Kapitel 4

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~Lucie~

Er war zum Abendessen nicht mehr erschienen. Auch in seinem Zimmer war er nicht gewesen. Hatte ich etwas schlimmes gemacht? Ich wollte doch nur nicht, dass er sich weiter weh tut. Ich konnte es einfach nicht mehr mit ansehen. Wahrscheinlich war es ein Fehler gewesen. Naja mir war nicht wirklich viel passiert! Nur mein Bein schmerzte immer noch unheimlich. Ich machte mich auf den Weg ins Klassenzimmer. Maik hatte mir gestern noch eine Hausführung gegeben und so kannte ich mich jetzt wenigstens etwas besser aus. Außerdem hatte er mir gesagt, dass ich gerne zu ihm kommen können, wenn James wieder so schlecht drauf war. Heute will er mir das Kämpfen etwas näher bringen. Ich bin schon gespannt. Er ist so unglaublich nett. Als ich ins Klassenzimmer kam, war James noch nicht da, deswegen setzte ich mich direkt neben Maik. "Du willst es wirklich riskieren?", fragte er mich grinsend. Ich nickte. "Selber Pech, wenn er zu spät kommt!", meinte ich und packte meine Sachen aus. "Mutig", sagte er und unterdrückte einen Lachen. Ein Grinsen konnte er sich trotzdem nicht verkneifen. "Er verdeckt immer meine Sicht nach draußen...", fügte ich noch hinzu. Maik prustete neben mir los. "Oh man...", keuchte er, "Du bist schon irgendwie komisch!" Fragend sah ich ihn. Doch mir blieb nicht die Zeit, um zu fragen. James betrat den Klassenraum. Er warf mir einen tötenden Blick zu und setzte sich zwischen mir und Maik. "Findste lustig, ne?", forderte er eine Antwort. Ich zuckte die Schultern schaute nach draußen. "Ich rede mit dir!", fuhr er mich sauer an. "Ich aber nicht mit dir!", fauchte ich. Ha, Volltreffer. Jetzt ist er platt! Ich wurde unsanft an der Schulter gefasst und rumgerissen. "Was?", fragte ich ihn vorwurfsvoll. "Wir sprechen uns nachher!", zischte er und lies mich los. Genau in dem betrat Herr Müller den Raum und der langweiligste Unterricht der Welt begann. Oh man. Ich hatte jetzt schon keine Lust mehr. Wie kann man nur einen Unterricht so langweilig gestalten? Das ist doch nicht normal! "Lucie?" Verwirrt blickte ich auf. Was war denn jetzt los? Ach verdammt, ich hatte nicht aufgepasst und jetzt sah mich auch noch der Lehrer so doof an. "25,75. Das ist die Lösung.", flüsterte es neben mir. "25,75", sagte ich. Ich hatte nicht den blassesten Schimmer, was das bedeutete. "Richtig!", meinte der Lehrer und wandte sich wieder ab von mir. "Danke", hauchte ich. Warum hatte er mir geholfen? Was brachte ihm das? Ich linste zu ihm rüber. Er starrte nur auf den Boden und regte sich nicht. "Was ist?", raunte er sichtlich genervt. 'Der Typ ist irgendwie immer genervt...' Ne weißte, der tut nur so... Ich schaute aus dem Fenster. Den Rest des Unterrichts bekam ich eigentlich gar nicht mehr wirklich mit.
Nach dem Unterricht verlies ich direkt den Raum. Ich hörte, wie er hinter mir herrief. Ich rannte die Treppen hoch. Und sprintete den Flur entlang. Seine Schritte kamen näher und näher. Meine Lunge brannte und ich japste nach Luft. Nur noch wenige Schritte trennten mich von meinem Zimmer...
Unerwartet wurde ich herumgerissen und gegen die Wand gedrückt. "Was soll das?", brüllte er mich an, "Was willst du eigentlich? Was bringt dein verdammtes Hirn dazu so mit mir umzuspringen? Was fällt dir eigentlich ein?" Sein eiserner, fast gefühlsloser Griff schmerzte an meinen Schultern. Ich sah weg. "Schau mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede!", schnauzte er mich an und drehte meinen Kopf brutal, sodass ich ihn anschauen musste. "Lass mich los!", zischte ich. Ich spürte wie mein kompletter Körper sich verspannte. Krampfhaft versuchte ich diese Kraft in mir zu bändigen. "Dann sag endlich, was heute mit dir los ist. Niemand klaut mir meinen Platz und läuft dann einfach weg! Niemand!", schrie er und verhärtete seinen Griff. Ich zog scharf die Luft ein. "Lass mich los!", wiederholte ich meine Aufforderung. "Erst sagst du mir, was das soll!", erwiderte er. "Das geht dich nen Dreck an, du Arschloch!" Sein Blick verfinsterte sich noch mehr und wenige Augenblicke später flog mein Kopf zur Seite. Ein Schmerz durchfuhr mich. Mir wurde schwindelig und ich sank die Wand hinunter. Mein Kopf war mit voller Kanone gegen die Wand gekracht. Wie aus weiter Ferne hörte ich seine Stimme. "Versager! Sieh zu, dass du dich fertig machst. In ner halben Stunde gibt's Essen und dann wird sofort trainiert." Ich sah nur noch seine Silloisette. Seine dumpfen Schritte halten schmerzhaft in meinem Kopf wieder. Einige heiße Tränen liefen über meine Wangen. "James, was hast du gemacht!", dröhnte eine mir bekannte Stimme durch den Flur. James erwiderte noch etwas. Doch ich verstand es nicht mehr. Alles wurde schwarz vor meinen Augen. Das letzte, was ich wahrnahm, war eine hysterische Jungenstimme, die meinen Namen rief, und den schmerzlichen Aufschlag meines Kopfes auf den Boden...

"...sie hat eine Gehirnerschütterung. Sie braucht erstmal Ruhe. Wenn alles gut geht, ist sie in ein paar Tagen wieder fit." "Was denkt der sich nur?" Das war eindeutig Maik. "Warum musste er sie auch so brutal schlagen und das schon an ihrem zweiten Tag? Gestern ist er auch schon so ausgeflippt. Ich weiß echt nicht mehr, was in letzter Zeit mit ihm los ist..." "Ich schätze er hat die Sache mit Diana noch nicht richtig verdaut. Das hängt immernoch in seinem Kopf..." "Das ist aber kein Grund, Lucie einfach zu schlagen! Oh man... dieser Idiot.." Langsam öffnete ich die Augen und schloss sie direkt wieder. Das blendende Sonnenlicht verstärkte meine ohnehin schon heftigen Kopfschmerzen. Es war kaum zum Aushalten. Ich hatte das Gefühl, dass mein Kopf gleich platzen würde. Vorsichtig versuchte ich es erneut und stöhnte dabei leise auf. "Lucie", hauchte Maik, "Endlich, endlich bist du wieder wach. Wie fühlst du dich?" "Beschissen!" Was für eine dämliche Frage? "Oh man, dieser James. Wenn ich ihn in die Finger kriege, kann der was erleben!", fauchte er. "Ist zwar lieb gemeint, aber lass mal. Ich bin selbst dran Schuld. Schließlich hab ich ihn ja provoziert.", krächzte ich. Jap, das ist nicht ansatzweise übertrieben! "Kein Grund, dir gleich ne Gehirnerschütterung zu verpassen." Ich sah zur Seite. Warum hatte er das getan? Hatte ich ihn wirklich so sehr verärgert? Oh man. Warum war das Leben so kompliziert? Ich hasse mein Leben!...

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