", fiel Sabine ihrem Lebensgefährten ins Wort. Sie konnte einfach nicht glauben, dass ihr Lebensgefährte mit ihr seit über zwei Jahren nicht über dieses Thema sprechen wollte oder konnte. Wo die beiden doch jetzt ein Kind zusammen hatten...
„Sabine... Bitte, versteh mich doch. Das ist nicht leicht für mich, mit dir über solche Dinge zu reden. Weil ich genau weiß, dass es dich... belasten könnte. Aber wenn ich nicht mit dir drüber rede und... Und morgen etwas passiert, dann... Dann weißt du nicht von der Verfügung..."
„Aber warum gerade ich, Jens? Warum steht hier mein Name? Das kann doch deine Mutter genauso gut entscheiden...", brüllte Sabine ihren Lebensgefährten an und flüsterte: „Ich kann das nicht, Jens. Ich kann das einfach alles nicht entscheiden. Das... Das bringe ich nicht übers Herz... Das darfst du nicht machen..."
„Sabine, Schatz. Ich habe dich als Bevollmächtigte meiner Verfügung eingesetzt, weil ich genau weiß, dass... Dass du in meinem Sinne entscheiden würdest. Meine Mutter würde es nie übers Herz bringen, die Geräte abschalten zu lassen. Ich bin schließlich auch ihr einziges Kind... Aber du..."
„Ich könnte es auch nicht. ... Jens, denk doch bitte auch an Milena! Sie hat ein Recht darauf, ihren Papa bei sich zu haben, wenn sie groß wird... Und was soll Fiona ihrem Kind von Opa Jens erzählen? Sie kennt dich doch kaum... Deine Ex-Frau und du, ihr habt euch getrennt, als Fiona gerade einmal fünf Jahre alt war. Deine Tochter hat dich vermisst.. Ich kann... Ich kann das nicht, Jens. Du kannst das nicht von mir verlangen...", erklärte Sabine und verließ türenknallend ihr Büro, während Jens am Schreibtisch der Ärztin sitzen blieb.



In der Zwischenzeit saß Thomas bei Fiona am Krankenbett und kümmerte sich um das sechzehnjährige Mädchen, das schon wieder gut bei Kräften war und einen ordentlichen Appetit verspürte, als ihr das Frühstück ans Bett gebracht wurden war.
„Du hast aber auch schon wieder einen Hunger, Fiona...", kommentierte Thomas, als die Schülerin in das Brötchen, das ihr Stiefvater ihr gerade mit Nougat beschmiert hatte und der Schwangeren reichte. „Wenn uns gestern Früh einer gesagt hätte, dass du heute schon wieder so einen Kohldampf hast... Den hätten dein Vater, deine Stiefmutter und ich für verrückt erklärt... Sonst hast du doch immer eine ganze Weile gebraucht, bis du wieder halbwegs auf den Beinen warst. Und jetzt... Jetzt kann es dir nicht schnell genug gehen?"
„Sei doch froh, Thomas. Da kannst du mich umso schneller wieder nach Hause holen...", erklärte Fiona und sah ihren Stiefvater fragend an.
Wie würde Thomas auf diese Aussage der Sechzehnjährigen jetzt reagieren?, fragte sich das Mädchen und sie betrachtete ihren Stiefvater ganz genau.
Thomas schluckte kurz und erklärte dann: „Es ist natürlich sehr schön, dass du wieder zu Mama und mir nach Berlin zurückkommen willst... Aber was ist denn, wenn dein Papa und deine Stiefmama schon ihre ganze Wohnung umgeräumt hätten, damit du und dein Baby... Damit ihr einen Platz habt?"
„Also würde es dich nicht stören, wenn ich bei Papa und Sabine hier in Hamburg bleiben möchte, Thomas? Ich kann also... Hier bei meinem Papa... wohnen bleiben. Mehrere hundert Kilometer von Jonas, Mama und dir weg. Und du würdest mich... nicht vermissen?"
„Doch, natürlich würde ich dich vermissen. Sehr sogar, Fiona. Du bist meine Stieftochter; ich kenne dich seit deinem siebenten Lebensjahr... Ich habe dich sozusagen großgezogen... Aber ich weiß, wie sehr du an deinem Papa hängst. Und wie sehr du ihn in den letzten Jahren vermisst hast. Wie sehr du unter der Trennung deiner Eltern doch gelitten hast. ... Fiona, es ist alles in Ordnung, was du machst. Solange du dich wohl fühlst und deine Mutter, Jonas und ich dich jederzeit besuchen kommen dürfen. ... Dann lasse ich dich auch gern hier bei deinem Papa..."
„Und warum versteht Mama das nicht? Warum will sie mich unbedingt wieder mit nach Berlin nehmen? Ich weiß doch, wie sehr Mama an mir hängt. Aber... Ich habe Papa seit über zehn Jahren nicht mehr für mich gehabt. Und auch, wenn er mit Sabine jetzt eine neue Frau hat... Er ist doch immer noch mein Papa. Ich will einfach bei ihm sein. Und mit seiner und der Hilfe von Sabine mein Baby auf die Welt bringen. Ich weiß, dass Papa mich dabei unterstützen würde, so gut es geht. Und meine Stiefmama... wäre auch jederzeit für mich da, wenn die Wehen einsetzen und mein Baby auf die Welt kommt...", flüsterte Fiona mit trauriger Stimme und Thomas nickte.
„Du musst Mama auch verstehen, Fiona. Sie hat dich die ganzen Jahre bei sich gehabt; sie hat dich von Klein auf großgezogen. Sie war für dich da, wenn es dir schlecht ging... Und dass ihr jetzt Streit miteinander habt... wegen dem Baby... ist auch nur, weil sich Maria Sorgen um dich macht. Sie will verhindern, dass du bei der Geburt des Babys Schmerzen hast. Sie weiß schließlich, wie schmerzhaft eine Geburt sein kann..."

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