48-Wir sind auch nur Menschen

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Nach zwei Stunden Schnittarbeit. hatte ich nun ebenfalls angefangen an einigen Effekten rumzubasteln und war eigentlich so gut wie fertig. "Kannst du mal kurz drüber schauen?", warf ich hinter mich und im nächsten Moment fanden zwei Arme links und rechts an mir vorbei. Marius stützte sich auf der Tischplatte ab, sein Kopf so nahe an meinem, dass ich seinen Atem spüren konnte. Ich starrte nach vorn, versuchte mich nicht ablenken zu lassen und beobachtete jeden seiner Handgriffe. Das Resultat von 5 Minuten Arbeit war, dass er ein paar einzelne Szenen noch etwas bearbeitete, ansonsten jedoch nicht wirklich viel änderte.

"Danke.", hauchte ich leise, da meine Stimme nicht mehr hergab, in Anbetracht seiner Nähe. Er stützte sein Kinn auf meinem Kopf ab und flüsterte ein leises "Immer gerne." Doch anstatt danach zu gehen, verharrte er in dieser Position, was ich ziemlich genoss, während sich eine wohlige Wärme in mir ausbreitete. Plötzlich klingelte mein Handy und ich sah augenverdrehend auf das Display. Schlechter Zeitpunkt, Ju! Doch Marius' Kopf blieb wo er war und ich nahm den Anruf entgegen. "Hey Hanna!", ertönte Jus Stimme durch den Hörer, "Sorry, wenn ich dich gerade störe, aber könntet ihr jetzt zum Dreh kommen? Und könntest du Marius Bescheid sagen?"

"Ja, klar. Wir sind gleich da."

"Ok, bis gleich."

Damit legte er auf. "Hab's gehört.", murmelte Marius und nahm sein Kinn von meinem Kopf. Ich speicherte die Szene, fuhr meinen Computer herunter und stand auf. Hinter Marius lief ich die Treppe hinunter, bis er plötzlich stehen blieb und sich umdrehte. Unbeholfen kam ich in's Straucheln und krallte mich in seinem Shirt fest. Fast sofort legte er die Arme um mich und wartete bis ich wieder sicher stand. Entschuldigend sah ich auf und im nächsten Moment strich meine Nasenspitze kurz an seiner entlang. Mein Puls beschleunigte sich rasant. Ich stand hier mit Marius eng umschlungen, da er mich immer noch festhielt, während wir vollkommen allein im Haus waren. Meine Finger schlossen sich noch etwas fester um den Stoff seines Shirts. "Sorry...", flüsterte ich leise und sah im in die Augen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, was das Atmen nicht ganz so einfach wie sonst machte. Er legte seinen Kopf leicht schief: "Kein Problem. Aber ich muss noch einmal nach oben, ich hab mein Handy vergessen." Ich brachte plötzlich nur noch ein Nicken zustande, da der Kloß in meinem Hals das Sprechen verhinderte. Aber wenn ich ehrlich war, was hatte ich erwartet? Vielleicht war alles nur freundschaftlich für ihn, wer wusste das schon?

Während Marius wieder nach oben sprintete, ging ich schon mit hängendem Kopf nach unten und wartete dort auf ihn.

Kurze Zeit später waren wir auf dem Weg zur U-Bahn. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich ihn, wie er gedankenverloren in die Gegend starrte. Plötzlich drehte er seinen Kopf zu mir: "Alles ok?" Schnell wandte ich meinen Blick ab: "Klar, alles bestens." Anscheinend wollte er mich noch etwas fragen, doch genau in dem Moment bog ich zur U-Bahn-Station ab. Wie immer schien sie gleich vor Menschen zu bersten und plötzlich verschränkte Marius seine Finger mit meinen. Auf meinen verdutzten Blick hin, erwiderte er nur, dass er mich nicht in der Menschenmenge verlieren wollte. Mit dem vergeblichen Versuch beschäftigt, meinen Herzschlag unter Kontrolle zu halten, stieg ich hinter Marius in die U-Bahn ein. Da es hier genauso voll war, wie auf dem Bahnsteig, zog er mich vor sich, sodass ich mich nur an ihn pressen musste, damit alle Leute Platz hatten. Unsere Finger waren immer noch miteinander verschränkt, doch keinen von uns beiden schien das großartig zu stören. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich nicht schlau aus ihm wurde, wenn ich an das Szenario von vorhin zurückdachte.

"Ähm...Entschuldigung.", erklang eine Stimme neben mir und ich drehte den Kopf. Ein Mädchen stand neben uns, unter ihrer Jacke konnte ich einen roten "One day I will fly"-Pullover erkennen. Ein Fan von Ju also. "Sorry, dass ich frage, aber seit ihr zusammen?" Ein Lächeln stahl sich bei dieser Vorstellung auf meine Lippen: "Nein." Auch wenn mir dieser Gedanke gefiel, ich blieb lieber bei der Wahrheit, nicht zuletzt weil ich wusste wie Marius reagieren würde. Vermutlich wäre er sauer. Das Mädchen nickte leicht: "Okay...ähm...könnten wir vielleicht ein Foto machen?" "Klar, wo musst du denn aussteigen?", erklärte Marius mit einem Nicken. Ein freudenstrahlendes Lächeln erschien auf dem Gesicht des Mädchens: "Oh mein Gott, danke! Nächste Haltestelle muss ich raus." "Wir auch.", erklärte ich und sie sah mich an. "Ich bin total nervös!", platzte es aus ihr heraus und Marius lachte leise. "Wir sind auch nur Menschen.", murmelte ich, als die U-Bahn stehen blieb und wir zusammen ausstiegen. Oben angekommen, zog sie ihr Handy aus der Tasche und wir stellten uns zusammen auf. Ich legte meine Hand auf ihre Schulter und lächelte in die Kamera, während sie das Foto machte. "Willst du noch ein Foto mit uns allein?", fragte ich freundlich und sie nickte lächeln. Zuerst war Marius dran, dann ich. Irgendwie fühlte es sich gut an, einfach mal die Leute, die die Videos schauten, zu treffen und mit ihnen zu reden. Das Mädchen strahlte die ganze Zeit und wir plauderten noch kurz mit ihr, bis wir uns schließlich verabschieden mussten, da wir weiter zum Dreh mussten. Ohne Vorwarnung umarmte ich sie zum Abschied und sie erwiderte die Umarmung perplex, was mir ebenfalls ein Lächeln auf's Gesicht zauberte. Einen kurzen Moment standen wir einfach so da, genossen einfach nur die Umarmung. Langsam lösten wir uns wieder voneinander und mit einem letzten Winken und einem "Tschüss und danke nochmal." verschwand sie aus unserem Blickfeld. Glücklich lächelnd lief ich einfach los. Marius folgte mir überrascht, da er anscheinend nicht damit gerechnet hatte, dass ich einfach losgehen würde.

"Alles ok?", fragte er, als er mich eingeholt hatte und ich warf ihm einen Blick von der Seite zu: "Ja, warum?" "Du lächelst so vor dich hin." "Ich finde es einfach schön zu sehen, wie man Menschen mit den Videos begeistern kann.", erklärte ich langsam. Den Blick nachdenklich nach vorn gerichtet, schwieg Marius für einen kurzen Moment, bis er schließlich mit einem Nicken zustimmte. Inzwischen waren wir an der Location angekommen und schon Weitem konnte man das Team erkennen. Ju bemerkte uns als Erster und kam mit einem Lächeln auf uns zu. "Ihr seid ja auch schon da!", begrüßte er uns grinsend. Anscheinend hatten wir uns doch etwas verspätet. "Ja, wir haben noch jemanden getroffen.", entschuldigte uns Marius und damit war das Thema schnell wieder vom Tisch. Einige Minuten später hatten wir auch die letzten Softboxen aufgestellt und fingen an die heute anstehenden Szenen zu drehen. Inzwischen hatte es angefangen zu schneien, was dem Video noch einmal einen weiteren weihnachtlichen Flair verpasste. Auch wenn es erst Ende November war, stellte sich langsam bei mir die Vorfreude auf Weihnachten ein und ich lächelte unbewusst etwas breiter. Ich liebte Weihnachten. Es war einfach alles so schön besinnlich und man war bei seiner Familie. Ein kleiner Stich der Sehnsucht erfasste mich, als ich an meine Familie dachte. Ich meinte, klar ich war in Aachen glücklich, aber Berlin war auch nicht um die nächste Ecke, sodass ich schnell einfach mal vorbeischauen könnte. Außer ich musste unbedingt dort hin, dann hatte ich schon einige Möglichkeiten, aber auf Dauer ging das auch nicht. Ich hatte sie zwar erst vor Kurzem gesehen, doch wirklich schön war dieses Treffen nicht verlaufen, weswegen ich versuchte es aus meinen Erinnerungen, so gut es ging, zu streichen. Mit einem Kopfschütteln versuchte ich die trüben Gedanken abzuschütteln und mich wieder auf die Leute um mich herum zu konzentrieren.

Wir kamen mit unseren Szenen gut voran und am Ende waren wir sogar schneller, als der eigentliche Zeitplan. Trotzdem war mir extrem kalt geworden und ich war froh, als Ju das Ende des Drehtages ankündigte. Mit klammen Fingern half ich das Equipment zu verstauen und wartete, dass wir losgehen konnten, als sich plötzlich zwei Arme von hinten um mich legten. "Dir ist kalt, oder?", flüsterte Marius mir in's Ohr, während er meine Hände in seine nahm, um sie zu wärmen. "Jetzt nicht mehr.", murmelte ich leise und schloß die Augen. Er war wunderbar warm und ich kuschelte mich unauffällig etwas mehr an ihn. "Habt ihr uns irgendetwas zu sagen?", rief Ju uns zu und ich öffnete wieder die Augen. Da standen sie, Ju, Annika, Vince und Passi, alle mit einem verschwörerischen Lächeln auf den Lippen. Marius' Hände schlossen sich etwas mehr um meine: "Ihr war nur kalt." Die Vier nickten grinsend, wandten sich ab und marschierten Richtung Parkplatz. "Interessant dass alle fragen.", murmelte Marius leise, bevor er für einen Moment das Gesicht in meiner Schulter vergrub, mich dann aber losließ und den Anderen folgte. Sofort wurde mir wieder etwas kälter, doch der Gedanke, dass mir Marius gerade so eine liebevolle Geste entgegengebracht hatte, füllte mich mit einem warmen Glühen.

Effekt meines HerzensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt