„Das ist mir lieber, als eine Kugel im Herzen", meinte er, worauf wir beide in Gelächter ausbrachen. Eigentlich war es nicht zum Lachen, aber irgendwie hatten wir es beide nach diesem miesen Tag nötig.
Während er ins Bad ging, um sich Bebanthen auf die verbrühte Hand zu schmieren, deckte ich den Tisch und trug das Essen hin. Genüsslich steckte ich die Nase in das dampfende Gebäck und schnupperte daran.
Der Duft erinnerte mich an die seltenen Abende, an denen Vater und Mutter mit mir am Tisch gesessen hatten. Das letzte Mal war das der Fall gewesen, als meine Mutter Geburtstag gehabt hatte. Für Geschenke hatte mein Vater kein Geld, aber er hatte ihr einen liebevollen Kuss auf die Wange gedrückt und er wusste genau wie ich, wie viel ihr das bisschen Zuwendung bedeutete. Vater hatte nie Zeit für sie, war immer im Laden oder draußen, um Kunden ihre dreckigen Karren zu putzen. Er musste hart und lange arbeiten und doch reichte das Geld kaum aus.
Wie gerne hätte ich ihm das bisschen Wohlstand vergönnt, das ich ihm als Jakobs Frau geben hätte können. Ich hätte ihn so gerne glücklich gesehen. Dann hätte er sich endlich seinen Oldtimer kaufen können, von dem er immer geträumt hatte und Mutter, ja die hätte sich eine Katze gekauft. Eine Schmunzeln schlich sich auf meine Lippen, doch ging sofort in meinem niedergeschlagenen Gesicht unter. Vielleicht hätte ich das bisschen Qual doch ertragen müssen, um ihnen das zurückzugeben, was sie immer für mich getan hatten.
Ich merkte wie meine Beine sich verselbstständigten und mich zu dem schwarzen Flügel trugen. Andächtig setzte ich mich auf den Hocker und drückte eine Taste hinunter, nur um den wunderbaren Klang einmal zu hören. Eigentlich hatte ich mir geschworen, niemals wieder einen Ton zu spielen, doch meine Finger begannen schon über die Tasten zu tanzen. (Bitte hört euch das Video dazu an) Chopin. Ich hatte immer an ihn gedacht, wenn ein polnisches Auto bei uns gehalten hatte. Er war mein Seelenverwandter und manchmal fühlte es sich so an, als hätte er seine Musik für mich geschrieben. Seine Kompositionen sprachen mir aus der Seele, wenn ich sie spielte. Sie waren so viel mehr als Worte jemals ausdrücken konnte.
Seitdem Ivana fort gewesen war, hatte ich keine Taste angerührt. Es war unser gemeinsames Hobby gewesen. Ich hasste mich dafür wie selbstsüchtig war. Ich hatte sie nicht gerettet, weil mir mein eigenes Leben wichtiger war und ich hatte meinen Eltern nicht das bisschen Glück ermöglicht, weil ich Jakov und das was er mit mir machen würde zu sehr fürchtete. Die anderen Mädchen hatte er alle weiterverkauft, doch mich wollte er behalten. Warum? Ich hatte keine Ahnung. Hoffentlich ging es ihnen gut. Hoffentlich waren diesen Sommer mehr Touristen vorbeigekommen. Ich fühlte mich auf einmal zurück im Kosovo, als ich es damals meiner Mutter zum ersten Mal vorgespielt hatte. Sie hatte nie davon gewusst, dass ich Klavier spielte und sie hatte Rotz und Wasser geheult.
„Wenn ich diese Sprache nur verstehen würde, die du mit dem Klavier sprichst...", hörte ich plötzlich eine Stimme hinter mir. "Ich habe noch nie jemanden so ergreifend spielen gehört, Rita"
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Spielt jemand von euch Klavier? Und wenn ja, versteht ihr Rita?
Schönen Abend noch:)
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Im Namen des Kanun (Frederik Seehauser/Klinik am Südring)
FanfictionDie 22-jährige Rita lebt mit ihren Eltern im Kosovo. Sie studiert in einer der angesehensten Privatuniversitäten in Pristina Medizin. Jedoch gerät sie in Gefahr, als sie Jakov, den Besitzer der Uni, dabei ertappt, junge Studentinnen ins Ausland zu...