Kapitel 52: Der Brief
Maria, die inzwischen wieder in ihrer Wohnung in Berlin war, sortierte gerade die frisch gewaschene Wäsche, als es an der Tür klingelte. Stöhnend ging sie zur Eingangstür und spähte durch den Türspion nach draußen, wo sie Fionas Freund Lucas erblickte.
„Ah, Lucas. Schön, dass du da bist. Komm doch rein.", bat Fionas Mutter und winkte den Freund ihrer Tochter in die Wohnung. „Was führt dich zu mir?"
„Ich... Ich wollte mit Fiona reden. Ist sie denn da?", erkundigte sich Lucas mit schüchternem Blick zu Boden, doch Maria schüttelte den Kopf und ging in die Küche zurück, wohin der Freund ihrer Tochter ihr folgte.
„Du, Fiona liegt immer noch im Krankenhaus. Hat dir deine Schwester noch nicht erzählt, was passiert ist? Dass Fiona im Hauptbahnhof in Hamburg zusammen gebrochen ist?", erklärte Fionas Mutter und legte das eben gerade zusammengelegte T-Shirt ihrer Tochter in den Wäschekorb.
„Doch, doch. Das weiß ich. Lina hat mir erzählt, dass Fiona wohl auf dem Hauptbahnhof zusammen gebrochen ist. Sie war ja auch komplett neben sich, als sie mich angerufen hat. Aber... War es denn so schlimm bei Fiona, dass sie immer noch im Krankenhaus ist?", wollte Lucas wissen und Fionas Mutter zuckte mit den Schultern.
„Das weiß ich nicht, Lucas.", erklärte sie und der dunkelblonde, junge Mann, der vor ihr stand, sah die Mutter seiner Freundin etwas verwirrt an, bevor er fragte: „Haben sie Fiona denn noch gar nicht im Krankenhaus besucht? Wollten sie denn nicht zu Fiona zu Besuch fahren?"
„Ich war bei Fiona im Krankenhaus. Aber die Ärzte haben nichts besonderes zu dem Zustand deiner Freundin gesagt, Lucas. Sie wollen noch spezielle Untersuchungen anfangen, damit wir wissen, was mit Fiona los ist. Und das dauert seine Zeit...", erklärte Maria, doch Lucas merkte sofort, dass das wohl nicht stimmte.
„Kann ich denn Fiona wenigstens im Krankenhaus besuchen? Ich meine, sie würde sich doch ganz bestimmt sehr freuen, wenn ich bei ihr wäre...", wusste der Teenager und erntete von Maria einen forschenden Blick, bevor sie fortfuhr: „Sag mal, Lucas. ... Fiona und du... Habt ihr beide denn schon mal zusammen... Ich meine, habt ihr etwas miteinander... getan, was ihr in eurem Alter besser nicht getan hättet?"
„Häää?" Große Fragezeichen waren über Lucas Kopf zu sehen und der Teenager versuchte, sich aus den Äußerungen der Frau vor ihm einen Reim zu machen, schaffte es allerdings nicht.
„Naja... Ich meine, ob ihr beide... Fiona hat doch ab und an bei dir übernachtet... Als ihr beide vor ein paar Wochen deinen Geburtstag gefeiert habt... Da hat Fiona doch bei dir geschlafen, oder?", fragte Maria und Lucas nickte.
„Was soll das denn alles heißen? Hat... Hat die Übernachtung von meiner Freundin bei mir etwas damit zu tun, was mit Fiona im Moment nicht in Ordnung ist? Ist Fiona deswegen im Krankenhaus, weil sie... Was hat Fiona denn?", wollte der Teenager wissen, doch Maria wollte dem Freund ihrer Tochter noch nichts von der Schwangerschaft der Sechzehnjährigen erzählen.
„Lucas, das... Das ist alles nicht einfach. Ich glaube, du solltest selbst einmal mit Fiona sprechen. Das wird wohl das beste sein. In der Situation, in der ihr beide jetzt seid.", gab Maria von sich und Lucas schaute mit besorgtem Blick auf den Hintergrund seines Handydisplays.
Das Bild zeigte Fiona und ihn bei einem großen Eisbecher in der letzten Woche; das zweijährige Jubiläum der Beziehung von Fiona und ihrem Kindergartenfreund Lucas hatte die beiden in die Eisdiele gelockt.
„Was ist denn nur mit Fiona los?", wollte Lucas noch einmal wissen, doch Maria schüttelte den Kopf und erklärte, er würde den Grund für den Zusammenbruch seiner Freundin noch früh genug erfahren. „Spätestens, wenn du sie im Krankenhaus in Hamburg besuchst und sie dir selbst erzählt, was los ist. Ich sage nur so viel... Ihr beide solltet das nächste Mal besser aufpassen, was ihr in der Nacht macht."
„Was soll denn das heißen? Ist... Ist Fiona etwa... schwanger?", fragte Lucas, doch eine Antwort von Seiten der Mutter seiner Freundin kam nicht mehr und so verließ der Teenager ohne Wissen über den Zustand seiner Freundin die Wohnung seiner Schwiegermutter.
Maria setzte sich, nachdem Lucas gegangen war, an ihren Computer und begann, einen Brief an ihre Tochter Fiona zu schreiben. Als Empfängeradresse schrieb sie allerdings nicht die Adresse in Berlin, sondern ganz direkt an das Bundeswehrrettungszentrum in Wandsbek.
Das Schreiben des Briefes an ihre Tochter war für Maria eine Aufgabe der Unmöglichkeit; immer wieder musste sie kurz aufhören und ihre Tränen wegwischen, die aus ihren Augen flossen. Es war für Fionas Mutter eine kaum mögliche Vorstellung, dass die sechzehnjährige Fiona ihr das, was passiert war, verzeihen würde.
„Fiona, ich... Ich wollte nicht, dass dir irgendwas passiert. Oder dass deinem Baby etwas passiert... Aber du bist doch mit deinen 16 Jahren noch viel zu jung für ein Baby. Du kannst deinem Kind doch noch gar nichts bieten. Dein Kind wird in eine Familie hinein geboren, die kaum Zeit für es haben wird. Bitte, überleg dir es doch noch einmal mit dem Kind. Du kannst es doch zur Adoption freigeben und... Und Kontakt zu dem Baby und den Adoptiveltern halten.", sprach Maria mit dem Bildschirmhintergrund, der ein Foto von ihrer Tochter Fiona, die mit ihrem damals erst dreieinhalb Jahre alten Bruder Jonas im Zoo spielte, zeigte.
„Ich will doch nicht, dass... Dass es dir einmal genauso geht, wie mir.", fügte sie noch hinzu, doch dann hörte sie in ihrem Inneren die Stimme ihrer Tochter, die ihr zu erklären versuchte, dass das Baby auf alle Fälle auf die Welt kommen würde und die Sechzehnjährige ihr Baby auch selbst großzog.
„Das kann Oberst Brandt doch nicht machen.", kritisierte Wollcke, als der Oberst und dessen Schoßhündchen Deffke das Rettungszentrum verlassen hatten und er und Johnny im Aufenthaltsraum mit einer Tasse Kaffee am Tresen saßen. „Jens ist doch wieder auf den Beinen. Dass er jetzt... Nur, weil Jens einmal zusammengeklappt ist und für ein paar Tage im Krankenhaus lag. Deswegen ist er doch nicht fluguntauglich. Er ist doch wieder komplett in Ordnung, bald kehrt er auf den SAR zurück..."
„Du hast doch Oberst Brandt gehört, Wollcke. Wir müssen jetzt abwarten, was Brandt wirklich vorhat. Ob er Jens wirklich vom SAR nimmt... Vielleicht, wenn Jens ein Attest von seinem Fliegerarzt mitbringt, aus dem eindeutig hervor geht, dass Jens flugtauglich ist...", wusste Johnny, doch Wollcke schüttelte den Kopf und erwiderte: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Brandt das akzeptiert. Wir wissen doch beide, was für ein... Kerl das ist. Seit Jens und Sabine die kleine Milena bekommen haben, ist der doch nur noch hinter Jens her. Dieser eifersüchtige Oberst, der unseren Jens am liebsten in die Arktis versetzen würde. Und selbst dann wäre Jens noch viel zu nahe an Sabine dran. Der kann es einfach nicht verstehen, dass Sabine und Jens glücklich sind."
„Brandt wird Jens nicht in die Arktis versetzen. Vor allem jetzt nicht, wo Jens eine Verantwortung gegenüber seiner Tochter hat. Er wird Fiona sicherlich nicht im Stich lassen, unser aller Lieblingspilot. Und ganz besonders nicht, wo Oberst Brandt doch der Patenonkel von Fiona ist. Wenn ich das richtig verstanden habe.", erklärte Johnny, der zufällig das Telefonat zwischen Jens und Oberst Brandt mitbekommen hatte. „Das kann der Kommodore doch nicht wollen, dass sich Fiona gerade jetzt, wo sie schwanger ist, zwischen ihrem Vater und ihrer Mutter entscheiden muss. Das wird doch die größte Katastrophe geben, wenn die Frage im Raum steht, ob Fiona zu Jens oder zu ihrer Mutter zieht. Sie hängt doch ganz sicher an allen beiden so sehr..."
„Ach, da mache ich mir gar keine Sorgen. Der Streit, den Fiona mit ihrer Mutter hatte... Dass Jens Ex-Frau dafür sorgen wollte, dass das Baby von Fiona stirbt... Ich glaube nicht, dass Jens sich sehr anstrengen muss, um seine Tochter davon zu überzeugen, hier in Hamburg zu bleiben.", war sich Wollcke sicher und Johnny nickte zustimmend, äußerte dann aber seine Befürchtungen: „Wenn Jens aber doch versetzt werden soll... Ich glaub nicht, dass Fiona ins Ausland gehen will. Besonders nicht nach Amerika."
„Das wäre sehr ungewöhnlich für ein Mädchen in Fionas Alter. Wenn ich Madeleine sagen würde, komm wir packen unsere Sachen und ziehen nach Amerika... Dann würde sie doch sofort alles stehen lassen...", vermutete Wollcke, doch da hatte der Bordtechniker falsch gedacht.
„Meinst du, ich würde nach Amerika ziehen?", fragte Madeleine, die plötzlich in der Tür des Aufenthaltsraumes auftauchte und von Jan mit einem liebevollen Kuss begrüßt werden konnte.
„Schön, dass du hier bist, Madeleine...", flüsterte Wollcke liebevoll in Madeleines Ohr und drückte ihr einen zweiten Kuss mitten auf die Stirn, bevor Richies Stiefmutter ein ernstes Wort mit ihrem Mann reden musste. „Was hast du denn Richie für einen Floh ins Ohr gesetzt? Von wegen er bekäme zu seinem Geburtstag einen Hund. Richie hat seit gestern kein anderes Thema mehr... Außer einem Hund."
„Wir hatten gestern eine Patientin, die wohl von ihrem eigenen Hund angegriffen wurden ist... Oder von einem anderen Hund, wir wissen es noch nicht... geflogen. Und unser Pilot hat den Hund der Patientin bei sich in Pflege genommen, bis die junge Frau wieder aus dem Krankenhaus raus kommt. ... Bis zum Feierabend war der Hund dann hier und als Richie gestern von der Schule hierher kam und den Hund gesehen hat, da... Naja... Da hat er eben gedacht, ich hätte den Hund für ihn zum Geburtstag gekauft. Aber wollten wir uns denn nicht doch einen Hund anschaffen, sobald wir in unserem eigenen Häuschen leben."
„Ja, aber... Doch nicht so plötzlich, Jan. Das muss doch gut überlegt sein. Du kannst doch Richie nicht einen Hund zum Geburtstag versprechen und noch gar nicht wissen, ob wir uns wirklich einen Hund zulegen. So eine Anschaffung muss gut überlegt sein, Jan. Das geht nicht Hoppla Hopp, hier ist der Hund...", ermahnte Madeleine ihren Mann, doch Wollcke widersprach, er wäre dafür, dass sein Sohn zum Geburtstag seinen größten Wunsch erfüllt bekäme und ein Hund bald durch den geräumigen Garten flitzen würde.
„Na, wenn du das meinst, dass das wirklich notwendig ist... Dann setzen wir uns aber heute Abend noch einmal gemeinsam mit Richie hin und sprechen darüber. Ich will nicht später für den Hund alleine sorgen müssen. Nur, weil er nicht mehr interessant für Richie und für dich ist...", ermahnte Madeleine ihren Mann noch einmal und Wollcke nickte zustimmend, gab Madeleine einen dritten Kuss, diesmal auf die Wange und einen auf den Mund und ließ sich dann wieder auf dem Barhocker neben Johnny fallen.
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Vaterfreuden
FanfictionJens und seine Ehefrau sind noch glücklicher, als sich ein Baby ankündigt. Fünf Jahre lang kann niemand die kleine Familie trennen, bis Jens' Frau plötzlich Thomas kennen lernt. Zehn Jahre sind Jens und seine kleine Prinzessin Fiona getrennt. Doch e...