36. Dach übern Kopf

0 0 0
                                    

Als ich aufwachte hatte der Regen nachgelassen. Es tröpftelte nur noch leicht. Mein Kopf dröhnte noch mehr als vorher. Meine Kleidung war komplett durchnässt und ich zitterte unkontrolliert. Das Plätschern des Regens hallte dumpf durch mein Gehör und verstärkte meine Kopfschmerzen. Ich fühlte mich krank und einsam. Meine Augen fühlten sich trocken an. Ich zog meine Beine an meinen Körper, um mich wenigstens etwas zu wärmen.
Ich musste wieder eingeschlafen sein. Iritiert blickte ich auf. Ich sah in die Augen eines Jungen. "Was machst du hier?", fragte er und musterte mich neugierig. Ich zuckte mit den Schultern. "Komm mit. Du brachst trockene Sachen", sprach der Junge weiter und reichte mir seine Hand. Ich nahm sie an und richtete mich langsam auf. Meine Muskeln schmerzten und fühlten sich teilweise taub an. Mein Rücken war vollkommen verkrampft. Ich konnte mich kaum auf den Beinen halten. "Warum bist du hier ganz allein?", fragte der Junge und bot mir an, mich auf ihm abzustützen. "Lange Geschichte",murmelte ich. Meine Stimme war heiser und rau, aber auch merkwürdig kalt. Ich machte mir selbst Angst. Ich hatte mich verändert. Schon wieder hatte ich mich verändert. Ich war wieder so wie nach den ganzen Verlusten. Mein Körper begann wieder mehr zu zittern. Ich wollte mich nicht mehr daran erinnern. Es tat so weh. Ich hatte alles verloren. Ich hatte meinen letzten Bruder, mein letztes Band zu meiner Vergangenheit, verloren. Ich brauchte nicht mehr zu existieren. Ich hatte kein Ziel mehr. Mein Ziel war es immer gewesen, Ryan gegenüber zustehen und ihn anzuschreien, ihn zu fragen, warum er damals den Auftrag vor die Familie geschoben hatte. Doch nun konnte ich es nicht mehr. Ich wollte ihm immer alles erzählen, was damals passiert war. Diese Gelegenheit würde ich nie wieder haben. Er hasste mich. Mein eigener Bruder hasste mich. Und bald würde es die ganze Welt tun. Bald würden mich alle hassen, selbst dieser Junge, der mir gerade half. 'Er hasst dich jetzt schon. Jeder hasst dich. Wer würde dich auch schon freiwillig mögen. Du bist ein elendiger, kleiner Mörder.' Hör auf. Ich wollte mir am liebsten die Ohren zu halten. Ich wollte das nicht hören. Ich konnte doch nichts dafür. Ich wollte doch nicht, dass Ann stirbt oder Leon. Ich wollte das doch gar nicht. 'Tief in deinem Herzen bist du ein schlechter Mensch. Willst du dich weiter selbst belügen? Du hast sie umgebracht durch deine Anwesenheit. Jeden Tag hast du sie mehr und mehr zerstört. Du hast sie alle umgebracht. Es ist besser, wenn du gehst und nie wieder kommst. Du wirst nur andere verletzten!' "Du siehst traurig aus", stellte der Junge fest. Ich zuckte mit den Schultern. "Kann sein." "Hast du jemanden verloren?", bohrte er weiter. Ich starrte ihn kurz erschrocken an. "Warum fragst du?", wollte ich wissen. "Ich war auch so drauf. Da wollte ich wissen, ob du auch jemanden verloren hast", erklärte er. Ich nickte und bereute es sofort. Ein stechender Schmerz fuhr durch meine Schläfen. Ich zischte aus und verzog schmerzverzerrt das Gesicht. Schnell legte ich meine eiskalten Finger auf meine Schläfen und massierte diese. "Halt durch. Es ist nicht mehr weit. Siehst du das Haus am Stadtrand? Da wohne ich mit meinen Großeltern und meiner kleinen Schwester", sagte der Junge. Langsam gingen wir weiter.

Nach wenigen Minuten hatten wir das kleine Haus erreicht. Von außen sah es schon etwas heruntergekommen aus. Der Junge zog einen Schlüssel aus seiner Hosentasche und schloss die weiße Haustür auf. Schweigend führte er mich in die beißende Wärme. Meine Finger fingen an zu brennen. Tränen traten mir in die Augen. Warum tat die Wärme so weh? Mit verzogenem Gesicht fuhr ich mir ins Gesicht. Besorgt sah mich der Jungen an. "Ich bin übrigens Jason", meinte er und ging weiter in das Haus hinein. Leise folgte ich ihm. "Und du? Wie heißt du?" "James!", brummte ich. Meine Stimme war immer noch kalt und distanziert. Ich fühlte mich so, als würde ich einen Film sehen. Es fühlte sich einfach nicht real an. Wie konnte mein Leben nur so ein Scherbenhaufen werden? Was hatte ich denn getan? Womit hatte ich dieses Leben verdient? Das war doch nicht fair! 'Du hast angefangen zu leben. Ohne dich wäre die Welt ein besserer Ort! Du hast das Leben nicht verdient!', dröhnte die Stimme in meinem Kopf. Erneut verzog ich das Gesicht. "Scheint keiner dazusein", murmelte Jason vor sich hin. "Komm mit. Du solltest duschen und du brauchst dringend trockene Sachen, sonst holst du dir noch den Tod!" Ein Erinnerungsbild von meiner Mutter ploppte auf. Sie hatte es oft zu mir und meinem einen Bruder sagen müssen, da wir immer wieder ohne Regenjacke im Regen gespielt hatten und dann klitschnass nach Hause kamen. Wieder einmal lief ich dem Jungen hinterher. "Warum hilfst du mir?", platzte es aus mir heraus, als wir vor der Badezimmertür standen. "Keine Ahnung. Du sahst einfach so verloren aus. Mir ging es auch mal so und da hätte ich gerne etwas Hilfe gehabt. Ich bin dabei fast drauf gegangen!", erklärte er. Ich nickte nur. Sanft schob er mich ins Bad. "Ich hol dir ein paar trockene Sachen und leg sie dir dann auf die Kommode. Du kannst schonmal duschen, wenn du möchtest. Ein Zucken meiner Mundwinkel bekam ich gerade so noch zustande, ehe er in einer anderen Zimmertür verschwand. Ich lehnte die Badezimmertür hinter mir an und entledigte mich von meinen Sachen. Danach stieg ich in die kleine Duschkabine und stellte das Wasser auf Lauwarm ein, um meinen Körper wegen der Hitze nicht zu überstrapazieren. Genüsslich schloss ich die Augen, als das Wasser über meinen eiskalten Körper floss. Die Wärme des Wassers tat gut und entspannte etwas meine verkrampften Muskeln. Meine finsteren Gedanken verbannte ich für den Augenblick, um es etwas genießen zu können. Ein Seufzen verließ meine Lippen. Mir schien es schon Ewigkeiten her zu sein, seit ich die letzte Dusche genommen habe und eine solche Wärme gespürt hatte. "Ich bin unten!", vernahm ich am Rande die Stimme von Jason. Nach einer Ewigkeit trat ich wieder aus der Duschkabine und trocknete mich mit einem der Handtücher, die ebenfalls auf der Kommode lagen, ab. Danach griff ich nach den trockenen Sachen. Es waren eine schwarze Jogginghose und ein blaues verwaschenes T-Shirt. Das T-Shirt war etwas weit, aber die Jogginghose passte wie angegossen. Nachdem ich mich noch einmal im Spiegel angesehen hatte, machte ich mich auf den Weg nach unten. Meine Augen hatten ihren letzten Glanz verloren und waren nur noch wie kalter Stein, der nicht mehr glänzen würde.

Es tut mir leid, dass lange keine Kapitel mehr kamen. Ich werden mich bemühen, wieder einige zu schreiben, schließlich ist die Geschichte noch nicht fertig

LG

PriscaTL

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: May 04, 2020 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

Who are you?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt