Eine ungeheure Müdigkeit übermannte mich. Die aufgeregten Stimmen dröhnten unangenehm in meinem Kopf und der Schmerz an meiner Seite schien mit jeder Sekunde stärker zu werden. Wie durch einen Schleier bekam ich mit, dass mich der Arzt mit Hilfe der Krankenschwestern auf eine Liege verfrachtete.
„Die blutet ja", rief er alarmiert, als er die Hände von mir nahm und das Blut an seinen Handschuhen bemerkte.
„Im OP ist schon alles vorbereitet. Bringt ihr ihn bitte rüber", bat er die eifrigen Krankenschwestern. „Ich kümmere mich derweil um die junge Dame hier"
Der Arzt war gerade im Begriff meinen Pullover aufzuschneiden, da erwachte ich aus meiner Starre. Panisch zuckte ich von seiner Berührung zurück und schlang die Arme um den Körper. Ich wollte nicht, dass er mich anfasste. Seitdem ich bei Onkel Laza wohnte, war ich keine menschliche Zuwendung gewohnt. Jede Berührung bedeutete für mich nur die Gefahr und das Risiko wieder verletzt zu werden. Ich konnte mich nicht daran erinnern berührt zu werden, ohne danach mit neuen blauen Flecken zu gehen. Selbst von meinen Eltern war ich keine Zuwendung gewohnt gewesen. Das war nicht üblich in unserer Familie.
Der Arzt warf der Schwester einen vielsagenden Blick zu und ließ seinen Blick dann beunruhigt über mein Gesicht schweifen. Wachsam folgte ich seinen Augen und bemerkte wie meine Finger vor Aufregung zu zittern begannen. Mein weiter Pullover war mir über die Schulter gerutscht, sodass die vielen Hämatome auf meinem Schlüsselbein deutlich zu erkennen waren. Er wäre blind gewesen, hätte er sie nicht gesehen.
„Hören Sie...wir müssen ihren Pullover aufschneiden, sonst kann Sie der Arzt nicht behandeln", meinte die Schwester. „Sie sind hier in den besten Händen"
„Wie ist Ihr Name?", fragte er mich dann und platzierte seine Arme neben meiner Taille.
„Rita"
„Okay Rita...als Medizinstudentin müssten Sie wissen, dass wir da jetzt nicht drumherum kommen", meinte er und blickte mich über den Rand seiner Brille eindringlich an.
Ich nickte langsam und ertappte mich dabei, wie mich sein besonnener Blick beruhigte. Er hatte irgendetwas in den Augen, das mir sagte, dass ich in ihm keine Gefahr sehen musste. Zögernd legte ich meine Arme zur Seite. Das kalte Metall der Schere streifte meine Haut und mein Körper spannte sich unwillkürlich an. Die Krankenschwester sog scharf die Luft ein, als der Stoff meinen Oberkörper freigab und auch der Arzt hielt für einen Moment inne. Sein Blick sagte alles, dennoch war ich erleichtert, dass er mich nicht weiter darauf ansprach.
Die Wunde blutete stark, stärker als ich erwartet hatte. Das würde eine ordentliche Narbe abgeben. Dafür würde Radan bezahlen.
Immer bereit aufzuspringen, beobachtete ich jede seiner Bewegungen. Während er meine Wunde nähte, kräuselte sich seine Stirn und eine widerspenstige Haarlocke fiel ihm ins Gesicht. Jetzt erinnerte ich mich wieder, warum ich als Kind immer in meinen Kinderarzt verliebt gewesen war. Es war dieses souveräne und meisterhafte Auftreten gewesen, das mich immer so fasziniert hatte. Dieser Arzt hatte das auch.
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Freue mich wie immer über Kritik und Votes:)
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Im Namen des Kanun (Frederik Seehauser/Klinik am Südring)
FanfictionDie 22-jährige Rita lebt mit ihren Eltern im Kosovo. Sie studiert in einer der angesehensten Privatuniversitäten in Pristina Medizin. Jedoch gerät sie in Gefahr, als sie Jakov, den Besitzer der Uni, dabei ertappt, junge Studentinnen ins Ausland zu...