•36•

1.8K 77 7
                                    

Mein Handy vibriert in meiner Jackentasche. Erschrocken fahre ich zusammen und bleibe stehen. Ich hole es hervor und lese die Nachricht meiner Schwester. 

Komm sofort nach Hause.

Ein ungutes Gefühl macht sich in meiner Magengegend breit und meine Handflächen werden schwitzig. 

Mit zittrigen Fingern umgriff ich meinen Schlüssel fester, sodass er sich bereits in meine Hand drückte und mich ein schwacher Schmerz durchströmte. Nur noch wenige Meter, sagte ich mit gedanklich und beschleunigte meinen Schritt.

Sobald ich das Grundstück meiner Eltern erreicht hatte, schloss ich die Tür auf und rief ein 'Ich bin wieder da' durch's Haus. Doch ich bekam keine Antwort und da die Tür nicht zwei Mal abgeschlossen war, wusste ich, dass mindestens eine Person da sein muss.

Mich beschlich ein komisches Gefühl. Ich stellte meine Tasche auf dem Paketboden ab und legte meinen Schlüssel auf die Kommode.

,, Mam? Dad?", rief ich noch einmal und schlich zum Wohnzimmer.

,, Violet, schön dich hier anzutreffen.", sagte der Mann, welcher definitiv nicht mein Vater war, als er mich erblickte.

,, Wo sind meine Eltern, Aves?", fragte ich sofort und versuchte meine Angst nicht sichtbar zu machen. Würde er wissen, wie eingeschüchtert ich allein von seinem Namen bin, wäre es mein Untergang.

Aves schnalzt mit der Zunge und lässt das Fotoalbum, welches er sich angesehen hatte, auf den Wohnzimmertisch fallen. Kaum merklich zuckte ich zusammen und hoffte inständig, dass er nicht gesehen hat, wie ich mich erschrocken habe.

,, Violet, du enttäuschst mich. Wir haben uns so lange nicht mehr gesehen und das erste was du mich fragst-."

,, Lass die Spielchen. Wo sind meine Eltern?", unterbrach ich ihn.

Er grinst mich überlegen an und stand von der grauen Stoffcouch auf. Sein Blick verließ nicht einmal meinen.

,, Sie sind, freiwillig natürlich, Einkaufen."

,, Sie hätten dich niemals alleine im Haus gelassen.", wand ich ein und schaute mich nach Objekten, welche ich ihm über den Schädel ziehen könne, um.

,, Wenn man ihnen erzählt, man wäre der feste Freund der Tochter und ihnen seine Waffe zeigt, dann schon.", antwortet er grinsend. ,, Doch, reden wir über etwas mehr erfreulicheres."

,, Hm, da fällt mir nichts ein."

Aves lacht höhnisch auf und tätschelt mir den Kopf, als wäre ich ein kleines Kind, was zum ersten Mal etwas richtig gemacht hat. Ich knurrte leise auf und ging einen Schritt zurück.

,, Dachtest du wirklich, du könntest mich los werden?", fragt er und lacht. 

,, Ich hatte es gehofft.", erwidert ich mutig und verschränke meine Arme. ,, Warte, du hast meinen Eltern eine Waffe gezeigt? Wo ist eigentlich meine Schwester?"

Aves lacht lauter und wischt sich eine Lachträne aus dem rechten Augenwinkel. Sein Blick ist eisig und lässt einen Schauer über meinen Rücken laufen. 

,, Deine Schwester."; fängt er an und legt seinen Zeigefinger an seine Lippen. ,, Madeline, wenn ich mich recht erinnere. Sie ist kurz nach dem Auftauchen deiner Eltern gegangen. Zum Glück hatte sie ihr Handy hier vergessen. Du weißt, wie ungeduldig ich werde."

Ich beiße die Zähne fester zusammen und versuche nicht den Verstand zu verlieren. 

,, Was willst du?", frage ich ergeben und richte meinen Blick auf den Boden.

Aves lacht wieder. ,, Das habe ich dir doch schon gesagt: ich möchte etwas mit dir besprechen.", antwortet er mir langsam. Ich hatte auf einmal das Gefühl, ich wäre ein kleines Kind.

,, Du hast eigentlich gesagt, dass du über etwas erfreulicheres reden möchtest und nicht über das Bedrohen meiner Eltern.", zicke ich genervt. Ich mag es nicht, wie ein kleines Kind behandelt zu werden. 

Er seufzt genervt auf. ,, Kommen wir einfach zum Punkt.", erwidert er und holt sein Handy raus, um es dann wieder in seine Tasche zurück zu stecken. ,, Du kommst mit."

,, Nein.", antworte ich sofort und schaue mich noch einmal unbemerkt um. Ich hoffe, meine Eltern haben die Polizei gerufen. 

,, Nein?", hinterfragt er belustigt und hebt die Augenbrauen. ,, Violet, du hast nicht wirklich eine Wahl. Oder möchtest du, dass ich deinen geliebten Eltern was antue?"

,, Nein, das möchte ich nicht.", murmel' ich leise. ,, Aber ich werde nicht mit dir mitkommen. Ich traue dir nicht, Aves. Außerdem möchte ich nichts mit dir zu tun haben. Wieso kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?"

Er mustert mich für einen Augenblick. Auf seinem Gesicht liegt immer noch ein triumphierender Ausdruck und sein spöttisches Grinsen lässt mich klein fühlen. 

Nach einigen Sekunden des Schweigens kommt er auf mich zu und stellt sich mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck, fast schon als würde er gerade träumen, vor mich hin. Seine rechte Hand wandert zu meinem Gesicht und fasst beinah vorsichtig mit seinen Fingerkuppen an meine Wange.

Er seufzt. ,, Ich kann dich nicht in Ruhe lassen, Violet.", haucht er mit schwankender Stimme. 

Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. ,, Wieso?", frage ich leise und schaue wieder auf den Boden. 

,, Wir waren mal glücklich. Erinnerst du dich? Ich erinnere mich an das Funkeln in deinen Augen, als wir um zwei Uhr morgens Eis essen waren und du auf einmal Schaukeln wolltest.", flüstert er mit dem Blick an die Wand gerichtet. Er sprach nicht mit mir, das wusste ich. Er redet mich sich. 

Auf einmal fällt Aves Hand wieder an seine Seite; seufzend lässt er seinen Kopf hängen. ,, Das kann ich dir nicht beantworten.", antwortet er. Auf einmal ändert sich etwas in der Atmosphäre und sein Kopf schnellt hoch. Sein Blick ist wieder distanziert. ,, Genug mit dem Geplauder, wir müssen los."

Sein Arm findet seinen Weg um meine Taille. Ich versuche mich aus seinem lockeren Griff zu wenden, jedoch verstärkt er diesen sofort, als er mein zappeln bemerkt. 

,, Du hast keine Chance, Violet.", lacht er kühl und öffnet die Haustür. 

Ich bewege mich nicht. Mein ganzer Körper ist angespannt und ein schwacher Schmerz geht von meiner Taille, wegen Aves' Arm, aus. 

Mir wird schlecht und ich habe das Gefühl, dass ich wirklich nichts gegen Aves tun kann. Mein freier Wille wird mir gerade genommen und ich kann nichts dagegen machen.

Er ist stärker. Er hat die Kontrolle. 

Aves stöhnt genervt auf und hebt mich auf. Meine Füße schweben nur wenige Zentimeter über dem Boden. Ich könnte ihn leicht treten, ihn verletzen und wegrennen. 

Aber ich tue nichts dergleichen. Ich lasse mich einfach wie eine Puppe nach draußen tragen. 

Aves schließt hinter uns die Haustür und bewegt sich, mich immer noch tragend, auf den Weg zum Bürgersteig. Er lässt mich wieder auf den Boden, wobei sein Arm immer noch um meine Taille gewickelt ist, und holt sein Handy wieder aus seiner Hosentasche. Er tippt auf dem Bildschirm herum und steckt es wieder weg. 

______________

Es wird noch eins oder zwei Kapitel und den Epilog geben. 

Violet ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt