Theo stellt sich mir mitten in den Weg und schaut mich mit seinen riesigen grünen Augen überrascht an. Anscheinend hat er nicht erwartet, mich je wiederzusehen.
Doch bezweifle ich in diesem Moment stark, dass es ein unglücklicher Zufall ist. Aves wusste bereits bevor sie hier her gezogen sind, dass ich hier lebe.
,, Vio.", stammelt der beste Freund meines 'Ex-Freundes' leicht überfordert. Sein Gesichtsausdruck verrät mir, dass er vollkommen überfordert mit der Situation ist.
,, Theo.", sage ich, mein Ton weder freundlich noch überrascht.
,, Verdammt.", murmelt er unter seinem Atem und dreht sich von mir weg, fährt sich durch die Haare und dreht sich wieder zu mir.
,, Anscheinend hat er dir erzählt, was passiert ist.", bemerke ich leicht überrascht und ziehe meine Augenbrauen in die Höhe.
Als ich damals mit Aves zusammen war, war er sehr darauf bedacht, niemanden etwas zu verraten. Nicht mir, nicht Theo. Er hat nur einer Person vertraut.
,, Sagen wir es mal so, ich habe ihm keine Wahl gelassen. Nachdem du verschwunden bist, habe ich ihn mehr oder weniger dazu gezwungen mir zu verraten, was er getan hat.", erklärt er, seine Augen sind starr auf mein Gesicht gerichtet. Komischerweise meidet er jedoch Augenkontakt mit mir. ,, Du hast das nicht verdient und es tut mir Leid."
,, Es ist nicht deine Schuld." Und das meine ich auch. Er wusste damals von nichts- und wenn, dann hätte er mir nicht helfen können.
,, Ich hätte etwas bemerken müssen. Verdammt, Vio, du weißt-", seine Stimme bricht und er fährt sich verzweifelt durch die Haare.
Das ist etwas, was ich an Aves und Theo's Freundschaft nie verstanden habe. Aves ist ein herzloses Arschloch. Theo hingegen ist dagegen ein mitfühlender Engel. Aber vielleicht ist auch das, was sie so verbindet. Vielleicht liegt es auch einfach daran, dass sie schon seitdem sie Kinder waren, Freunde sind.
Ich trete einen Schritt näher an Theo heran und greife nach seinem rechten Arm. Erschrocken blickt er auf, zieht jedoch seinen Arm nicht weg. In seinen Augen glitzern Tränen- und es zerreißt mir das Herz.
Theo ist einer dieser Menschen, den man sofort ins ein Herz schließt. Man möchte ihn am liebsten den ganzen Tag um sich haben, weil man sich dann besser fühlt. Zudem möchte man ihn nicht verletzt sehen- es ist nahezu unmöglich ihn so zu sehen ohne den Drang, ihn wieder aufzuheitern, zu verspüren.
Egal, was zwischen Aves und mir passiert ist, es ist einfach nicht seine Schuld. Ich habe Theo zu gern, um ihn für etwas, womit er eigentlich gar nicht zu tun hat, zu hassen, nur weil sein Bester Freund ein herzloses Arschloch ist.
,, Hey, Theo, es ist okay. Es ist nicht deine Schuld.", flüster' ich mitfühlend und ziehe ihn in eine Umarmung. Er reagiert sofort und schlingt seine Arme um mich, sein Gesicht vergräbt er in meinem Nacken.
Für einige Minuten standen wir so da. Er leise schniefend an mich gelehnt, während ich ihm über den Rücken streichel'. Die Stunde hatte bereits begonnen, als ich ihm in die Arme gelaufen war, sodass sich keine Schüler auf den Fluren befanden.
,, Können wir hier weg? Ich denke, wir müssen ziemlich viel besprechen.", fragt er als er sich von mir löst und sich kurz über die Wangen streicht. Seine Augen sind minimal gerötet.
Ich sage eine Weile nichts und schaue Theo mitleidig an. Irgendwo hat er recht, ich merke ihm an, dass er etwas sagen möchte, sich hier aber nicht traut. Jedoch habe ich letztens erst einige Tage geschwänzt und war eine Weile krank. Ich kann nicht den Unterricht fern bleiben.
,, Ich würde gern, aber ich hab schon länger gefehlt und muss mal wieder in den Unterricht.", erkläre ich schuldbewusst. ,, Aber wir können was, nach dem Unterricht machen."
,, Da kann ich nicht. Aves hat ein Meeting.", erwidert er und kratzt sich am Nacken.
Es dauerte eine Weile, bis ich verstand, was er mir verständlich machen wollte. ,, Wer ist alles da?"
,, Zelda, Herra, Cindy und Manny.", zählt er auf und schaut mich entschuldigend an. ,, Außerdem, und das ist nur ein Gerücht, ist Ruth hier."
,, Wieso ist das nur ein Gerücht?", frage ich leicht nervös. Ich hoffe, dass das Gerücht keine wahren Wurzeln hat.
Ruth ist die Person, welche sich Aves Vertrauen verdient hat. Niemand weiß genaueres. Nur dass er ihr alles anvertraut.
,, Herra hat sie miteinander reden hören. Kann aber auch sein, dass es nur ein Telefonat oder ein Video war.", versucht mich Theo zu beruhigen, was jedoch kläglich scheitert.
,, Okay, gehen wir. Ich brauche etwas zu Essen.", bemerke ich leicht angenervt, nachdem ich meine Wangen aufgeplustert habe. ,, Dieses Gespräch muss ich entweder in einem Donut-Shop oder in einer Bar führen. Bemerken wir mal, dass ich noch Minderjährig bin, wird es wohl ein Donut-Shop tun."
Theo lacht auf und schüttelt seinen Kopf. Es ist offensichtlich, dass er die Situation auflockern und mich beruhigen möchte. Jedoch kann man weder die Situation verschönern, noch mich beruhigen.
,, Gut, ich hab mein Auto hier." Mit seinem Arm um meine Schulter machen wir uns auf den Weg raus aus der Schule.
Ich habe Ruth nie kennengelernt. Alles was ich über sie weiß, weiß ich entweder von Theo oder über Gerüchte oder Geschichten von Dritter. Aves hat ihren Namen nur einmal vor mir erwähnt und das nur, weil ich ihn gefragt habe. Er hatte mir gesagt, dass Ruth die Person ist, die ihn besser kennt als er sich selbst.
,, Worüber denkst du nach?", fragt mich Theo als er mit einem Tablett vor dem Tisch stehen bleibt. Mit einem leichten Lächeln stellt er das Tablett auf dem Tisch ab und lässt sich auf das Polster gegenüber von mir fallen.
,, Ruth.", antworte ich ehrlich. ,, Ich habe sie nie kennengelernt, ich kann mir kein wirkliches Gesicht vorstellen. Und das treibt mich irgendwie in den Wahnsinn."
Theo nimmt sich einen Kaffee vom Tablett und schüttet drei Zuckerpäckchen hinein. ,, Wieso?"
,, Sie spielt eine große Rolle in Aves' Leben, nur habe ich das Gefühl, dass sie kaum einer kennt. Alles was ich über sie weiß, weiß ich über Dritte und die meisten Informationen sind Gerüchte oder Geschichten."
,, Sie entscheidet, wer sie kennen darf.", erwidert Theo schulterzuckend.
Ich hebe irritiert eine Augenbraue.
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Violet ✔
ChickLit» Du kannst dich nicht vor deiner Vergangenheit weglaufen, geschweige den verstecken.«