20-Jeder weiß etwas, außer mir

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"Ich habe es doch tatsächlich geschafft!", begrüßte mich Passi und grinste mich breit an. Mit einer hochgezogenen Augenbraue sah ich ihn an, bevor ich ihn kurz umarmte. "Bist du jetzt stolz auf dich?", lachte ich und lief mit ihm zum Ausgang. "Irgendwie schon.", grinste er verlegen und deutete auf einen Wagen am Straßenrand. Er öffnete mir den Kofferraum und ich stellte meinen Rucksack hinein. "Du, sag mal...", fing ich an und setzte mich auf den Beifahrersitz, "Warum genau sollte ich noch einmal herkommen?"

Keine Antwort.

"Passi?", fragte ich nach und sah ihn an. "Hm? Was?", antwortete er scheinheilig.

"Warum sollte ich nach Aachen kommen?"

Doch er reagierte schon wieder nicht auf meine Frage. Seufzend verschränkte ich die Arme und sah aus dem Fenster, während die Aachener Innenstadt an mir vorbeizog. Nach einigen Minuten warf ich einen kurzen Blick zu Passi, der wissend grinste. Na toll, er wusste ganz genau was hier abging. Den Rest der Fahrt zerbrach ich mir fiebrig den Kopf, warum ich denn jetzt hier war. Wieso es unbedingt heute sein musste...Wie ich Marius gegenüber treten sollte...Doch auf keine der Fragen hatte ich eine wirkliche Antwort parat. Also musste ich mich wohl oder übel überraschen lassen. Endlich, oder auch nicht, kam das Bamhaus in Sicht und Passi parkte davor. "Alles in Ordnung? Du siehst irgendwie so aus, als würdest du angestrengt nachdenken.", fragte er nach und sah mich an. "Ju bestellt mich in einer, fast panischen, Nachricht hierher, er kann angeblich nichts Genaueres erklären und du willst mir auch nichts sagen. Natürlich denke ich da nach.", murmelte ich und stieg aus. Nachdem ich meinen Rucksack aus dem Kofferraum geholt hatte, liefen wir zusammen zur Eingangstür. Mit jedem Schritt wuchs die Aufregung in mir. Wegen Ju. Wegen Marius. Wegen Allem. "Stell deinen Rucksack einfach ab, kennst du ja schon.", erklärte Passi im Eingangsbereich, bevor er mich die Treppe hochführte. Im Haus war es ungewöhnlicherweise recht still. Ich dachte hier wäre das Chaos los, weswegen mich ein merkwürdiges Gefühl beschlich. Ich folgte Passi direkt zum Arbeitszimmer und versuchte einen Blick in den Raum zu erhaschen, doch dort herrschte völlige Dunkelheit. Selbst durch die Fenster drang kein Licht. "Was zum...?", fing ich an und wurde im nächsten Moment auf einen Stuhl in der Mitte des Arbeitszimmers gedrückt. Passi entfernte sich mit ein paar Schritten von mir und ließ sich, den Geräuschen nach zu urteilen, auf seinen Schreibtischstuhl fallen. Irgendwie war das schon unheimlich. Außer Passi waren noch andere Leute im Raum, wahrscheinlich die Crew. Okay, was genau ging hier ab? Sollte ich mich vielleicht schon einmal von meinem Leben verabschieden oder komnte ich in der Sache entspannt bleiben? "Hallo, Hanna.", erklang Jus Stimme zu meiner Linken, "Willkommen in den tiefsten Kreisen des Universums, wo wir die Macht der Null untersuchen." Ein leises Lachen erklang hinter mir, was ich vage Vince zuordnen konnte. Doch dann passierte wieder nichts und ich hatte das Gefühl, dass ich eine Antwort geben musste. "Ähm...hi?", gab ich deshalb leise zurück. "Kannst du dir denken, warum wir wollten, dass du ausgerechnet jetzt hier bist?", ertönte Annikas Stimme und eine Hand legte sich auf meine Schulter. Ich zuckte bei der unerwarteten Berührung kurz zusammen: "Nein." "Hanna, du warst uns in den letzten Monaten eine enorme Hilfe und ich kann mir, ehrlich gesagt, nicht mehr vorstellen, ohne dich an einem Video zu arbeiten.", übernahm Ju wieder das Sprechen, "Du wohnst quasi im Bamhaus. Jetzt wohnst du sogar selbst in deiner eigenen Wohnung in Aachen..." "Moment, du wohnst in Aachen?", warf Passi verwundert ein, "Warum weiß ich davon nichts?" "Sie wohnt seit einer halben Woche in Aachen. Ich habe es auch nur durch Zufall erfahren.", erklang Marius' bedrückte Stimme und sofort schnürrte sich mein Hals zusammen. In diesem Moment war es mir so egal, was er gesagt hatte. Mir war egal was ich gesagt hatte. Ich wollte ihm am liebsten einfach um den Hals fallen. Aber ich blieb auf dem Stuhl sitzen und starrte weiter in die Dunkelheit. "Naja, sie hätte euch es schon erzählt.", fuhr Marius fort und ich spürte kurz eine Hand, die mein Knie strich. Das war definitiv Marius gewesen! "Wie dem auch sei, Hanna, du bist aus dem Bamcrewleben nicht mehr wegzudenken.", ergriff Ju wieder das Wort. Eine kurze Pause entstand, in der man nur unserem Atem hören konnte. "Als du mir damals gesagt hast, dass du irgendwann nur von Youtube leben willst, bin ich in's Grübeln gekommen. Du kannst Videos schneiden, kannst Effekte machen, du hilfst wo du kannst. Du bist so gesehen das perfekte Bamcrewmitglied.", erklärte Ju weiter und sofort fingen meine Finger an zu prickeln. Worauf lief das hier hinaus? "Und deswegen hat uns Ju gestern zusammengetrommelt und hat sich erkundigt, was wir von einer weiteren Kollegin halten würden.", fiel Vince mit ein. Und genau jetzt war der Moment gekommen, in dem mir die Kinnlade nach unten klappte. Das...nein. Wie..? Bedeutete das jetzt...? "Hanna, ich würde dir gerne anbieten, ein Teil der Bamcrew zu werden.", fiel Ju mit der Tür in's Haus und ich schlug meine Hand vor meinen Mund. Ich? Teil der Bamcrew? Ich könnte bei unglaublichen coolen Videos mitarbeiten. Ich würde mit meinen Freunden arbeiten. Und das Wichtigste: Ich könnte mir meinen größten Traum erfüllen...ich könnte tatsächlich von Youtube leben. "Ich weiß gar nicht was ich sagen soll...", flüsterte ich, "Ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen!" Und dann folgten so viele Dinge in einem Moment. Das Licht ging blitzartig wieder an, mit einem lauten Knall gingen ein paar Konfettikanonen los und ich schaute in mehrere grinsende Gesichter. Sofort umarmte mich Annika, die immer noch hinter mir stand. "Willkommen in der Bamcrew!", grinste sie, bevor auch die Anderen mit einstimmten.

"Willkommen in der Bamcrew!

Ein Lächeln zierte mein Gesicht und ich schaute abwechselnd in die Gesichter meiner, seit diesem Moment, Kollegen. Ich konnte nicht genau beschreiben was in mir vorging. Freude. Pure Freude. Und sie wurde auch nicht gedämpft, als mein Blick das Augenpaar traf, wo ich mich bisher immer gedrückt hatte, es anzusehen. Aber da war nicht nur dieses Augenpaar, sondern auch ein Lächeln. Ein ehrlich breites Lächeln. Ein Lächeln welches so aussah, als wäre nie etwas zwischen uns vorgefallen. Ein Lächeln, welches nur von Marius kommen konnte.

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Vielen Dank an carottenelfe2 die mir den Spruch
"Willkommen in den tiefsten Kreisen des Universums, wo wir die Macht der Null untersuchen."
zugesteckt hat. Ohne sie würde es diesen Satz gar nicht geben ❤

Effekt meines HerzensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt