Kapitel 9

963 43 9
                                    

„Sie finden das wohl witzig", schimpfte ich und setzte mich auf die Fensterbank.

„Entschuldigen Sie bitte", sagte er dann. „Aber Sie sind mir ein Rätsel Rita"

Die Art wie er meinen Namen aussprach, verpasste mir aus irgendeinem Grund eine gewaltige Gänsehaut auf dem Rücken. Noch nie hatte ihn jemand so ausgesprochen. Es klang so aufregend und geheimnisvoll. Herr Seehauser rückte seine Brille zurecht, die ihm wohl ein Stück heruntergerutscht war. Es machte mich nervös, wie er mich so anschaute, als wüsste er über alles Bescheid. Konnte er nicht damit aufhören?

„So eine erstklassige Drainage zu legen, umfasst für gewöhnlich nicht das Können einer Medizinstudentin.", fuhr er fort und bewegte sich langsam auf mich zu. „Sie sind alleine mit zwei Einbrechern fertig geworden, aber haben panische Angst in der Gegenwart unseres Personals. Und dann sind da noch Ihre Verletzungen..."

„Was wollen Sie damit sagen?", antwortete ich und versuchte meine Beunruhigung zu verstecken. Alles in mir brannte danach, mich zu verstecken.

„Sie können mir nicht erzählen, dass Ihre Hämatome allein von dem gestrigen Tag stammen", stellte er klar und schaute mir prüfend in die Augen. Konnte er nicht mal blinzeln? „Es sind zu viele und zum selben Zeitpunkt entstanden sein, können sie auch nicht"

Herr Seehauser lehnte sich neben mich an die Fensterbank, dabei berührte sein Arm meine Schulter und ich zuckte zurück. Ich hätte mich dafür ohrfeigen können, aber sogar ein blinder hätte die Panik auf meinem Gesicht erkennen können. Natürlich schnellte sein Blick sofort zu mir und er runzelte die Stirn,

„Rita", sagte er. Schon wieder. „Wer hat Ihnen das angetan?"

Ertappt blickte ich zu Boden und dachte fieberhaft über eine gute Ausrede nach, aber es schien, als wäre Honig in meinem Kopf. Ich versteckte mein Gesicht unter meinen langen schwarzen Haaren und entfernte mich unauffällig von ihm. Mein Atem rasselte wie der eines hechelnden Hundes. Es versetzte mich in Panik so lange in der Anwesenheit eines Menschen zu sein.

„Gut lassen wir das. Das führt zu nichts", sagte er und ging kopfschüttelnd zur Tür. „Ich hätte gehofft, Sie würde sich mir anvertrauen, aber so werde ich wohl in die Wege leiten müssen, dass sie bei unserem Psychologen vorstellig werden"

„Warten Sie", rief ich. „Wie geht es dem Notarzt?"

„Wir haben ihn heute Nacht notoperiert. Er wird bald wieder auf den Beinen sein. Sie haben ihm das Leben gerettet"

 „Sagen Sie ihm, dass es mir leid tut", meinte ich dann.

Herr Seehauser nickte und verließ dann das Zimmer. Ich konnte wetten, er würde nun vor der Tür stehen und nachdenklich die Stirn runzeln, so wie er es immer tat. Für einen Moment bereute ich es, ihm nicht die Wahrheit gesagt zu haben. Er war vielleicht der Einzige seit langem, dem ich vertraute - auch wenn ich nicht wusste warum. Insbesondere Männer bedeuteten eine Gefahr für mich, denn sie hatten mein Leben lang meinen Stolz als Frau verletzt. Sie hatten mich gedemütigt und mir nicht einen Hauch von Respekt gezeigt. In seiner Gegenwart hatte ich jedoch endlich wieder das Gefühl, geschätzt zu werden. 

----------------

Etwas verspätet, aber da xD Viel Spaß beim lesen. Kritik und Votes erwünscht:)


Im Namen des Kanun (Frederik Seehauser/Klinik am Südring)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt