Kapitel 12

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„Scheiße", hauchte ich nur und verfiel vor Schreck in eine Schockstarre.

Diese Kapuzen-Gestalt hätte ich überall wieder erkennen können. Es war Radan, der mit einem Maschinengewehr auf Herrn Seehauser zielte. Mein Herz setzte vor Schreck einen Moment aus. Ich hätte niemals hierherkommen dürfen. Ich brachte alle Menschen in Gefahr. Panisch hielt ich nach seinen Kumpanen Ausschau, doch es war niemand zu sehen. Waren sie schon ins Krankenhaus eingedrungen? Ich begann schlagartig zu schwitzen und mein Atem rasselte wie eine Propellermaschine.

„Rita?", fragte er. „Was..."

Bevor er aussprechen konnte, stürzte ich mich auf ihn. Zeitgleich hörte ich einen dumpfen Knall und kniff die Augen zusammen. Das Fenster zersplitterte in tausend kleine Scherben, die klirrend neben uns auf den Boden niederprasselten. 

Als ich die Augen öffnete, fand ich mich über Herrn Seehauser wieder. Die Arme rechts und links neben seinem Kopf abgestützt, waren wir uns so nahe, dass ich seinen heißen Atem in meinem Gesicht spüren konnte. Für einen Moment fühlte ich mich in seinen Augen gefangen und war so gebannt, dass ich völlig meine Prinzipien vergaß. Ich konnte seine  Blick nicht definieren, aber jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken. Obwohl ich mich dafür ohrfeigen hätte können, ertappte ich mich dabei, die Nähe sogar zu genießen. Mein Blick glitt über sein Gesicht. Eine der Scherben hatte ihn wohl getroffen, denn auf seiner Wange befand sich ein kleiner Schnitt. Ich verspürte das dringende Gefühl ihm den Blutstropfen abzuwischen, der sich den Weg über seine glatte Haut bahnte, doch ich wurde von einem ziehenden Schmerz abgehalten, der sich in Wellen über meinen Oberarm ausbreitete. Eine warme Flüssigkeit floss über meinen Arm und bildete eine kleine Lache neben meiner Hand.

„Rita, Sie sind getroffen", bestätigte Herr Seehauser meine Annahme und drückte seine Hand auf die Wunde, um die Blutung zu stoppen. Mein Hemd war zerfetzt und blutdurchweicht, doch das war mir in dem Moment egal.

„Das ist nur ein Streifschuss", erwiderte ich und rappelte mich auf.

Vorsichtig lugte ich über die scheibenübersäte Fensterbank nach draußen. Radan war vom Dach verschwunden. Er war nirgendwo zu sehen, jedoch huschte ein schwarzer Schatten über mein Blickfeld und verschwand hinter einem Mauervorsprung.

„Gott bewahre", hauchte ich. „Wir müssen sofort die Polizei rufen und alle in Sicherheit bringen!"

Herrn Seehauser packte ich am Ärmel und zerrte ihn hinaus auf den Gang.

„Sie wissen wer das war?", fragte er geschockt, während ich auf die Schwesternkanzel zusteuerte.

„Es ist der Mann, den ich am Rastplatz zurücklassen musste", antwortete ich.

Ich hielt es für besser ihm nicht die volle Wahrheit zu erzählen. Ich hatte keine Zeit für lange Erklärungen. Ich musste aus diesem Krankenhaus, andernfalls würde dieser Tag nicht gut enden. 

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Na, was glaubt ihr passiert als nächstes? Kriegt Radan sie, oder kann sie flüchten?

Im Namen des Kanun (Frederik Seehauser/Klinik am Südring)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt