Kapitel 10

1K 39 7
                                    


Freddys POV

Es war nun ein Tag vergangen, seitdem ich das letzte Mal mit Rita gesprochen hatte. Sie ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Nichts an ihrer Geschichte passte zusammen. Einen derartig skurrilen Fall hatten wir in der Notaufnahme noch nie. Bei der Datenaufnahme hatte sie keine Angehörigen angegeben und ihr fremdländischer Akzent bestätigte mich in der Annahme, dass sie nicht gebürtige Deutsche war. Mit ihren langen schwarzen Locken und den feinen Gesichtszügen könnte sie aus dem slawischen Bereich kommen. Ihre Augen waren dunkel wie die Nacht. Sie bargen so viel Geheimnis und doch waren sie von so einer unverschämten Reinheit, die mich immer wieder stutzig machte. Ich hatte schon viele Frauen kennengelernt, aber aus ihr konnte ich mir keinen Reim machen. Sie war so schemenhaft und voller Rätsel.

Bestätigte sich meine Annahme, sie war ein Opfer sexuellen Missbrauchs, würden sich so ihre Berührungsängste erklären. Sie war eingeschüchtert und verängstigt, als wäre sie jahrelang gejagt und in ihrem Stolz verletzt worden. Andererseits wirkte sie mit ihrem Mut und ihrer Schlagfertigkeit nicht wie eine Frau, die ihr Leben lang gedemütigt worden war. Ich konnte ihren Stolz noch in ihren Augen sehen. Es war nur ein Funken in der Finsternis und dennoch erzählte er mir den Beginn einer Geschichte über sie. Ich brannte darauf, mehr über sie zu erfahren und es war nicht in dem Maße, wie ich es sonst bei gewöhnlichen Patienten tat.

Ein Klopfen riss mich aus den Gedanken. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich schon seit einer guten Stunde vor einem unbearbeiteten Arztbrief saß, der eigentlich bis heute Abend fertig werden sollte. Mein Arm war eingeschlafen, weil ich meinen Kopf die ganze Zeit darauf abgestützt hatte. Der Knopf auf dem Ärmel meines Arztkittels hatte einen Abdruck auf meiner Wange hinterlassen. Hastig rieb ich mir darüber und richtete meine Brille.

„Herein", rief ich und wandte mich von meinem Schreibtisch ab.

Dr. Winter trat ein. Ich hatte ihm Rita zur psychologischen Behandlung überwiesen und ihn gebeten, mich stets auf dem neuesten Stand zu halten.

„Ja grüß dich Jonas", begrüßte ich ihn und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. Er musste wohl gerade von Rita kommen, denn er runzelte nachdenklich die Stirn. Ein unmerkliches Grinsen rutschte mir auf die Lippen. Ob ich auch so aussah, wenn ich aus ihrem Zimmer kam?

„Was hast du für mich?", fragte ich ihn dann.

„Um ehrlich zu sein, hatte ich noch nie mit so einem schwierigen Fall zu tun", fing er dann und öffnete seine Krawatte ein Stück. „Ich werde nicht aus ihr schlau. Keine meiner Behandlungsmethoden lässt sich auf sie abstimmen"

Meine Enttäuschung stand mir wahrscheinlich mehr als deutlich ins Gesicht geschrieben. Jonas war einer der besten Psychologen im Haus und wenn er ihr nicht helfen konnte, wer dann?

„Ich bin es nicht gewohnt bei meinen Patienten keinen Fortschritt zu sehen. Ich fühle mich wie ein blinder Mann in ihrer Gegenwart", sagte er dann und ließ sich sichtlich niedergeschlagen auf meinem Schreibtischsessel nieder. Der Arme.

„Wem sagst du das?", gab ich dann aufgewühlt von mir.

„Sie muss viel negatives erlebt haben, ohne Zweifel. Aber ich glaube, das ist nicht der einzige Grund, warum sie sich niemandem anvertraut", fuhr er fort. „Ich habe bemerkt, dass sie immer aus dem Fenster starrt, als würde sie eine Gefahr wittern"

„Das ist beunruhigend", sagte ich darauf. „Ich werde eine Verlängerung ihres Aufenthalts beantragen. Ich habe kein gutes Gefühl, sie so gehen zu lassen"

„Gut", erwiderte er und öffnete die Tür. „Übrigens...Sie hat nach dir gefragt. Vielleicht schaust du heute Nachmittag nochmal bei ihr vorbei"  

-----------------------

So...hier ist schon das nächste Kapitel. Ich freue mich, dass das letzte so gut bei euch angekommen ist! 

PS: Kennt ihr den Film Mortdecai? Ich liebe ihn und vor allem das Soundtrack. Zieht euch das mal rein. Ich höre es am liebsten während ich schreibe. (Also den ganzen Tag xD)

Liebe Grüße

Im Namen des Kanun (Frederik Seehauser/Klinik am Südring)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt