35. Allein

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Ich lief immer weiter und weiter. Mein Atem brannte und war ein lautes Keuchen. Die Schule sah ich schon nicht mehr. Ich hatte verwirrte Blicke gesehen und sie ignoriert. Tränen liefen über mein Gesicht. Jetzt... jetzt hatte ich wirklich ALLES verloren! Jetzt war es vorbei. Das Leben war nicht fair und es wird auch niemals mit fairen Spielregeln spielen. So war das nunmal. Die Tränen verschleierten meine Sicht. Immer mehr Tränen drängten aich aus meinen Augen und brannten auf meinen Wangen wie Feuer. Womit hatte ich das verdient? Was hatte ich denn falsch gemacht? Ich war doch kein Monster! Oder? Ich war doch auch nur ein Mensch. Ich stoppte und sank auf meine Knie. Weinend vergrub ich meinen Kopf in meinen Händen und schluchzte hemmungslos. Ich schrie in meine Hände und wollte nur noch das dieses schmerzhafte Stechen in meiner Brust aufhörte. Mein Atem ging unkontrolliert. Ich hatte teils sogar das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Es war einfach zu viel. Das alles war viel zu viel. Hier hatte ich meine Grenzen erreicht. Ich konnte nicht mehr. Früher hatte ich mich immer gefragt, wie viel ein Mensch aushält, bis er zusammenbricht. Jetzt hatte ich meine Antwort.

Ich wusste nicht mehr, wie lange ich da kniete und weinte. Irgendwann kamen keine Tränen mehr und der Schmerz wechselte zu einer grausamen Leere. Ich fühlte mich taub. Mein Blick war leer und ins Nichts gerichtet. Langsam schaute ich mich um, um zu wissen, wo ich mich grob befand. Am Horizont war schemisch das Internat zu erkennen. Vor mir lag das andere Internat. Ich richtete mich auf und lief weiter. Mein Magen knurrte und ich fühlte mich schlapp. Das war alles einfach zu viel. Warum glaubte Ryan bloß meiner Pflegefamilie? Ich verstand es nicht. Das konnte doch nicht sein. Früher hatten wir uns doch so gut verstanden. Wir hatten uns immer vertraut, hatten immer zusammen gespielt und waren für einander da. Wie konnten wir uns so auseinander leben? Warum war er damals nie dagewesen? Warum war er auf keiner Beerdigung? Nicht von Ann, nicht von unserem großem Bruder, nicht von Mum und auch nicht von Dad. Wieso nur? Waren wir ihm allen unwichtig? Suchte er jetzt einen Sündenbock, weil er nicht mehr klar kam, nicht mehr weiter wusste, es nicht verarbeiten konnte? Ich musste mich an einem Baum festhalten, um nicht wegzuklappen. Kleine schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen. Angestrengt blinzelte ich sie weg und wagte es, weiter zu laufen. Nach ein paar Schritten blieb ich wieder stehen. Der Schwindel kehrte zurück und mit ihm der Schmerz in meiner Brust. Warum hasste mich mein Bruder so? Ich hatte doch nur noch ihn. Warum musste ich auch noch ihn verlieren? Ich wollte das nicht. Meine Augen brannten. Die Sonne blendete mich, als sie sich kurz zwischen zwei dicken, grauen Wolken blicken ließ. In spätestens einer Stunde würde es dunkel werden. Ich seufzte und fuhr mir durch die Haare. Wo sollte ich jetzt hin? Ich hatte keine Freunde und eine Familie hatte ich auch nicht mehr. Sonst war ich bisher immer nur im Internat oder bei meiner Pflegefamilie. Aber da wurde ich ganz sicher nicht hingehen. Frustriert schrie ich kurz auf und zog an meinen Haarspitzen. "Scheiße!" Das war doch alles kacke. Konnte nicht einmal mein Leben unkompliziert und ruhig verlaufen? Ich hatte doch gerade erst eine neue Bindung aufgebaut. Und dann das. Jetzt wird Lucie bestimmt denken, dass ich ein Mörder bin und sie nur verletzen will. Was hatte ich ihm nur getan, damit er mich so behandelte? Ich ließ den Kopf hängen und versuchte den Schmerz in meiner Brust zu ignorieren. Doch es wurde immer schlimmer. Ich hatte das Gefühl, keine Luft mehr zubekommen. Angestrengt holte ich Luft, doch es half nichts. Meine Atem wurde hektischer und unregelmäßiger. Der Schwindel nahm zu und die Punkte fingen wieder an, zu tanzen. Mein Kopf stellte um auf Panik. Ich fing an, unkontrolliert zu zittern. Das war zu viel. Das war einfach zu viel. Mein Atem dröhnte in meinen Ohren und ließ jedes andere Geräusch verstummen. Benohmen hielt ich mir den Kopf. Das Ganze zwang mich in die Knie. Panisch versuchte ich Luft zu bekommen. Ohne Erfolg. Ich hustete, ich würgte, ich griff mir an die Brust. Nichts. Schließlich bracg ich vollends zusammen. Mein Kopf knallte dumpf auf den Boden. Dann wurde es schwarz und ich ließ einfach los.

Irgendetwas Nasses tropfte auf meinen Rücken. Erst dachte ich, dass es Tränen sein und jemand mich gefunden hatte. Doch das war es nicht. Als ich die Augen gequält öffnete, bemerkte ich, dass es der Regen war, der mein Oberteil durchnässte. Mühsam richtete ich mich auf. Ich zitterte leicht vor Kälte. Mein Kopf dröhnte. Mein Herz fühlte sich an, als würde es bluten. 'Du besitzt ein Herz?', fragte Marvin. Das ist nicgt lustig. Und ja ich besitze es leider. Sonst müsste ich dich und diese Welt nicht mehr ertragen. Diese Welt hat ihre Menschlichkeit verloren. Alle denken nur noch an sich selbst. Der Nächste wird einfach übersehen. Die Gesellschaft schließt Menschlichkeit immer mehr aus. Mittlerweile hatte ich mich aufgesetzt und meine Beine an meinen Körper gezogen, um mich irgendwie zu wärmen. Ich legte meinen Kopf auf meine Knie und schloss die Augen. Sanft prasselte der Regen auf meine Haut. Ich dachte an das Internat. Werden sie wohl nach mir suchen? Was wird mir Lucie? Wer wird sie trainieren? Wollte mich überhaupt noch jemand sehen? Würden sie mich irgendwann aus ihren Gedächtnis verdrängen und meinen Namen löschen? Würden sie mich überhaupt vermissen? Oder werden sie froh sein, mich endlich los zu sein? Schließlich hab ich immer nur Ärger mit mir gebracht. Ich seufzte und ließ meinen Blick in die Ferne schweifen. Ach Ann. Ich wünschte du wärest noch hier. Dann wäre ich nicht ganz so alleine. Die Einsamkeit tat weh. Ich fühlte mich von der Welt verlassen. So als würde sie mich aus tiefstem Herzen hassen. War ich wirklich so ein schlechter Mensch? Hasste man mich wirklich so sehr? Konnte man das hier überhaupt noch Leben nennen. Ich wünschte, ich wäre tot. Das hatte doch alles keinen Sinn mehr...

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