31. Versöhnung und Streit

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Lucie zuckte zusammen und starrte mich erschrocken an. Ich zog sie vorsichtig etwas zu mir. "Du bist in Sicherheit", hauchte ich und sah ihr in ihre verängstigten Augen. "Ich hab trotzdem Angst", flüsterte sie und eine Träne verließ ihr Auge. Sanft wischte ich ihr die Träne weg. "Schsch", machte ich und nahm sie in den Arm. Ich spürte deutlich ihre Knochen. "Du gehörst zu uns!", meinte ich. "Das hast du auch gesagt und dann hast du mich geschlagen und wolltest mich nicht mehr sehen", sagte sie traurig. Ein Schmerz zog durch mein Herz. Verdammt! Warum hatte ich das bloß getan? Ich war so ein Idiot! "Es tut mir leid", entschuldigte ich mich, "Ich bin ein Idiot." Ich schaute auf meine Füße. Warum war ich bloß so ein Idiot geworden? Warum tat ich so etwas bloß? Warum konnte ich nicht sein wie Maik, der immer nett und freundlich war? Verdammt, warum bloß? Tränen traten in meine Augen. "Ich bin so ein Idiot", wiederholte ich den Satz, "Immer mache ich alles kaputt!" Meine Hände verkrampften sich. Lucie nahm meine Hände in ihre. "Mache ich doch auch", sagte sie leise, "Ich bin doch nicht besser. Ich provoziere dich schließlich jedes mal!" Ich schwieg. Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. "Tut mir leid!", fügte Lucie hinzu. Mein Sicht verschwam. Trotzdem wollte ich das noch fragen. "Wer sind sie?" Lucie erstarrte kurz. In ihren Augen lag Schmerz. Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen. Nein. Bitte noch nicht! Ich wollte noch ihre Antwort wissen! "Meine Eltern", hauchte sie. Mir stockte der Atem. Meine Hände ballten sich zu Fäusten. Wie konnte man nur so etwas seinem eigenem Kind sagen? Das waren doch keine Eltern. Das konnte man doch nicht Eltern nennen! Meine Sicht wurde immer schlechter. Ich kämpfte, doch mir fehlte langsam die Kraft. Der Schmerz holte mich wieder mit voller Stärke ein. Ich konnte nicht mehr. Das Adrelanin hatte meinen Körper endgültig verlassen. Ein leiser Schmerzensschrei verließ meine Kehle, ehe ich nach vorne kippte. Ich bekam noch mit wie jemand meinen Namen schrie, jemand meine Hand ergriff und der Sicherheitsgurt meinen Körper davon aufhielt, vom Stuhl zu kippen. Dann verschluckte mich die Dunkelheit...

Als ich erwachte, blendete mich sofort die Neonröhre über mir. Ich war definitiv im Krankenabteil. Hier stank es immer so herlich nach Desinfizierungsmittel. Ich verabscheute diesen Geruch mehr als alles andere. Als ich mich einigermaßen an das Licht gewöhnt hatten setzte ich mich leicht auf. Ich zischte kurz auf und biss die Zähne zusammen. Die Schmerzen waren immer noch da, aber deutlich schwächer. Vermutlich hatten die mir irgendwelche Schmerztabletten verabreicht. Ich sah mich leicht um. Neben mir entdeckte ich Lucie auf einem weiterem Bett. Sie trug neue Verbände und schien noch zu schlafen. Lucie sah so friedlich aus, wie sie da lag und schlief. Ihr Gesicht war komplett entspannt und ihr Mund war leicht geöffnet. Ich musste leicht lächeln. Sie war schon niedlich, wenn sie schlief. Sonst war keiner in dem Raum, worüber ich froh war. Sonst hätte ich jetzt wahrscheinlich irgendeinen dummen Kommentar zu hören bekommen. Erleichtert atmete ich aus und schaute wieder zu Lucie. Vorsichtig schwang ich meine Beine aus dem Bett und ging zu ihrem Bett. Neben ihrem Bett stand zum Glück schon ein Stuhl. Ich ließ mich darauf fallen und beobachtete sie weiter. Irgendwann hatte ich mal gehört, dass man dadurch aufwacht, wenn jemand einen anschaut, während man schläft. Dann probieren wir das mal aus. Ein Lächeln schließ sich erneut auf mein Gesicht. 'Du bist mir irgendwie grade ne Spur zu gruselig.' Dann verpiss dich endlich aus meinem Kopf und geh dich vergraben. Erstens habe ich dich nämlich nicht eingeladen und zweitens bezahlst du keine Miete. 'Als ob ich an dich Miete zahlen würde.' Wer nervt hier wen? Du bist hier unerlaubt. Also entweder Miete bezahlen oder verpissen. Du hast die freie Wahl. 'Ich wähle drittens.' Wenn du auch nur für eine Sekunde aus meinem Kopf kommst, bist du tot. Das schwörde ich dir! 'Ach wie gut, dass ich nicht vor hatte heraus zu kommen!' Dann schmeiß ich dich eben raus! "James?" Lucies Stimme rieß mich voll aus meinen Gedanken. "Ja?", fragte ich leicht überfordert. 'Starke Leistung. Irgendwie bist du immer verwirrt. Kann das sein? Ach, was frage ich überhaupt. Ich hab doch schließlich immer Recht' Überhaupt nicht eingebildet, Arschloch! 'Ey!' "Alles gut?", harkte Lucie nach, "Du sieht gerade so aus, als würdest du mit einer unsichtbaren Person sprechen, ohne dabei die Lippen zu bewegen." "Die Person heißt Marvin und ist eine nervtötende Stimme in meinem Kopf", sagte ich. 'Erstens ich hin nicht nervtötend. Du bist einfach nur viel zu undankbar. Und zweitens erst denken dann sprechen.' Fuck! 'Jap, kannste laut sagen!' "Ok?", lachte Lucie, "Dann grüß sie mal von mir!" 'Grüße zurück!' Vergiss es! Das kannste dir sonst wohin schieben! Ein schallendes Gelächter folgte. "Find ich irgendwie lustig. Ich hab auch so ne Stimme", griff Lucie das Thema wieder auf, "Das kann manchmal echt nervig sein. Das stimmt!" 'Habt ihr eigentlich überhaupt keinen vernünftigen Geschmack?' Wenn hier jemand keinen Geschmack hat, dann du! "Wie geht es dir?", wechselte ich das Thema. "Naja, es gibt besseres", brummte Lucie. Ich nickte. "Tut es sehr weh?", erkundigte ich mich. "Es geht. Ich hab schon schlimmeres erlebt", antwortete sie direkt. Verwirrt musterte ich sie. Da kam mir die Rasierklinge wieder in den Sinn. "Ritzt du dich häufig oder tust dir anders weh?", bohrte ich tiefer nach. Sie zuckte zusammen und starrte dann auf ihre Decke. Kaum merklich schüttelte sie den Kopf. "Bitte, Lucie! Ich will dir doch nur helfen", versuchte ich es weiter. "Du verstehst das sowieso nicht. Keiner versteht mich! Für euch bin ich doch nur ein krankes Kind", erwiderte sie. Die all bekannte Wut stieg in mir auf. "Ich will dir helfen, aber wenn du nicht willst, dann sieh doch zu, wie du zu recht kommst!", zischte ich, "Vielleicht stimmt es und du bist einfach nur krank. Immer versuchst du im Mittelpunkt zu stehen! Vielleicht schaffst du es, den anderen etwas vorzuspielen, aber ich habe dich durchschaut, du Miststück!" Es tat weh. Es tat wirklich weh, ihr diese Worte an den Kopf zu schmettern. Doch ich konnte nicht anders. Kurz sah ich den tiefen Schmerz in ihren Augen aufflammen und dennoch machte ich weiter. "Haben dir etwa Mami und Papi zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt?", stichelte ich. "Verschwinde!", schrie sie. Ihre Hände hatte sie zu Fäusten zusammen geballt. Verdammt. Warum tat ich das bloß? Scheiße! Ich wollte ihr sagen, dass ich es nicht so meinte. Ihre Augen waren kalt und leer. Ihr Blick brannte sich stechend in meine Augen. "Ich mach nicht bei deinem Spiel mit. Geh mir aus den Augen!", meinte sie. Ich stand auf und starrte ihr ein letztes Mal in die Augen, doch ich konnte nichts darin finden, was daraufhin wies, dass es nur scherzhaft gemeint war von ihr. "Sorry, dass ich so ein Arschloch bin. Ich werde dafür sorgen, dass Maik dich weiter trainiert", hauchte ich und verließ daraufhin die Krankenstation...

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