15| Unexpected

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Kapitel 15
Unexpected
[Melody Rose Morgan]

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»Was bildest du dir eigentlich ein, junges Fräulein?«, schreit mich meine Mutter an.

Ich atme tief ein und wieder aus.

»Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn sie das zu Hause klären würden«, mischt sich mein Direktor ein. Doch meine Mutter scheint es gar nicht wahrzunehmen.

»Schau mich an Melody!«, fordert sie mich auf. Mein Blick, der auf den Boden gewendet war, gleitet nun hoch zu meiner Mutter. Die Ader auf ihrer Stirn pulsiert schon wieder, so wie immer, wenn sie wütend ist. Dad betritt nun hinter ihr das Büro.

»Schatz, beruhig dich doch ein bisschen«, murmelt er und umfasst ihre Schultern. Sie schiebt ihn wütend von sich.

»Was soll denn das? Willst du etwa meine Autorität untergraben?«, fragt sie ihn dann, während sie ihn ansieht. Dad zuckt ängstlich zurück.

»Nein, nein, Schatz. Mach was du für richtig hältst«, sagt er dann. Dad hatte schon immer Angst vor Mom.

»Mrs. Morgan, jetzt beruhigen sie sich bitte«, fordert sie nun der Direktor auf, der so aussieht, als würde ihm gerade alles etwas zu viel werden. Sein Gesicht ist schon ganz rot angelaufen. Er steht auf und weist auf die Tür.

»Bitte seien Sie nicht zu streng. Und jetzt wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mein Büro verlassen.«

Mom sieht sehr wütend aus, sagt aber nichts mehr.

Sie greift mich am Handgelenk und zieht mich hinter sich aus dem Büro.

»Lass mich los!«, zische ich und winde mich aus ihrem Griff. Ich wirke nun, mehr oder weniger, wie ein äußerst trotziges Kind.

»Junge Dame, das lasse ich mir nicht gefallen!«, presst sie zwischen ihren Zähnen hervor, während wir die Schule verlassen. Zum Glück ist im Moment Unterricht, wodurch ich nicht in die Gefahr komme, dass irgendjemand das Alles mitbekommt.

»Mom, ich habe gar nichts Schlimmes gemacht!«, jammere ich und verschränke meine Arme vor meiner Brust.

»Und wie du das hast! Die Lehrer merken sich sowas doch! Was denkst du wie das denn ankommt! Und vor allem; das ist dein letztes Jahr, du solltest dich anstrengen!«

»Sag mal, was ist eigentlich dein Problem? Ich weiß, dass ich mich nicht optimal verhalten habe, aber selbst der Duc- ich meine selbst der Direktor sieht drüber hinweg! Ich habe nur Einser, was willst du?«, schreie ich sie an, was vielleicht nicht ganz so schlau ist. Vor allem musste ich mir auf die Zunge beißen, um nicht Duce zu sagen.

»Nicht in diesem Ton, junge Dame!«, sagt Mom und hebt ihren Zeigefinger mahnend hoch.

»Gott Mom! Nenn mich nicht junge Dame!«, schreie ich wütend und bleibe stehen. Mom scheint nun endgültig der Geduldsfaden zu reißen.

»So, das reicht, du bekommst Hausarrest!«, schreit Mom zurück. Dad sieht uns nur zu, wobei sich seine Stirn zu einer einzigen Sorgenfalte verformt.

»Schatz, glaubst du nicht, dass du etwas überreagierst?«, bringt sich nun Dad ins Gespräch ein. Schlagartig wenden wir beide unsere Köpfe zu ihm.

»Nein«, sagt Mom erstaunlicher Weise sehr ruhig. Sie muss sich aber wirklich sehr beherrschen.

Mom war schon immer Diejenige, die wegen jeder Kleinigkeit ausgerastet ist. Sie war die, die damals wollte, dass ich auf eine Privatschule gehe, was ich zum Glück noch abwenden konnte. Sie ist die, die will das ich in Harvard studiere. Aber das will ich alles gar nicht. Ich möchte nicht Anwältin werden, das macht mich nicht glücklich. Ich möchte an einer Art Academy studieren und mein Leben leben. Ich will es nicht mit Hass und Geld verbringen. Ich möchte das Leben schmecken, es riechen und es fühlen. Es hören. Verdammt noch mal ich will die Welt sehen und mein Leben genießen. Ich möchte mich in Paris verlaufen und Croissants futtern. Ich möchte in Toronto aus dem CN Tower gucken. In New York möchte ich alle Orte meiner Lieblingsbücher abklappern. Das ist mein Leben. Es ist das Leben, das ich mir wünsche. Keine Zwänge, einfach nur frei sein. Selbstbestimmt. Natürlich will ich nicht nur von meiner brotlosen Kunst leben, ich möchte es bloß versuchen.

»Sechs Wochen«, zischt Mom.

»Aber Mom!«, wehre ich mich.

»Nein, das kannst du nicht machen«, sagt nun Dad.

»Und wie ich das kann«, antwortet sie schnippisch und steigt in unseren Wagen ein.

»Wenigsten nur eine Woche«, sagt Dad.

»Fünf«, erwidert Mom.

»Eine«, hält Dad fest. Erstaunlicher Weise zeigt er mal Rückrat Mom gegenüber. Auch Mom scheint es merkwürdig zu erscheinen, während sie schließlich doch nickt. Ich kann immer noch nicht fassen, was da gerade passiert ist. Nur eine Woche. Das kriege ich doch locker um. Hoffe ich.

Von: muffin.lover@ gmx.de

An: melody.cobain@ gmail.com

Betreff: ...

Ich wollte nur mal kurz fragen, was aus der Sache mit dem Duce geworden ist.

-S

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Betreff: ...

Eine Woche Hausarrest. Mom ist vollkommen ausgerastet. Sie wollte mir sogar sechs Wochen geben. Ist das zu fassen?!

-M

Von: muffin.lover gmx.de

An: muffin.lover@ gmx.de

Betreff: ...

Echt jetzt? Mh ja, das ist krass. Kann ich dich mal was fragen?

-S

Von: melody.cobain@ gmail.com

An: muffin.lover@ gmx.de

Betreff: ...

Jap. Sie ist ein echter Drache. (Hältst du mich jetzt für ein Monster, weil ich das von meiner eigenen Mutter sage?) Kommt drauf an, was ist das denn für eine Frage? Wenn du wissen willst ob ich an Einhörner glaube: definitiv.

-M

Von: muffin.lover@ gmx.de

An: melody.cobain@ gmail.com

Betreff: Du glaubst an Einhörner???

Ach ich habe gar nichts anderes erwartet. Nein. Na ja vielleicht ein bisschen. Doch. Also ich habe einfach ein sehr gutes Verhältnis zu meiner Mutter. Vergiss das mit der Frage, war ne blöde Idee.

-S

Sofort fühle ich mich etwas besser. Mit ihm zu schreiben hat mich ein wenig aufgeheitert. Dennoch frage ich mich, was er mich fragen wollte. Ich weiß jetzt schon, dass mich das leider Gottes nicht mehr loslassen wird. Na ja jetzt habe ich eine Woche Zeit, um darüber nachzudenken.

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unexpected [s.m] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt